Fachkommentar zu Fall Nr. 262019 KH-CIRS-Netz Deutschland Drucken
11.02.2025
KH-CIRS-Netz Deutschland: Fall Nr. 262019: „Verwechslung der Bluttransfusion“

Fachkommentar des Fachbeirats CIRSmedical.de (BDA/DGAI)

Download Fachkommentar Fall-Nr. 262019 (PDF)

Autor: Interdisziplinäre Arbeitsgemeinschaft für klinische Hämotherapie (IAKH) in Vertretung des Berufsverbandes Deutscher Anästhesistinnen und Anästhesisten (BDA) und der Deutschen Gesellschaft für Anästhesiologie & Intensivmedizin (DGAI)

Problemanalyse
In dieser Meldung ereignen sich zwei gravierende Fehler nacheinander, die eigentlich nicht seriell passieren dürfen: Der eine Mitarbeiter holt die falsche Konserve und der zweite Mitarbeiter hängt sie ohne weitere Kontrolle an. In diesem Fall wissen wir nicht, ob es den Patienten geschädigt hat, da es aufgrund der Majorkompatibilität der Blutgruppen nicht zu einer sofortigen Transfusionsreaktion gekommen ist. Allerdings sind spätere Folgen wie die Alloimmunisierung im Rhesus oder einem anderen Antigensystem möglich. Bei wiederholter Exposition und niedrigem Titer kann es zu einem wiederholten Kontakt und dann durch die geboosterte schwere Transfusionsreaktion zur Schädigung kommen.

Auf der Intensivstation sind Notfallsituationen nicht selten und die Mitarbeiter öfter unter Zeitdruck. Aus diesem Grund sind in diesem Bereich viele Abläufe standardisiert und gut geregelt. In dieser Meldung kam es aber zu einer Fehlkommunikation unter den Mitarbeitern und der Verwechslung einer Blutkonserve. Die Notfallsituation sollte so routiniert und ruhig abgearbeitet werden, dass Stress und Fehler vermieden werden. Entsprechende Konzepte hierfür sind strukturierte Kommunikationsformen (wie zum Beispiel das SBAR-Konzept [1]) und Standard Operating Procedures (SOP) für erwartbare, aber seltene Situationen wie die Massivtransfusion. Diese sollten auch mittels Simulationen eintrainiert werden (Transfusions-spezifische Angebote gibt es für die PPH, Intensivstation und Schockraum von der IAKH [2]).

Der Meldung ist nicht zu entnehmen, ob es sich um eine hoch dringliche also echte Notfalltransfusion handelte. Auf der Intensivstation kann eine Anämie durch Sauerstoffbeatmung überbrückt werden, um ischämische Schäden zu vermeiden. Diesbezüglich ist es eventuell auch die Frage des physiologischen Verständnisses der Kompensationsfähigkeit, der Weiterbildung und Supervision der Mitarbeiter gewesen, die in der eigentlich kontrollierten Situation den Eindruck eines vitalen Notfalls haben entstehen lassen. Regelmäßige Fortbildungen und eine betreute Ausbildung durch eine erfahrene Supervisionskraft tragen zur korrekten Einschätzung eines Notfalls bei.

Die Schilderung legt nahe, dass die Pflege- oder Assistenzkraft die falsche Blutkonserve aus einem Sub-Depot oder Blutkühlschrank besorgt hat. Sonst wäre eventuell bei der Ausgabe aus einem scanner-kontrollierten Ausgabebereich wie dem immunhämatologischen Labor die Verwechslung schon aufgefallen. Sub-Depots in Funktionseinheiten mit hohem Konservenverbrauch, aber langen Wegen zum Hauptdepot sind sinnvoll, aber gefährlich durch sich immer wieder ereignende Fehler. Der Zugang muss geregelt werden, die Kühlschrankfunktion alarmgeschützt kontrolliert werden, die Wartungs- und Bestandsdokumentation zur Verhinderung von Konservenverfall geregelt, die Entnahme durch ein 4-Augen-Prinzip, technische Scanner- oder RFID Lösungen gesichert werden [3, 4]. Zu guter Letzt kann natürlich auch die Verabreichung am Patientenbett auf der Intensivstation und im OP-Saal mit einem Scannersystem erfolgen und nochmalig die Zuordnung einer Konserve zum Patienten prüfen, wie bereits eindrucksvoll z.B. im Boston Massachusetts General Hospital oder in Mailand demonstriert [5, 6].

Genauso wahrscheinlich ist die zeitgleiche Abholung der kontrollierten Produkte für zwei Patienten aus dem Labor bzw. die zeitgleiche Indikation zur Transfusion bei zwei Patienten. Dann ergibt sich die Fehlerquelle, dass die Vermutung aufkommt es seien die Konserven für Pat A unkontrolliert weitergegeben worden, obwohl Konserven für Pat B ausgegeben wurden. Take Home Message ist die konzentrierte Durchführung der prätransfusionellen Kontrollen „am Bett” und die persönliche Durchführung inkl. Bedside-Test.

Die folgenlose Verwechslung ist in Deutschland gemäß Richtlinie Hämotherapie [7] meldepflichtig – und zwar gemäß Tabelle 5.3 (Kap. 5.3 Unterrichtungs- und Meldepflichten sowie deren Dokumentation) dem im Qualitätshandbuch der Einrichtung dafür benannten Person. Außerdem ist sie als Verwechslung eines EU-Arzneimittels gemäß EU-Richtlinie 2001/83/EG zur Arzneimittelsicherheit ebenfalls meldepflichtig [8].

Prozessqualität
  1. Fortbildung/SOP/VA – alle Mitarbeiter von OP, Intensiv, Aufwachraum, etc.: Standardisierte Kommunikation und Patientenübergabe im perioperativen und Intensiv-Bereich: das SBAR-Konzept
  2. Fortbildung und SOP/VA – alle Ärzte: Besonderheiten der Notfall/Massivtransfusion
  3. Fortbildung und SOP/VA – alle Ärzte: Indikationsstellung von Blutkonserven nach Dringlichkeit gemäß den Querschnittsleitlinien der BÄK [9]
  4. SOP/VA – Mitarbeiter Intensivstation: Entnahme und Identifikationsprozess der Konserven - Zuordnung im 4-Augenprinzip
  5. Meldung an die Transfusionskommission, Meldung an die im QM System ausgewiesene Person, Meldung an das BFARM gem. EU RiLi 2001/83/EG

Strukturqualität
  1. GF, ÄD, TV: Anmeldung zum Simulationstraining für Massivtransfusion
  2. GF, ÄD, TV, PDL: Teamtraining: Stress und Kommunikationschoaching
  3. TV, ÄD, Labor/Depotleitung: Überprüfung der Depot-Strukturen - Sind Kühlschränke als Subdepots auf Intensivstation notwendig? Wenn ja, wer kontrolliert sie täglich, bzw. wie hoch ist die Rate an vergessenen Konserven?
  4. GF, ÄD, TV, IT, QM: Erörterung eines digitalen Unterstützungssystems zur Anwendung von Blutprodukten inklusive bettseitige Scanner-basierte Konservenkontrolle

Literatur

Häufig verwendete Abkürzungen:
ÄD - Ärztliche/r Direktor/in, EK – Erythrozytenkonzentrat, GF - Geschäftsführer/in, IST/IMC - Intensivstation/ Intermediat Care, IT - Informationstechnik/er, MA - Mitarbeiter/in, PDL - Pflegedienstleitung, QM – Qualitätsmanagement, SOP - Standard Operating Procedure, TV - Transfusionsverantwortliche/r, VA - Verfahrensanweisung

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