Paper of the Month #21 |
22.11.2010 |
Stiftung für Patientensicherheit, Schweiz: Paper of the Month #21 – "Häufigkeit und Charakteristika von Übergabe-Ereignissen in einem internen Meldesystem"
Pezzolesi C, Schifano F, Pickles J, et al.: Thema: "Häufigkeit und Charakteristika von Übergabe-Ereignissen in einem internen Meldesystem"Die Übergabe von Patienten innerhalb eines klinischen Bereichs (z.B. bei Dienstwechseln), aber auch zwischen verschiedenen Abteilungen oder Fachgebieten, ist im Spital ein häufiger und anspruchsvoller Prozess. Dabei müssen vielfältige Informationen ausgetauscht und Verantwortlichkeiten übertragen werden. Die korrekte, vollständige und strukturierte Kommunikation aller relevanten Aspekte bei der Übergabe stellt eine wesentliche Grundlage für das weitere Management von Patienten dar und birgt damit ein erhebliches Risikopotential. Pezzolesi et al. werteten die in einem internen Meldesystem (CIRS) dokumentierten Ereignisse aus, die im Zusammenhang mit Übergaben standen. Dafür analysierten sie in einem Spital in Grossbritannien die Meldungen eines 3-Jahreszeitraumes. Als "Übergabe-Ereignis" wurden Ereignisse gewertet, für die in der Meldung dokumentiert war: (a) eine unzureichende verbale Kommunikation während des Transfers der Patientenversorgung oder (b) eine unzureichende Übermittlung relevanter Informationen in den Übergabe-Dokumenten oder (c) eine unzureichende oder unklare Übergabe der Verantwortung von einer Fachperson zu einer anderen Fachperson. Die so identifizierten "Übergabe-Ereignisse" wurden anhand eines zuvor inhaltsanalytisch generierten Klassifikationsschemas durch zwei Autoren kategorisiert. Von den insgesamt 19'339 ausgewerteten Meldungen involvierten 334 eine Übergabe (2%). Die Anzahl der "Übergabe- Ereignisse" stieg innerhalb des 3-Jahres-Beobachtungszeitraums signifikant. Bei 51% der gemeldeten "Übergabe-Ereignisse" handelte es sich um Übergaben innerhalb des gleichen Fachgebietes (intra-speciality), bei 29% um Übergaben zwischen Fachgebieten (inter-speciality). Die übrigen 20% der Ereignisse involvierten Übergaben zwischen Spital und ambulanter Versorgung (15%), anderen Spitälern (4%) oder mit dem Krankentransport (1%). 75% der Ereignisse mit fehlerhaften Übergaben innerhalb des gleichen Fachgebietes passierten bei Dienst- bzw. Schichtwechseln und 25% bei der Übergabe von Patienten zwischen verschiedenen Stationen innerhalb des Fachgebietes. Die Auswertung der Meldungen zeigte, dass es bei etwa einem Drittel der "Übergabe-Ereignisse" (29%) keine Übergabe zwischen Fachpersonen gab. Bei knapp der Hälfte der Ereignisse war die Übergabe unvollständig. So war beispielsweise die Medikation nicht aktualisiert oder zentrale Aspekte fehlten, wie die Präsenz einer viralen Erkrankung oder eines Diabetes. Nahezu alle "Übergabe-Ereignisse" wurden in ihrem Schadenspotential von den meldenden Personen als "gering" bewertet. Im Vergleich mit anderen Studiendesigns, z.B. prospektiven Beobachtungsstudien oder Befragungen von Fachpersonen, scheint das interne Meldesystem die Häufigkeit von Zwischenfällen im Zusammenhang mit Übergaben zu unterschätzen. Möglicherweise werden unzureichende Übergaben oft nicht als "fehlerhaft" wahrgenommen, werden durch weitere Abklärungen oft kompensiert, und sind daher besonders häufig vom sogenannten "under-reporting" in internen Meldesystemen betroffen. Die Ergebnisse der Studie von Pezzolesi et al. zeigen jedoch, welche Typen von Übergaben besonders häufig Meldungen auslösen und durch welche Defizite diese Übergaben charakterisiert sind. So wird beispielsweise das vollständige Fehlen einer Übergabe bei Dienstwechseln innerhalb eines Fachgebietes als ein "Problem-Cluster" deutlich. Gerade solche Übergaben eignen sich für die Erprobung von Verbesserungsmassnahmen, da sie räumlich und personell relativ gut abgrenzbar sind. Für die Gewährleistung von sicheren Übergaben können beispielsweise Checklisten oder Kommunikationsregeln eingesetzt werden. In der Ausbildung von Gesundheitsberufen sollten der Bedeutung der Übergabe für die Patientensicherheit und der Übung einer strukturierten vollständigen Kommunikation besondere Aufmerksamkeit geschenkt werden. PD Dr. D. Schwappach, MPH Wissenschaftlicher Leiter der Stiftung für Patientensicherheit Dozent am Institut für Sozial- und Präventivmedizin (ISPM), Universität Bern Link zum Abstract: http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/20709704
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