Stiftung für Patientensicherheit, Schweiz: Paper of the Month #25 – "Verbesserung der interprofessionellen Kommunikation durch Reorganisation in der Pädiatrie"
Gordon MB, Melvin P, Graham D, et al.:
Unit-Based Care Teams and the Frequency and Quality of Physician-Nurse Communications
Archives of Pediatrics & Adolescent Medicine 2011;165(5):424-428
Thema: "Verbesserung der interprofessionellen Kommunikation durch Reorganisation in der Pädiatrie"
Fehlende, unzureichende oder fehlerhafte Kommunikation sind eine zentrale Ursache für viele Fehler
und ein wichtiger Einflussfaktor für Risiken in der Patientensicherheit. Gerade die interprofessionelle
Kommunikation zwischen Ärzten und Pflegefachleuten funktioniert häufig nicht optimal und wird von
beiden Seiten vielfach als unzureichend eingeschätzt. Als eine wichtige Ursache für interprofessionelles
Kommunikationsversagen wird die unterschiedliche Organisation der Mitarbeitenden in Pflege und
Medizin vermutet. Während die Zuständigkeit der Pflegefachleute für Patienten in der Regel ortsbezogen
(z.B. Station, Abteilung, etc.) bestimmt ist, ist dies bei Ärzten oft anders. Sie sind häufig aufgaben-
oder diagnosespezifisch organisiert und zum Beispiel für die Versorgung von Patienten auf verschiedenen
Stationen zuständig. In der Folge verändern sich die Teamkonstellationen ständig. Aufgaben,
Zuständigkeiten und Ansprechpersonen bleiben oft unklar oder sind nicht schnell und direkt
ansprechbar. Gordon et al. untersuchten in einer prospektiven Interventionsstudie, ob die Reorganisation
pädiatrischer Behandlungseinheiten in ortsbezogenen, interprofessionellen Teams zu einer
verbesserten Kommunikation zwischen Pflegefachleuten und Ärzten führt. Dabei wurden die Assistenzärzte
ähnlich wie die Pflegefachleute einer räumlich definierten Behandlungseinheit zugeordnet
(z.B. einer Etage mit 29 Betten) und versorgten nur Patienten der ihnen zugeordneten Einheit.
Ärzte und Pflegefachleute wurden zu ihrem interprofessionellen Kommunikationsverhalten bezogen
auf jeweils einen spezifischen Patienten befragt. Für die Ärzte wurden auch die Protokolle der Pager
(Piepser) ausgewertet. Daten wurden vor der Intervention, in einer frühen und in einer etablierten Interventionsphase
jeweils über einen Zeitraum von 3 Monaten erhoben. Nach der Reorganisation in
ortsbezogene Teams a) wussten signifikant mehr Ärzte, welche Pflegefachperson für den Patienten
zuständig ist (62% vs. 82%), b) kontaktierten sie Pflegefachleute häufiger persönlich (27% vs. 57%),
c) wurden sie durch die Pflegefachperson häufiger persönlich kontaktiert (8% vs. 55%), und d) berichteten
sie häufiger, dass die Pflegefachperson zeitnah auf die Anliegen des Arztes eingegangen ist
(44% vs. 82%). Die Dauer der Kommunikation zwischen Ärzten und Pflegefachleuten veränderte sich
entsprechend der Angaben der Ärzte nicht. Die durchschnittliche Anzahl der Piepser-Meldungen bei
den Assistenten reduzierte sich von 19/Tag vor, auf 11/Tag nach der Intervention (- 42%). Die Angaben
der Pflegefachleute bestätigten im Wesentlichen die Angaben der Ärzte. Nach der Reorganisation
wussten a) mehr Pflegefachleute welcher Assistent einem Patienten zugeordnet ist (71% vs.
88%), b) wer als supervidierender Arzt zuständig ist (59% vs. 82%), c) wurden sie häufiger persönlich
von Ärzten kontaktiert (32% vs. 66%), d) kontaktierten sie ihrerseits den Arzt häufiger persönlich
(12% vs. 61%), und e) waren sie häufiger zufrieden mit der zeitnahen Bearbeitung ihrer Anliegen
durch den Arzt (38% vs. 49%). Keinen Unterschied gab es vor vs. nach der Intervention hinsichtlich
der Frage, ob der Arzt überhaupt wegen des Patienten kontaktiert wurde (9% vs. 8% "keine Kontaktaufnahme").
Die Studie zeigt deutlich, dass wichtige Aspekte der Kommunikation durch die Reorganisation
verbessert werden konnten. Insbesondere das Wissen um die jeweiligen Zuständigkeiten, die
Zufriedenheit mit der Reaktion auf Anliegen der jeweils anderen Berufsgruppe und die persönliche
Kontaktaufnahme nahmen deutlich zu, während die Meldungen über Piepser deutlich abnahmen. Die
Studie analysierte den Effekt der ortsbezogenen Reorganisation allerdings nicht unter randomisierten
Bedingungen und nur in einem Spital. Auch ist unklar, ob die beobachteten Veränderungen in der interprofessionellen
Kommunikation auch zu einer Verbesserung in der Patientensicherheit führen. Es
ist jedoch davon auszugehen, dass allein die räumliche Nähe die Offenheit und das Verständnis für
die berufsgruppenübergreifende Kommunikation fördert.
PD Dr. D. Schwappach, MPH, Wissenschaftlicher Leiter der Stiftung für Patientensicherheit.
Dozent am Institut für Sozial- und Präventivmedizin (ISPM), Universität Bern
Link zum Abstract: http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/21536957
(Den Volltext können wir aus Copyright Gründen leider nicht mit versenden).
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