Stiftung für Patientensicherheit, Schweiz: Paper of the Month #26 – "Fehler bei der intravenösen Verabreichung von Medikamenten im Spital"
GWestbrook JI, Rob MI, Woods A, et al.:
Errors in the administration of intravenous medications in hospital and the role of correct procedures and nurse experiences
BMJ Quality and Safety in Health Care 2011; epub ahead of print, doi: 10.1136/bmjqs-2011-000089
Thema: "Verbesserung der interprofessionellen Kommunikation durch Reorganisation in der Pädiatrie"
Fehler bei der intravenösen Gabe von Medikamenten sind häufig und haben im Vergleich zu anderen Medikationsfehlern ein hohes Risiko schwere Schädigungen auszulösen. Bislang existieren wenige Daten darüber, welche Arten von Fehlern bei der Anwendung intravenöser Arzneimittel besonders häufig und gefährlich sind und in welchem Kontext sie auftreten. Westbrook et al. analysierten die Häufigkeit von Fehlern, deren Outcome, sowie mögliche Determinanten für Fehler bei intravenösen Medikamenten. Die Daten wurden durch Beobachtung erhoben. 568 intravenöse Medikamentengaben durch 107 Pflegefachpersonen in zwei australischen Krankenhäusern wurden beobachtet. Die Forscher begleiteten die Pflegefachpersonen bei der Arbeit („shadowing“) und bearbeiteten ein strukturiertes Beobachtungsprotokoll auf einem handheld Computer (PDA) für jede intravenöse Medikamentengabe. Dabei wurden die Details der abgegeben Medikamente sowie die Einhaltung von verbindlichen Prozessschritten dokumentiert, z.B. ob die Patientenidentität geprüft wurde. Für Bolus-Injektionen wurde die Zeitdauer der Injektion gemessen, bei Infusionspumpen die Durchlaufrate. Die Übereinstimmung der verschiedenen Beobachter wurde anhand einer Stichprobe analysiert und war sehr hoch (Kappa 0.94-0.96). Für die vollständige Beobachtung war eine sehr enge Begleitung der Pflegefachleute notwendig (körperlicher Abstand < 1m). Damit sich alle Beteiligten an diesen Zustand gewöhnen konnten, wurden die Pflegefachleute zunächst über längere Zeiträume (etwa 30 Stunden) bei der Arbeit begleitet ohne Daten zu erheben. Die beobachteten Fehler wurden als „prozeduraler Fehler“ (Abweichung von den Prozessvorgaben) oder als „klinischer Fehler“ klassifiziert. Klinische Fehler waren Abweichungen der tatsächlichen Medikamentengabe von der Verordnung sowie Fehler bei der Vorbereitung oder Durchführung der intravenösen Gabe. Der Schweregrad der Schädigung, den die klinischen Fehler bei Nicht-Eingeifen hätten, wurde anhand einer Skala (Geringer/kein Schaden – Tod) bewertet. Bei 74% aller intravenösen Medikamentengaben wurde mindestens ein prozeduraler Fehler beobachtet. Besonders gering war die Compliance mit der Vorgabe, die Patientenidentität zu prüfen (48% aller Abgaben) und beim 2-Personen Visum bei high-risk Arzneimitteln (50% compliance). Insgesamt wurden 511 klinische Fehler beobachtet. Mindestens ein klinischer Fehler trat bei knapp 70% aller intravenösen Medikamentengaben auf. 25% wurden als „ernst“ bewertet (Stufen 3-5). Bei der Gabe von Antibiotika waren Fehler besonders häufig. Die häufigsten Fehler waren „falsche Mischung“, „falsches Lösungsmittel“, „falsche Infusionsrate“ und „Inkompatibilität“. Bolus-Injektionen hatten höhere Fehlerraten als Infusionen (77% vs. 48%). Eine Regressionsanalyse zeigt, dass innerhalb der ersten 6 Jahre der Berufserfahrung das Risiko für einen Fehler mit jedem zusätzlichen Jahr Berufserfahrung um 11% abnimmt. Nach dem 6. Jahr wurden keine positiven Effekte der Erfahrung mehr verzeichnet. Das Prüfen der Patientenidentität reduzierte das Risiko für einen klinischen Fehler um 56%, während die Abgabe als Bolus-Injektion das Risiko um über 300% erhöht. Die Studie zeigt, dass Fehler bei der intravenösen Gabe von Medikamenten sehr häufig sind und ein erhebliches Risikopotential haben. Die fehlende Überprüfung der Patientenidentität stellt einen prozeduralen Fehler dar, der das Risiko erheblich erhöht, dass es in der Folge zu einem klinischen Fehler kommt. Pflegefachleute machen in den ersten 6 Jahren der Berufstätigkeit deutlich häufiger Fehler
als mit einer längeren Berufserfahrung. Dies legt nahe, dass durch verstärktes Training und Supervision von Berufseinsteigern bei der Gabe intravenöser Medikamente positive Effekte für die Patientensicherheit erzielt werden können.
PD Dr. D. Schwappach, MPH, Wissenschaftlicher Leiter der Stiftung für Patientensicherheit.
Dozent am Institut für Sozial- und Präventivmedizin (ISPM), Universität Bern
Link zum Abstract: http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/21690248
(Den Volltext können wir aus Copyright Gründen leider nicht mit versenden).
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