16.03.2010 |
Stiftung für Patientensicherheit, Schweiz: "Verbesserung der Medikationssicherheit durch eine strukturierte Intervention bei Pflegenden"
Kliger J, Blegen MA, Gootee D, O'Neil E. Empowering frontline nurses: A structured intervention enables nurses to improve medication administration accuracy. Jt Commission Journal on Quality and Safety 2009;35(12):604-12.
Thema: Verbesserung der Medikationssicherheit durch eine strukturierte Intervention bei Pflegenden
Medikationsfehler gehören zu den häufigsten Ursachen für unerwünschte Ereignisse und haben ein erhebliches Schadenspotential. Frühere Studien zeigen, dass Fehler besonders häufig beim Richten und Abgeben von Medikamenten passieren. Unterbrechungen und Störungen dieses Prozesses sind wichtige fehlerbegünstigende Faktoren. Kliger et al. evaluieren in ihrer Studie eine Intervention zur Verbesserung der Sicherheit der Medikamentenvorbereitung und -abgabe in sechs Spitälern der USA. Die Intervention bestand aus der Einführung von 6 Prozessschritten bei der Medikamentengabe: (1) Vergleich der Medikation mit der Patientendokumentation; (2) Medikation vom Richten bis zur Gabe an den Patienten konsequent beschriftet halten (Manipulationen, die zu einer Nicht-Beschriftung führen nur direkt beim Patienten); (3) zweifache Prüfung der Patientenidentifikation; (4) Patienten die Medikation erklären (wenn möglich); (5) Dokumentation der Medikation direkt nach Gabe; (6) Schützen des gesamten Prozesses vor Ablenkungen und Unterbrechungen.
Die Intervention wurde durch Teams in den jeweiligen Spitälern mit intensiver Projekt- und Weiterbildungsarbeit der Pflegenden begleitet. Die Wirksamkeit wurde untersucht, in dem zu drei Zeitperioden (baseline vor der Intervention; 6 Monate und 18 Monate nach Einführung der Intervention) sowohl die compliance mit den genannten Prozessschritten als auch die Richtigkeit der abgegebenen Medikationsdosen durch direkte Beobachtung (CalNOC "naïve observer" Methode) festgestellt wurde.
Dabei wird zunächst patientenbezogen die Zusammenstellung und Zubereitung aller Medikamente beobachtet und dokumentiert und erst dann diese Beobachtung mit der Verordnung hinsichtlich Fehlern (Medikament, Dosis, Zeitpunkt, Applikationsform etc.) verglichen. Das heisst, die Beobachter haben während des Medikationsprozesses keine Kenntnis über die Verordnung. Insgesamt wurden 1,841 Medikationsdosen in der Studie beobachtet (604 baseline, 623 nach 6 Monate und 614 nach 18 Monaten nach Intervention). Die Richtigkeit der Dosen ("accuracy rate") stieg in der Beobachtungsphase signifikant an von 85% korrekten Dosen (baseline) zu 92% (6 Monate) und 96% (18 Monate).
Deutliche Verbesserungen konnten in 5 von 6 Spitälern erzielt werden. Auch die relativen Häufigkeiten verschiedener Fehlerarten verschoben sich deutlich. Auch die Adhärenz mit den 6 Prozessschritten nahm während der Studie erheblich zu. Insbesondere die direkte Dokumentation nach Medikamentengabe (von 75.8% baseline auf 99% nach 18 Monaten), die doppelte Identitätskontrolle (von 70.8% baseline auf 96.1% nach 18 Monaten) und das störungs- und unterbrechungsfreie Richten und Abgeben der Medikamente (von 60.2% baseline auf 84.4% nach 18 Monaten) konnten deutlich verbessert werden. Zu baseline führten die beobachteten Pflegepersonen durchschnittlich 4.8 Prozessschritte aus, während es 6 Monate nach der Intervention 5.6 und nach 18 Monaten 5.75 waren. Die Ergebnisse der Studie zeigen, dass eine strukturierte Intervention, die direkt und konzentriert auf die Veränderung des Medikationsprozesses abzielt, zu deutlichen Verbesserungen der Patientensicherheit beitragen kann (11% Zunahme von korrekt gerichteten und gegebenen Dosen).
Dies ist eindrücklich, auch wenn über die einzelnen empfohlenen Prozessschritte selbstverständlich kritisch diskutiert werden kann. Wichtiger Erfolgsfaktor der Intervention war der konsequente Einbezug der klinisch tätigen Pflegefachpersonen vor-Ort durch Projektteams. Gerade die Sicherstellung eines ruhigen und unterbrechungsfreien Prozesses beim Richten ist jedoch eine Herausforderung. Eine Möglichkeit hierfür kann die Einrichtung sogenannter "Non Interruption Zones" sein, also Räume oder Arbeitsbereiche, in denen Mitarbeitende beim Richten oder Abgeben von Medikamenten nicht gestört werden dürfen.
PD Dr. D. Schwappach, MPH
Wissenschaftlicher Leiter der Stiftung für Patientensicherheit
Dozent am Institut für Sozial- und Präventivmedizin (ISPM), Universität Bern
Link zum Abstract: http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/20043500
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