Stiftung für Patientensicherheit, Schweiz: "Zusammenhang zwischen Erschöpfung und medizinischen Fehlern bei Ärzten"
West CP, Tan AD, Habermann TM et al.: Association of resident fatigue and distress with perceived medical errors. JAMA 2009;302:1294-1300.
Thema: Zusammenhang zwischen Erschöpfung und medizinischen Fehlern bei Ärzten
Studien zeigen, dass die Beteiligung an oder Verantwortung für einen Fehler zu einer schweren Belastung der betroffenen Fachpersonen führen kann (z.B. Schlaflosigkeit, reduzierte Lebensqualität). Es mehren sich jedoch auch die Hinweise, dass dieser Zusammenhang möglicherweise reziprok ist, dass also beispielsweise Burnout-Symptomatik, Erschöpfung oder Depression nicht nur in der Folge eines Fehlers entstehen, sondern auch das Risiko für zukünftige Fehler erhöhen können.
Seit einigen Jahren wird in der Mayo Klinik in Rochester (USA) eine prospektive Longitudinaluntersuchung unter Assistenzärzten der inneren Medizin zu dieser Thematik durchgeführt. Durch die wiederholte Befragung der gleichen Individuen können Kenntnisse darüber gewonnen werden, wie sich Belastungssituation und Fehlererfahrung im Zeitverlauf entwickeln, ob also beispielsweise Erschöpfungssymptome vor oder nach einem Fehler eintraten. Die teilnehmenden 380 Assistenten füllen dabei jedes Quartal einen Fragebogen aus, der mehrere standardisierte Instrumente enthält. Folgende Aspekte werden dabei erhoben: Lebensqualität (lineare Analogskala), Burnout (Maslach Burnout Inventory), Depressions Screening (Spitzer; keine klinische Diagnose sondern ein Screening-Instrument), Schläfrigkeit (Epworth Sleepiness Scale), Erschöpfung (lineare Analogskala). Zudem geben die Befragten jedes Quartal an, ob sie in den vergangenen 3 Monaten einen bedeutenden medizinischen Fehler gemacht haben.
Die Autoren untersuchten in dieser Publikation, ob Schläfrigkeit, Erschöpfung, Depression und Burnout mit dem Berichten eines medizinischen Fehlers – auch unabhängig voneinander – assoziiert sind. Assistenzärzte, die einen Fehler berichteten, hatten eine signifikant tiefere Lebensqualität, hatten höhere Burnout-Werte, litten unter stärkerer Erschöpfung, und hatten ein nahezu dreifach erhöhtes Risiko, positiv auf eine Depression "gescreent" zu sein. Auch wenn in multivariaten Modellen die Angaben zum Grad der Erschöpfung und der Schläfrigkeit adjustiert wurden, erhöhten Burn-out und Depression das Risiko in den Folgemonaten einen Fehler zu berichten signifikant. Die Wahrscheinlichkeit, in den folgenden 3 Monaten einen Fehler zu berichten erhöht sich von 10% auf 15% bei Erschöpfung, von 10% auf 20% bei Depression und von 10% auf 28% bei Vorliegen von Beidem. Gerade weil diese Belastungsreaktionen relativ häufig sind, ist diese Risikozunahme relevant und für die Patientensicherheit von Bedeutung. Die Studie zeigt damit, dass Erschöpfung, Schläfrigkeit und psychische Belastungsreaktionen wie Burnout verwandte, aber doch unabhängig voneinander wirkende Faktoren sind, die das Risiko für Fehler erhöhen. Die Ergebnisse der Studie legen damit nahe, dass neben Massnahmen zur Reduzierung von Erschöpfung und Schläfrigkeit (z.B. Arbeitszeitregelungen) auch Interventionen zur Prävention, Identifikation und Reduzierung von Belastungsreaktionen bei Ärzten notwendig sind. Die Stiftung für Patientensicherheit widmet sich aus diesem Grund der Problematik des "zweiten Opfers" in einem umfangreichen Projekt und wird mit Unterstützung der Schweizerischen Ärztegesellschaft FMH Handlungsempfehlungen zum internen Umgang mit Fehlern für Betriebe zur Verfügung stellen.
PD Dr. D. Schwappach, MPH
Wissenschaftlicher Leiter der Stiftung für Patientensicherheit
Link zum Abstract: http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/19773564
"Paper of the Month"
Mit dem "Paper of the Month" möchte die Stiftung für Patientensicherheit eine interessante Dienstleistung für diejenigen Personen erbringen, die einerseits bei neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen up-to-date sein möchten, andererseits nicht über die Ressourcen verfügen, das gesamte Feld zu beobachten. Die Stiftung für Patientensicherheit stellt etwa alle vier Wochen eine aktuelle wissenschaftliche Studie zur Patientensicherheit und ihre Kernergebnisse vor. Sie wählt dafür internationale Studien aus, die einerseits eine hohe Qualität aufweisen und die sie andererseits subjektiv als wichtig beurteilt, zum Beispiel aufgrund einer wichtigen Fragestellung oder einer innovativen Methodik.
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