24.05.2009 |
Stiftung Patientensicherheit, Schweiz: Medikations-Diskrepanzen beim Übergang vom Spital ins Pflegeheim
Tija J, Bonner A, Briesacher BA et al.: Medication discrepancies upon hospital to skilled nursing facility transitions Journal of General Internal Medicine 2009; 24: 630-635
Thema: Medikations-Diskrepanzen beim Übergang vom Spital ins Pflegeheim
Der Abgleich von Medikamenten-Verordnungen („reconciliation“) hat beim Wechsel zwischen verschiedenen Gesundheitseinrichtungen für die Patientensicherheit eine besondere Bedeutung. Oft existieren in solchen „Transfer-Situationen“, zum Beispiel zwischen stationärer und ambulanter Versorgung, verschiedene Dokumentationen, die zum Teil unvollständige, doppelte, oder widersprüchliche Angaben zur weiteren Medikamenteneinnahme enthalten können. Tija et al. untersuchten, wie häufig Diskrepanzen in den Medikamenten-Verordnungen zwischen verschiedenen Dokumentationen beim Wechsel von der akut-stationären zur subakuten Versorgung in einem Pflegeheim auftreten. „Diskrepanzen“ sind dabei unerklärte Unterschiede zwischen Medikations-Regimen. Sie beinhalten die komplette Auslassung von Verordnungen, die Auslassung von Teilinformationen (z.B. Dosierung) sowie Unterschiede zwischen individuellen Verordnungsangaben zwischen verschiedenen Dokumentationsquellen (z.B. zwei verschiedene Angaben zur Dosierung). Die Autoren verglichen für jeden eingeschlossenen Patienten die Medikations-Angaben in zwei vom Spital erstellten Austritts- Dokumentationen („Überweisungsbericht“ und „Austrittskurzbericht“) mit der bei Eintritt im Pflegeheim erstellten Medikations-Liste. Dabei wurden also die bei Spitalaustritt verordneten Medikamente mit jenen abgeglichen, die das Pflegeheim nach der Aufnahme verschreiben würde. Jeweils zwei geschulte Pflegefachpersonen extrahierten anhand eines standardisierten Protokolls aus den Dokumenten alle Medikationsangaben. Jeweils 100 Patientenaufnahmen aus zwei Pflegeheimen wurden in die Studie eingeschlossen. Alle Diskrepanzen wurden mit weiteren Detailangaben zum Fall registriert. Von den 2.319 Medikationen, die analysiert wurden, wiesen 21% Diskrepanzen auf. Bei 71% der Patientenaufnahmen ins Pflegeheim trat mindestens eine Diskrepanz auf (Spannweite: 0-12 Diskrepanzen, Durchschnitt: 3,5 Diskrepanzen). 62% aller Diskrepanzen bezogen sich auf die beiden Dokumentationen, die durch das Spital erstellt wurden. Die verbleibenden 38% der Diskrepanzen traten zwischen der bei Aufnahme im Pflegeheim erstellten Medikationsliste und den Dokumentationen aus dem Spital auf. Besonders häufig waren widersprüchliche Angaben hinsichtlich Dosierung und Einnahmeweg. Diskrepanzen wurden am häufigsten beobachtet bei gastrointestinalen (16%), kardiovaskulären (13%) und neuropsychiatrischen Medikamenten (8%), Opioid-Analgetika (12%), Hypoglykämika (8%), Antibiotika (7%), und Antikoagulantien (7%). Die Studie zeigt, dass es beim Austritt aus dem Spital und Eintritt in ein Pflegeheim häufig zu Widersprüchen in den Medikamenten- Verordnungen zwischen den Institutionen kommt. Diskrepanzen entstehen häufig aber nicht erst durch die Weiterverarbeitung in der aufnehmenden Institution, sondern sind schon in den verschiedenen Dokumentationen der entlassenden Institution vorhanden. Zum Teil kann dies dadurch erklärt werden, dass die Entlassungspapiere zu verschiedenen Zeitpunkten vor der Entlassung erstellt und damit unterschiedlich aktuell sind. Solche Widersprüche sind allerdings zur optimalen, sicheren Weiterversorgung unbedingt zu vermeiden. Obwohl die Studie keine Verknüpfung zu aktuellen oder potentiellen Patientenschädigungen durch Widersprüche in den Verordnungen unternommen hat, zeigen die häufig in Diskrepanzen involvierten Arzneimittel, dass davon ein erhebliches Gefahrenpotential ausgeht. Patienten mit einer grösseren Anzahl von Medikamenten-Verordnungen sind durch das sich akkumulierende Risiko besonders betroffen und würden von einem systematischen Medikamenten- Abgleich, gerade beim Transfer zwischen verschiedenen Institutionen, besonders profitieren.
PD Dr. D. Schwappach, MPH
Wissenschaftlicher Leiter der Stiftung für Patientensicherheit
Link zum Abstract: http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/19291332
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