Stiftung für Patientensicherheit, Schweiz: "Analyse von Schadensfall-Meldungen in Schweden"
Pukk-Härenstam K, Ask J, Brommels M et al.: Analysis of 23 364 patient-generated, physicianreviewed malpractice claims from a non-tort, blamefree, national patient insurance system: lessons learned from Sweden Post Grad. Med. Journal 2009; 85: 69-73 (reprint) / Quality & Safety Health Care. 2008; 17: 259-263
Thema: Analyse von Schadensfall-Meldungen in Schweden
Wie in anderen skandinavischen Ländern auch können medizinische Zwischenfälle mit vermeidbarer Schädigung in Schweden durch Patienten einer nationalen, staatlichen Versicherungsagentur gemeldet werden. Die Beschwerden werden ohne gerichtliches Verfahren („non-tort“) durch Kliniker geprüft und die Patienten finanziell entschädigt, wenn ein medizinischer Fehler mit einer Schädigung vorliegt. Diese Kompensation soll für Einkommensverlust, medizinische Ausgaben sowie Schmerzen entschädigen. Für die Leistungserbringer haben weder Meldung noch Kompensation der Patienten Konsequenzen („blame-free“). Die Schadensfälle werden nicht an regulatorische Behörden weitergegeben und es wird auch kein individuelles Dossier für Leistungserbringer erstellt. Pukk-Härenstam et al. untersuchten, wie häufig es zu Schadensmeldungen kommt, wie häufig Schadensmeldungen anerkannt und kompensiert werden, und welche klinischen Bereiche besonders betroffen sind. Hierfür analysierten sie 23.364 Schadensmeldungen der Jahre 1997-2004, und führten diese mit Daten zu den Spitalentlassungen zusammen. Über den gesamten Zeitraum lag die Meldungsrate bei 0.2%. Dass heisst, nach 1000 Entlassungen aus dem Spital wurden im Durchschnitt zwei Schadensmeldungen abgegeben. Die Variation zwischen den Jahren war dabei minimal. Von den Schadensmeldungen wurde die Hälfte anerkannt (49.5%) und die Patienten finanziell kompensiert. Die klinischen Fächer sind in unterschiedlichem Ausmass betroffen: 88% aller Meldungen und 90% aller Entschädigungen aber nur 46% aller Entlassungen betrafen die chirurgischen Fächer. Die höchsten Melderaten waren in der Handchirurgie (0.69%), der Orthopädie (0.68%) sowie der Herzchirurgie (0.65%), die niedrigsten in der Geriatrie, der inneren Medizin, sowie der Pädiatrie (jeweils 0.03%) zu verzeichnen. Die Anerkennungsraten der Schadensmeldungen waren in der Kinderchirurgie (67%), der Orthopädie sowie der Urologie (jeweils 60%) am höchsten und in der Dermatologie (8%), der Psychiatrie (28%) und der Onkologie (29%) am niedrigsten. Knapp 73% der gesamten Entschädigungssumme wurde für medizinische Fehler in den Fächern Gynäkologie/Geburtshilfe (31.05%), Orthopädie (26.58%) und allgemeine Chirurgie (14.93%) ausgeschüttet. Gelenkersatzimplantationen (Hüfte/ Knie) und die Hysterektomie waren die Prozeduren mit den höchsten absoluten Schadensmeldungshäufigkeiten. Relativ zur Anzahl der Entlassungen wiesen jedoch die chirurgischen Prozeduren Knochenumstellungsoperation (mit Winkel-, Rotation- oder Verschiebe-Osteotomie) und Entlastung und Neurolyse von peripheren Nerven (mittlerer Handnerv) die höchsten Schadensmeldehäufigkeiten auf. Hier kam es bei 1-1.5% aller Entlassungen zu finanziellen Kompensationsleistungen. Nur vier Prozeduren der Wirbelsäulenchirurgie hatten sowohl absolut als auch relativ hohe Meldehäufigkeiten. Wie in anderen Studien auch, liegen die Melderaten in den chirurgischen Fächern deutlich über jenen der konservativen Medizin. Hierfür gibt es viele mögliche Erklärungen wie beispielsweise eine höhere „Offensichtlichkeit“ von Schädigungen, Invasivität von Korrekturmassnahmen, oder auch wie von anderen Autoren vermutet, eine weniger intensive Arzt-Patienten-Beziehung. Die Studie ist einige der wenigen, die auf Basis einer grossen und vollständigen Datenbasis Schadensmeldehäufigkeit mit Entlassungsvolumen zusammenführt und so zeigt, dass absolute und relative Meldehäufigkeit oft nicht korrelieren. Die Verwendung der absoluten Meldehäufigkeit als „Qualitätsmerkmal“ oder Grenzwert ist somit nicht empfehlenswert sondern sollte um die Relation zur Fallzahl ergänzt werden.
PD Dr. D. Schwappach, MPH
Wissenschaftlicher Leiter der Stiftung für Patientensicherheit
Link zum Abstract: http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/19329700
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