Stiftung für Patientensicherheit, Schweiz: Paper of the Month #47 – Vermeidung unnötiger Harnkatheter bereits in der Notaufnahme
Fakih MG, Heavens M, Grotemeyer J, Szpunar SM, Groves C, Hendrich A: Avoiding potential harm by improving appropriateness of urinary catheter use in 18 emergency departments
Annals of Emergency Medicine 2014; Vol. 63, Nr. 6, 761-768
Thema: Vermeidung unnötiger Harnkatheter bereits in der Notaufnahme
Harnkatheter werden oftmals ohne ausreichende Indikation und Notwendigkeit eingesetzt. Dabei stellen sie ein Risiko dar, insbesondere für Infektionen aber auch für Verletzungen der Harnwege und andere unerwünschte Ereignisse. Daher ist es wichtig, den Einsatz von Harnkathetern auf die Situationen zu beschränken, in denen sie notwendig sind und in denen der Nutzen das Risiko überwiegt. Im Spital wird die Entscheidung für einen Harnkatheter häufig bereits bei der Notaufnahme getroffen. Daher ist es sinnvoll, die Praxis der unnötigen Katheterisierungen bereits hier anzugehen, anstatt erst auf den peripheren Stationen auf die Entfernung der nicht (mehr) benötigten Katheter zu fokussieren. Fakih et al. berichten in ihrer Studie von einem Qualitätsprojekt, in dem die Rate unangemessener Katheterisierungen in der Notaufnahme reduziert und der Anteil der ärztlichen Verordnungen für die Katheterisierung erhöht werden sollte. Daran beteiligten sich 18 Notaufnahmen in den USA. Insgesamt wurden während der Beobachtungszeit von insgesamt 7 Monaten über 13‘000 Patienten in die Studie eingeschlossen. Das Projekt beinhaltete vier Phasen, in denen jeweils auch die Daten erhoben wurden: 1) Baseline, 7 Tage: Hier wurde ohne Intervention der Status quo der - bei eintretenden Patienten - neu gelegten Harnkatheter erhoben. 2) Präimplementierung, 7 Tage: Anpassung der offiziellen Guidelines auf lokale Verhältnisse und Training der Mitarbeitenden (Pflege und Ärzteschaft). 3) Implementierung, 14 Tage: Während dieser Phase wurde das Personal kontinuierlich über angemessene Indikationen sowie richtige Techniken zur Katheterisierung geschult. Daten wurden hinsichtlich der Katheterisierung, der Indikationen, der ärztlichen Verordnungen erhoben. 4) Postimplementierung, 6 Monate: Die kontinuierliche Schulung wurde ergänzt um regelmässiges Datenfeedback zur Rate unangemessener Katheterisierungen. Während dieser Phase wurden an jeweils einem Tag im Monat die notwendigen Daten erhoben, um die Nachhaltigkeit der Intervention zu bestimmen. Die Spitäler erhielten von der Studienleitung Materialien und Instrumente zur Implementierung und Schulung. In jeder Notaufnahme wurden Pflegefachpersonen und Ärzte als „champions“ benannt, die für die Schulungen und die Implementierung verantwortlich waren. Vor der Intervention (baseline) wurde bei 9.1% der über die Notaufnahme eingetretenen Patienten ein Harnkatheter gelegt. Davon waren 74% mit angemessener Indikation und 86.4% mit ärztlicher Verordnung gelegt worden. In der Postimplementierungsphase wurde bei 5.4% der Patienten ein neuer Harnkatheter gelegt (Reduktion zur baseline: 3.76 Patienten). Davon hatten 92% eine angemessene Indikation und 88% eine ärztliche Verordnung. Eine signifikante Reduktion der Katheterisierungsraten konnte in kleinen, mittleren und grossen Spitälern beobachtet werden. Spitäler, deren Katheterisierungsrate bereits zu Beginn unter 5% lag, erzielten keine Reduktionen.
Die Studie zeigt, dass durch die lokale Adaption von nationalen Guidelines, die Bezeichnung von internen „Botschaftern“ (Champions) und die Schulung der Mitarbeitenden erhebliche Verhaltensänderungen in der Praxis unangemessener Anwendungen von Harnkathetern bereits in der Notaufnahme erzielt werden können. Beeindruckend ist insbesondere, wie gross der in relativ kurzer Zeit erzielte Effekt ist. Die langfristige Nachhaltigkeit muss allerdings noch untersucht werden. Es wurde auch nicht erhoben, ob die Häufigkeit von unangemessenen Katheterisierungen auf den Stationen im Vergleich stieg und ob die Häufigkeit von unerwünschten Ereignissen reduziert werden konnte. Gleichwohl zeigt die Studie, dass es sinnvoll ist, dem Problem des Einsatzes von Harnkathetern ohne Indikation bereits auf der Notaufnahme zu begegnen, da viele hier gelegte Katheter häufig auf den Stationen beibehalten werden, oft über unvertretbare Zeiträume mit steigendem Risiko für Infektionen und anderen unerwünschten Ereignissen. Selbstverständlich muss weiterhin auch auf den peripheren Stationen und in Pflegeeinrichtungen die Notwendigkeit von neu zu legenden oder bereits liegenden Kathetern regelmässig kritisch geprüft werden.
Prof. Dr. D. Schwappach, MPH
Wissenschaftlicher Leiter der Stiftung für Patientensicherheit
Dozent am Institut für Sozial und Präventivmedizin (ISPM), Universität Bern
(Den Volltext können wir aus Copyright Gründen leider nicht mit versenden).
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