Paper of the Month #6 |
03.11.2008 |
Stiftung für Patientensicherheit, Schweiz: "Unterschiedliche Wahrnehmung des Sicherheitsklimas nach Leitungsverantwortung"Singer SJ, Falwell A, Gaba DM, Baker LC: Patient safety climate in US hospitals: variation by management level. Med Care. 2008 Nov;46(11):1149-56 Thema: Unterschiedliche Wahrnehmung des Sicherheitsklimas nach LeitungsverantwortungMitarbeitende in Spitälern haben entsprechend ihrer Ausbildung und Tätigkeit einen sehr unterschiedlichen Blick auf die Sicherheitskultur. Insbesondere Mitarbeitende mit Haupttätigkeit in der Patientenversorgung beurteilen ihre Institution oft anders als Personen mit Führungsverantwortung, die "weiter weg sind vom klinischen Alltag". Singer et al. untersuchten diesen Zusammenhang zwischen der Beurteilung des Patientensicherheitsklimas durch Mitarbeiter und deren Leitungsverantwortung. Dazu befragten sie knapp 20'000 Mitarbeitende aus 92 US-amerikanischen Krankenhäusern mit Hilfe eines standardisierten Fragebogens. Die Mitarbeitenden wurden darin zu ihrer Einschätzung hinsichtlich der Verbreitung sicherheitsrelevanter Einstellungen und Verhaltensweisen im jeweiligen Spital befragt. Das Instrument umfasst 8 Subskalen mit 38 Items, zum Beispiel interpersonelle Faktoren wie Angst vor Schuldzuweisungen nach einem Fehler oder organisationelle Faktoren wie die Angemessenheit der für die Sicherheit eingesetzten Ressourcen. Die Häufigkeit "problematischer Antworten", also solcher die das Fehlen einer Sicherheitskultur ausdrückten, wurde für die verschiedenen Berufsgruppen und das Ausmass der Leitungsverantwortung (Führungskraft, Vorgesetzte, Mitarbeiter der Patientenversorgung) analysiert. Dabei wurden Unterschiede in Spitalmerkmalen (z. B. Bettenzahl) und persönlichen Merkmalen des Antwortenden (zB Geschlecht) kontrolliert und bleiben daher ohne Einfluss auf die Ergebnisse. Über alle Mitarbeitergruppen und alle Fragebogen-Skalen hinweg deuteten 17% der Antworten auf ein mangelndes Sicherheitsklima hin. Besonders häufig wurde eine verbreitete Angst vor Schuldzuweisungen sowie eine fehlende Unterstützung für Sicherheitsbemühungen angegeben. Für 7 von 8 Dimensionen gaben Mitarbeiter in der Patientenversorgung und Vorgesetzte signifikant häufiger problematische Antworten (über alle Dimensionen hinweg: 17.6% vs. 16.0% vs. 12.8%). Das heisst, dass Führungspersonen die Sicherheitskultur systematisch besser beurteilen als Mitarbeiter in der direkten Patientenversorgung. Innerhalb der verschiedenen Berufsgruppen waren die Unterschiede nach Leitungsverantwortung deutlich geringer bei Ärzten, und am höchsten bei Mitarbeitenden aus dem pflegerischen Bereich. Bei den Pflegefachpersonen gaben 19.1% der Mitarbeiter in der direkten Patientenversorgung, 14.9% der Vorgesetzten und nur 11.5% der Führungspersonen problematische Antworten. Unter den Ärzten waren es 17.0%, 18.2% und 16.1%. Diese Muster waren für alle Fragebogen-Dimensionen konsistent, mit Ausnahme der "Beobachtung unsicherer Verhaltensweisen". Diese dokumentierten Unterschiede zwischen ärztlichem und pflegerischem Bereich können darauf zurückzuführen zu sein, dass Ärzte bei Ausübung einer Führungsposition die klinische Tätigkeit sehr viel häufiger weiterführen während Pflegefachpersonen die Arbeit in der Patientenversorgung dann oftmals einstellen. Eine mögliche Erklärung für die grossen Unterschiede zwischen Mitarbeitern in der Patientenversorgung und Führungspersonen könnte in der mangelnden beidseitigen Kommunikation sicherheitsrelevanter Ereignisse und Erfahrungen sowie selektiver Wahrnehmung liegen. Ein gemeinsames Verständnis der Sicherheitskultur ist wichtig, um zielgerichtet Massnahmen zur Verbesserung der Sicherheit einleiten zu können. Hinweis: Die Autorengruppe hat aktuell einen weiteren Artikel publiziert, in dem die vorliegenden Daten hinsichtlich von Unterschieden nach Arbeitsbereichen analysiert wurden: Patient Safety Climate in 92 US Hospitals: Differences by Work Area and Discipline. Med Care. 2009 Jan;47(1):23-31. http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/19106727 PD Dr. D. Schwappach, MPH Wissenschaftlicher Leiter der Stiftung für Patientensicherheit Link zum Abstract: http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/18953225 "Paper of the Month" Mit dem "Paper of the Month" möchte die Stiftung für Patientensicherheit eine interessante Dienstleistung für diejenigen Personen erbringen, die einerseits bei neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen up-to-date sein möchten, andererseits nicht über die Ressourcen verfügen, das gesamte Feld zu beobachten. Die Stiftung für Patientensicherheit stellt etwa alle vier Wochen eine aktuelle wissenschaftliche Studie zur Patientensicherheit und ihre Kernergebnisse vor. Sie wählt dafür internationale Studien aus, die einerseits eine hohe Qualität aufweisen und die sie andererseits subjektiv als wichtig beurteilt, zum Beispiel aufgrund einer wichtigen Fragestellung oder einer innovativen Methodik. |