01.10.2013 |
Stiftung für Patientensicherheit, Schweiz: Paper of the Month #42 – Technische Fähigkeiten und Komplikations-raten in der bariatrischen Chirurgie
Birkmeyer JD, Finks JF, O’Reilly A, Oerline M, Carlin AM, Nunn AR, Dimick J, Banerjee M, Birkmeyer NJO (für die Michigan Bariatric Surgery Collaborative):
Surgical Skill and Complication Rates after Bariatric Surgery
New England Journal of Medicine 2013; 369(15): 1434-1442
Thema: Technische Fähigkeiten und Komplikations-raten in der bariatrischen Chirurgie
Wie bei vielen komplexen invasiven Eingriffen ist auch in der bariatrischen Chirurgie die Varianz der Ergebnisse und Komplikationen gross. Bisher existieren kaum Unter-suchungen, die den direkten Zusammenhang zwischen technischen Fähigkeiten eines Chirurgen und den auftre-tenden Komplikationen dokumentieren. Da die Beobach-tung und Bewertung technischer Fähigkeiten aufwendig ist, wurden die chirurgischen skills bislang in der Regel über Proxy-Indikatoren wie OP-Fallzahlen abgebildet. Birkmeyer et al. untersuchten nun im Rahmen der „Michi-gan Bariatric Surgery Collaborative“ den direkten Zusam-menhang zwischen den technischen skills von Chirurgen und den klinischen outcomes bei laparoskopischen Ma-genbypassen. 20 Chirurgen nahmen freiwillig an der Stu-die teil. Sie stellten jeweils eine - in ihren Augen repräsen-tative - Videoaufnahme einer durch sie durchgeführten Operation zur Verfügung. Jedes Video wurde dann durch mindestens 10 Chirurgen der Michigan Bariatric Surgery Collaborative (n=33) bewertet, die selber keine Videos eingereicht hatten. Die Videos waren anonymisiert und die operierenden Chirurgen nicht identifizierbar. Für die Be-wertung der technischen Fähigkeiten wurde eine Adaption des „Objective structured assessment of technical skills“ Instrumentes verwendet. Die technischen skills werden dabei in fünf Domänen (z.B. Instrumenten-Handhabung, Zeit und Bewegung, etc.) bewertet und es wird eine Ge-samtbeurteilung erhoben. Es wurde eine 5er-Skala ge-nutzt, wobei eine höhere Zahl eine bessere Beurteilung der technischen chirurgischen Fähigkeiten bedeutet. Für die statistische Analyse wurde die durchschnittliche Be-wertung des Videobandes durch die chirurgischen Kolle-gen verwendet. Der primäre Endpunkt war das Auftreten postoperativer chirurgischer oder medizinischer Komplika-tionen bei allen durch den jeweiligen Chirurgen behandel-ten Patienten (z.B.: Wundinfektion, Abszess, anastomoti-sche Striktur, Pneumonie, Herzinfarkt, etc.). Ebenso wur-den ungeplante Reoperationen, Wiederaufnahmen und die 30-Tage Mortalität untersucht. Im Zeitraum von 6 Jah-ren wurden Daten von über 10‘000 Patienten in die Studie eingeschlossen. Die klinischen outcomes wurden risiko-adjustiert, um Unterschiede in den Patientenkollektiven verschiedener Chirurgen zu berücksichtigen. Die Gesamt-beurteilung der 20 Chirurgen variierte stark (zwischen 2.6-4.8). Die 5 Chirurgen im untersten Bewertungsquartil hat-ten eine durchschnittliche Gesamtbeurteilung von 2.9, die 10 Chirurgen in den mittleren Quartilen von 3.7, und die 5 Chirurgen im besten Quartil hatten eine durchschnittliche Gesamtbeurteilung von 4.4. Chirurgen in dem besten Quartil hatten deutlich höhere Fallzahlen sowie kürzere durchschnittliche OP-Zeiten/Eingriff (ca. 40 Minuten kür-zer). Sowohl die medizinischen als auch die chirurgischen Komplikations- und auch die Mortalitätsraten waren signi-fikant mit der Beurteilung der technischen Fähigkeiten der individuellen Chirurgen assoziiert. Beispielsweise betrug die Gesamtkomplikationsrate im untersten Quartil 14.5% und im besten Quartil 5.2%. Besonders bei den Infektio-nen und pulmonalen Komplikationen unterschieden sich die Chirurgen je nach Beurteilung ihrer technischen skills. Die Mortalitätsraten variierten zwischen 0.26% und 0.05% im untersten und obersten Quartil der Beurteilungen. In verschiedenen zusätzlichen Analysen wurden auch Be-wertungen von Chirurgen ausserhalb Michigans eingeholt sowie von jedem Chirurgen ein zweites Video beurteilt. Keine dieser Sensitivitätsanalysen veränderte die zentra-len Ergebnisse der Studie. Limitationen, die z.B. durch die Selbst-Selektion der Chirurgen und die Videobänder bestehen, führten vermutlich eher zu einer positiven Verzer-rung. Die Studie zeigt eindrücklich die Varianz in den technischen Fähigkeiten von Chirurgen und die Bedeu-tung dieser Fähigkeiten für die klinischen Ergebnisse. Dies ist kein Widerspruch zur Wichtigkeit der nicht-technischen skills, wie zum Beispiel Teamarbeit. Im Gegenteil zeigt die Studie, dass mit guten Fähigkeiten auf verschiedenen Di-mensionen erhebliche positive Effekte für die Patientensicherheit erzielbar sind.
Prof. Dr. D. Schwappach, MPH
Wissenschaftlicher Leiter der Stiftung für Patientensicherheit
Dozent am Institut für Sozial und Präventivmedizin (ISPM), Universität Bern
(Den Volltext können wir aus Copyright Gründen leider nicht mit versenden).
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