03.08.2016 |
Stiftung für Patientensicherheit, Schweiz: Paper of the Month #61 – MoMo reloaded: Spitalweite Implementierung einer strukturierten Mortalitäts-Morbiditäts-Konferenz
Kwok ESH, Calder LA, Barlow-Krelina E et al.: Implementation of a structured hospital-wide morbidity and mortality rounds model
BMJ Quality and Safety 2016; doi:10.1136/bmjqs-2016-005459
Thema: MoMo reloaded: Spitalweite Implementierung einer strukturierten Mortalitäts-Morbiditäts-Konferenz
Die Morbiditäts- und Mortalitätskonferenz (MoMo) hat als Instrument der medizinischen Weiterbildung im Spital eine lange Tradition. Dabei werden unerwartete Verläufe und Todesfälle in einer interdisziplinären Fallbesprechung vorgestellt und die vorausgegangene medizinische Versorgung kritisch diskutiert. Ein wesentliches Ziel der MoMo-Konferenz ist, ein gemeinsames Lernen der Fachpersonen zu initiieren, Verbesserungsmöglichkeiten zu erkennen und dadurch die Qualität der Patientenversorgung zu steigern. In den letzten Jahren hat sich die MoMo in vielen Institutio-nen von einem Gefäss des reinen «klinischen Teachings» weiterentwickelt. Zunehmend werden Aspekte der Patientensicherheit explizit behandelt und potentiell vermeidbare unerwünschte Ereignisse rücken in den Vordergrund. Die MoMo wird häufiger interdisziplinär und interprofessionell ausgerichtet und es besteht der Anspruch, die Systemperspektive zu berücksichtigen. Von der MoMo sollen Impulse für das organisationale Lernen ausgehen. Eine «gute Mo-Mo» wird also deutlich komplexer und in der Vorbereitung, Durchführung und Aufbereitung anspruchsvoller. Obwohl die MoMo sehr etabliert ist, gibt es bislang wenig Modelle, wie deren Qualität sichergestellt oder verbessert werden kann. Eines der wenigen Konzepte ist das Ottawa M&M Modell (OM3). OM3 beinhaltet klare Vorgaben zur Fall-Selektion (z.B. Vermeidbarkeit), zur strukturierten Analyse (z.B. Identifikation von kognitiven und systembezogenen Aspekten), zur Ableitung konkreter, spezifischer Konsequenzen für die Abteilung (insbesondere organisationsbezogen) und wie diese verbreitet werden. Ferner bestehen Vorgaben zur Rolle des Moderators und zum Einbezug verschiedener Disziplinen und Professionen.
Kwok et al. führten das OM3 in einem kanadischen Lehr-krankenhaus ein. In diesem Spital fanden in 30 klinischen Gruppen MoMos statt, von denen in 24 das OM3-Modell neu implementiert und in 6 die bisherige MoMo weitergeführt wurde. Die teilnehmenden 24 Gruppen repräsentier-ten 1584 Ärzte. Die klinischen Gruppen wurden durch Schulungsmaterialien, Workshops, Austauschtreffen sowie die gemeinsame Erstellung eines Implementierungsplans bei der Einführung des OM3-Modells unterstützt. Die Autoren untersuchten die Veränderung der MoMos in den klinischen Gruppen über etwa 1.5 Jahre. Zur Beurteilung der Veränderungen mit dem neuen Modell wurden einerseits verschiedene Teilnehmerbefragungen durchgeführt. Ande-rerseits wurde für jede klinische Gruppe die MoMo-Aktivität erfasst und anhand eines Qualitätsscores vor und nach der Einführung des OM3-Modells bewertet. Der Score umfasst 8 Elemente, bei denen jeweils zwischen 0 und 3 Punkten vergeben wurde. Waren alle Elemente bestmöglich erfüllt, wurden also 24 Punkte vergeben. Über alle 24 klinischen Gruppen hinweg stieg der Qualitätsscore im Median von 12/24 Punkte auf 20/24 Punkte. Insbesondere die Qualität der Fallauswahl und Fallanalyse verbesserte sich. Die Frequenz der durchgeführten MoMos veränderte sich nicht. In den 6 klinischen Gruppen, die nicht an dem neuen Modell partizipierten, lag der Qualitätsscore initial bei 12/24 Punkten und war am Ende der Beobachtungszeit unverändert. In den Befragungen der Teilnehmer an den MoMos zeigte sich, dass mit der Intervention deutlich häufiger kognitive und systembezogene Aspekte in den MoMos diskutiert wurden. In der jeweils direkt am Anschluss einer MoMo durchgeführten schriftlichen Teilnehmerbefragung gaben 85% und 87% an, dass kognitive und systembezogene Aspekte des Falls diskutiert worden waren (z.B. kognitive Verzerrungen und Fehler bei der Diagnosefindung). Interviews mit den Vertretern der klinischen Gruppen zeigten, dass die überwiegende Mehrheit (96%) das OM3-Modell als effektiv oder sehr effektiv in der Erfüllung der gruppenspezifischen MoMo-Anforderungen beurteilte. Alle würden das Modell anderen klinischen Gruppen weiterempfehlen, die die Qualität und Prozesse ihrer MoMos verbessern wollen. Als wichtiger Erfolgsfaktor des OM3-Modells wurde der explizit strukturierte Ansatz genannt, der zu effektiven Diskussionen führt. Es wurden 45 Veränderungsmassnahmen berichtet, die direkt aus den MoMo-Analysen abgeleitet wurden, z.B. die Einführung eines Protokolls zur Beschriftung von Laborproben oder die Schulung von Pflegefachpersonen im Umgang mit Infusionspumpen. Die MoMo ist ein Gefäss, welches an den meisten Spitälern etabliert und anerkannt ist. Dennoch haben viele Kliniken Probleme, die MoMo für organisationales Lernen zu nutzen und die Qualität der Fallbesprechungen zu verbessern. Mit dem OM3 existiert ein Modell, welches ersten Erfahrungen nach umsetzbar und akzeptiert ist, und durch klare Anleitungen und Vorgaben zu Vereinheitlichung und Verbesserung führt.
Prof. Dr. D. Schwappach, MPH
Leiter Forschung und Entwicklung von Patientensicherheit Schweiz und Dozent am Institut für Sozial und Präventivmedizin (ISPM), Universität Bern
(Den Volltext können wir aus Copyright Gründen leider nicht mit versenden).
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