05.06.2018 |
Stiftung für Patientensicherheit, Schweiz: Paper of the Month #74 – Systematisches Kurz-Feedback zwischen Ärztinnen/Ärzten auf dem Notfall
Freund Y, Goulet H, Leblanc J, Bokobza J, Ray P, Maignan M et al.: Effect of Systematic Physician Cross-checking on Reducing Adverse Events in the Emergency Department: The CHARMED Cluster Randomized Trial
JAMA Internal Medicine, 2018. doi:10.1001/jamainternmed.2018.0607
Thema: Systematisches Kurz-Feedback zwischen Ärztinnen/Ärzten auf dem Notfall
Die sichere Behandlung von PatientInnen auf der Notfallstation ist eine besondere Herausforderung. Ärztliche Entscheidungen müssen unter Zeitdruck, mit zum Teil unvollständigen Informationen und oftmals für mehrere PatientInnen gleichzeitig getroffen werden. Obwohl Entscheidun-gen in dieser Situation die weitere Versorgung bestimmen werden sie meist von einzelnen Ärztinnen und Ärzten ohne kollegialen Austausch getroffen. Unter den Bedingungen einer Notfallaufnahme kommt es nicht selten zu Fehlern und unerwünschten Ereignissen. Freund et al. untersuchten in ihrer Studie, ob der systematische Austausch zwischen zwei Notfallärztinnen/-ärzten die Häufigkeit uner-wünschter Ereignisse reduziert. Dabei wurden sechs Notaufnahmen französischer Spitäler cluster-randomisiert. Drei Notaufnahmen führten zunächst die Intervention ein, gefolgt von einer Kontroll-Periode. Drei andere Notaufnahmen behandelten zunächst in einer Kontroll-Periode wie bislang, um dann die Intervention einzuführen (2-Period Crossover). Jede Periode dauerte 10 Tage, unterbrochen durch eine einmonatige Auswasch-Phase. Die Intervention bestand in einem systematischen, kurzen Austausch der Ärztinnen und Ärzte von der Notfallstation („cross-check“) mit einem Kollegen („Peer“). Dafür trafen sie sich zu fixen Zeiten dreimal täglich und sprachen über die aktuell von ihnen behandelten PatientInnen. Dazu gehörten unter anderem die medizinische Situation, die bisherigen Massnahmen und Befunde sowie der weitere Behandlungsplan. Im Aus-tausch wurden von den KollegInnen Feedbacks und Einschätzungen gegeben. Für die Analyse wurden je Studientag und Notaufnahme 14 PatientInnen zufällig ausgewählt, wenn sie tagsüber auf der Notaufnahme behandelt wurden und nicht in die tiefste Risikogruppe triagiert worden waren. Die untersuchten Endpunkte der Studie waren medizini-sche Fehler („near miss“ mit Schadenspotential aber ohne Schädigung) sowie vermeidbare unerwünschte Ereignisse (mit Schädigung). Die Daten wurden in einem zweistufigen Verfahren aus den elektronischen Krankengeschichten an-hand eines Protokolls extrahiert. Zwei verblindete GutachterInnen identifizierten und bewerteten potentielle Ereignisse. Insgesamt wurden 1680 PatientInnen eingeschlossen. Die Treffen zum Austausch dauerten durchschnittlich 9 Minuten in denen durchschnittlich 7 PatientInnen besprochen wurden. In der Interventionsgruppe wurde die Intervention bei 32% der PatientInnen nicht durchgeführt, weil sie zwischen zwei Treffen aufgenommen und wieder entlassen wurden. Tatsächlich waren diese PatientInnen deutlich weniger stark erkrankt als diejenigen mit peer-Feedback. Von den 1680 PatientInnen wurde bei 144 (8.6%) ein Ereignis („near miss“ oder Schaden) gefunden. In der Interventions-gruppe mit Peer-Feedback waren es 54 Ereignisse bei 840 PatientInnen (6.4%), in der Kontrollgruppe 90 Ereignisse bei 840 PatientInnen (10.7%). Die relative Risikoreduktion beträgt 40%, die absolute Risikoreduktion 4.3%. Die Anzahl der PatientInnen, die mit der Intervention behandelt werden müssen um ein Ereignis zu vermeiden beträgt 24. Der stärkste Effekt wurde bei den „near misses“ gefunden. Hier gab es 49 (5.8%) in der Kontrollgruppe und 26 (3.1%) in der Interventionsgruppe (relative Risikoreduktion 47%). Bei den als vermeidbar eingeschätzten schweren Schädigungen gab es keinen signifikanten Effekt (25 (3.0%) in der Interventionsgruppe und 35 (4.2%) in der Kontrollgruppe). Die Reihenfolge von Interventions- und Kontrollphase hatte keinen signifikanten Effekt. Den schwerwiegenden ver-meidbaren unerwünschten Ereignissen lagen besonders häufig Fehler im Management der Sepsis zugrunde (24 Fälle, z.B. Zeit bis zur Antibiotika-Therapie). Deutlich seltener wurden Fehler im Management des akuten Herzversagens festgestellt (6 Fälle) sowie Fehler bei PatientInnen mit Antikoagulantien (4 Fälle). Die Studie von Freund et al. do-kumentiert in hoher methodischer Qualität, dass mit dem systematischen kollegialen Feedback PatientInnen auf dem Notfall von einer ärztlichen Zweiteinschätzung profitieren, die sonst regulär nicht vorgesehen ist. Bei stationär aufge-nommen PatientInnen gibt es im Rahmen von Übergaben oder Visiten einen peer-Austausch, wenngleich auch in der Regel nicht systematisch. Es ist unklar, ob in der Studie tatsächlich Hinweise des Peers zu einer Anpassung der Behandlungspläne führten, oder ob die Zusammenfassung und Präsentation des Falls und der eigenen Überlegungen die behandelnden Ärztinnen/Ärzte selbst zum Erkennen eines Fehler oder zu einer Adaption der Behandlung geleitet hat. Eine Limitation der Studie ist, dass nur Patienten eingeschlossen wurden, die tagsüber an Werktagen behandelt wurden. Ob und wie ein kollegiales Feedback nachts und an Wochenenden bei geringer personeller Ausstattung umgesetzt werden kann, ist unklar. Möglicherweise würden aber gerade dann die Patienten davon profitieren.
Prof. Dr. D. Schwappach, MPH
Leiter Forschung und Entwicklung von Patientensicherheit Schweiz und Dozent am Institut für Sozial und Präventivmedizin (ISPM), Universität Bern
(Den Volltext können wir aus Copyright Gründen leider nicht mit versenden).
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