Fachkommentar zu Fall des Monats 07/2016 KH-CIRS-Netz Deutschland |
30.06.2016 |
Krankenhaus-CIRS-Netz Deutschland: Fall des Monats „Juli 2016“: „Überdosierung Schmerzpflaster“ Fachkommentar des Fachbeirats CIRSmedical.de (BDA/DGAI) Download Fachkommentar Fall-Nr. 138746 (PDF) Autor: Dr. S. Heitfeld, Universitätsklinikum Carl Gustav Carus, TU Dresden, Klinik für Anästhesiologie und Intensivmedizin, UniversitätsSchmerzCentrum (USC) in Vertretung des Berufsverbandes Deutscher Anästhesisten (BDA) und der Deutschen Gesellschaft für Anästhesiologie & Intensivmedizin (DGAI) Der Umgang mit Opioiden führt auch heute noch in der klinischen Praxis zu Unsicherheiten und Anwendungsfehlern. Die Erfahrung und das Wissen der behandelnden Ärzte und Pflegekräfte hat nicht überall mit der Zunahme der Verbreitung und Anwendung von Opioiden Schritt gehalten. Zusätzlich sehen wir uns mit einer sorglosen Verschreibungspraxis konfrontiert [1,2]. Eingesetzt wird diese Medikamentengruppe in der Behandlung von Tumorschmerzen und bei chronischen nicht tumorbedingten Schmerzen [3,4]. In dem konkreten Fall wird über einen Patienten berichtet, der aufgrund einer Opioidüberdosierung somnolent und intensivpflichtig wurde. Leider geht aus der Schilderung nicht hervor, aus welchem Grund der Patient mit Opioiden behandelt wurde. Er erhielt laut Dokumentation ein Fentanylpflaster 125 μg/h (entspricht: 300 mg Morphin in oraler Dosierung) und Hydromorphon zweimal täglich. Bei Hydromorphon fehlt leider die Angabe, ob es sich um die retardierte oder die unretardierte Form des Medikamentes gehandelt hat. Somit kann die Gesamtopioidtagesdosis nicht ermittelt werden. Nachdem der Patient somnolent wurde, erhielt er probatorisch bei zusätzlich engen Pupillen Nalaxon zur Antagonisierung der Opioid-bedingten Nebenwirkung. Erst nach dieser Behandlung fällt auf, dass der Patient mit vier unterschiedlichen Fentanylpflastern (Größe, Alter) versorgt war. In der klinischen Tätigkeit treffen wir häufiger Patienten an, die aus Unwissenheit oder aufgrund einer nicht beherrschbaren Schmerzexazerbation mehrere verfügbare Pflaster, andere zugängliche Schmerzmittel oder die Schmerzmittel des Partners anwenden. Häufig sind auch die Patientenangaben über die Menge des angewendeten Opioids unvollständig oder nicht stimmig. In einem solchen Fall, wenn wie hier beschrieben Opioidpflaster zur Anwendung kommen, ist es unerlässlich, den Patienten körperlich zu inspizieren, um eine Opioidüberdosierung durch die Verwendung von mehreren Pflastern zu vermeiden. Bei der Anwendung von Fentanylpflastern ist zu berücksichtigen, dass bei einem Wechsel im Intervall von 72 Stunden immer noch eine Restbeladung von bis zu ca. 70% des Wirkstoffes Fentanyl vorliegt. Also immer noch eine Aufnahme erfolgen kann, wenn das alte Pflaster nicht entfernt wird und ein Diffusionsgefälle besteht. Des Weiteren erhielt der Patient zusätzlich Hydromorphon in Tablettenform. Hier wäre es erforderlich gewesen, den Behandler, den Pflegedienst oder eine andere betreuende Person zu kontaktieren, um den Grund für die Gesamtdosierung und die zusätzliche Opioidbehandlung zu erfahren. So wäre bereits sehr früh die Fehlanwendung aufgefallen. Auch die behandelnde Pflegekraft hätte sich bewusst machen müssen, dass bei diesem Patienten eine Opioiddauerversorgung vorliegt. Was lehrt uns dieser Fall? 1. Eine ganzheitliche Betrachtung des Patienten, einschließlich einer körperlichen Inspektion, ist unerlässlich. 2. Eine Erfassung des Schmerzniveaus mindestens 1x pro Schicht in Ruhe und Bewegung mit einer Skala (siehe Abbildung) ist zwingend erforderlich. 3. Die Medikamente, die wir anwenden, müssen wir mit den Wirkungen und Nebenwirkungen kennen. Außerdem muss auch auf den peripheren Stationen ein Opioidüberhang erkannt werden können. Bei fehlender Sachkenntnis können Schulungen und SOPs Abhilfe schaffen. 4. Ein Patient, der nur da liegt und schläfriger wird, sollte nicht einfach mit Medikamenten (hier Opioide) versorgt werden. Hier muss die Indikation überprüft werden. Literatur: [1] Opioide: Morphine werden immer sorgloser verschrieben Werber, Andreas; Schiltenwolf, Marcus, Dtsch Arztebl 2015; 112(3): A-87/B-77/C-75 [2] Zunahme der Opioidverordnungen in Deutschland zwischen 2000 und 2010, Eine Studie auf der Basis von Krankenkassendaten, Increase in opiate prescription in Germany between 2000 and 2010—a study based on insurance data,Dtsch Arztebl Int 2013; 110(4): 45-51; DOI: 10.3238/arztebl.2013.0045 Schubert, Ingrid; Ihle, Peter; Sabatowski, Rainer [3] AWMF S3 Leitlinie: Palliativmedizin für Patienten mit einer nicht heilbaren Krebserkrankung [4] AWMF S3 Leitlinie, Opioide, Langzeitanwendung zur Behandlung bei nicht tumorbedingten Schmerzen |