Fachkommentar zu Fall des Monats 03/2020 KH-CIRS-Netz Deutschland |
04.03.2020 |
Krankenhaus-CIRS-Netz Deutschland: Fall des Monats „März 2020“: „Nichteinhaltung des Medizinproduktegesetzes“ Fachkommentar des Fachbeirats CIRSmedical.de (BDA/DGAI) Download Fachkommentar Fall-Nr. 207719 (PDF) Autor: Prof. Dr. med. habil. Matthias Hübler in Vertretung des Berufsverbandes Deutscher Anästhesisten (BDA) und der Deutschen Gesellschaft für Anästhesiologie & Intensivmedizin (DGAI)
"Trachealkanülen sind Medizinprodukte im Sinne des Medizinproduktgesetzes und der Medizinproduktebertreiberverordnung. Nach § 4 Abs. 2 Medizinproduktebetreiberverordnung dürfen nur solche Personen Medizinprodukte anwenden, die die dafür erforderliche Ausbildung oder Kenntnis und Erfahrung besitzen. Die Personen müssen zudem in die sichere Anwendung des Medizinproduktes eingewiesen werden (§ 4 Abs. 3 Medizinproduktebetreiberverordnung). […] Unabhängig von der Verpflichtung des Betreibers, entsprechende Einweisungen sicherzustellen, muss sich jeder Anwender eigenständig darum kümmern, dass er in die von ihm verwendeten Medizinprodukte eingewiesen ist bzw. prüfen, inwieweit Medizinprodukte zum Einsatz kommen, bei denen er die entsprechenden Kenntnisse nicht hat. Hier handelt es sich um eine "Holschuld" des Anwenders. […] Die Vorschriften der Medizinproduktebertreiberverordnung gelten als Schutzgesetze im Sinn des § 823 Abs. 2 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB). Verstöße gegen die Regelungen der Medizinproduktebetreiberverordnung führen, wenn dadurch ein Patient zu Schaden kommt, über § 823 Abs. 2 BGB zur Haftung auf Schadensersatz. Unabhängig davon kann ein durch die fehlerhafte Anwendung des Medizinproduktes verursachter Gesundheitsschaden für die Beteiligten zur strafrechtlichen Verantwortung wegen fahrlässiger Körperverletzung / Tötung führen." Auch, wenn der Melder die fehlende Einweisung der Mitarbeiter in der Notaufnahme beklagt, denken wir, dass dies vielleicht eine falsche Annahme ist. Unsere Begründung ist folgende: Wir verwenden zwar täglich zahlreiche Medizinprodukte, aber nicht jedes Medizinprodukt verwenden wir täglich. Jeder Anwender von Medizinprodukten weiß, dass eine Einweisung wichtig ist, aber nicht gleichgesetzt werden darf mit der Beherrschung des Gerätes. Letzteres erfordert entweder regelmäßige Anwendung oder regelmäßiges Training. Dass der hier gemeldete Fall keinen Seltenheitswert hat, zeigte eine Analyse der CIRS-AINS Datenbank, die als CIRS-AINS Spezial veröffentlich wurde [2]. Ein Resümee der Arbeit war, das tatsächliche Gerätefehler selten sind und Probleme meist durch unzureichende Geräteeinweisungen und fehlerhafte Bedienungen verursacht werden. Die fehlende Beherrschbarkeit von Medizinprodukten ist insbesondere dann von großer Bedeutung, wenn sie in zeitkritischen Situationen angewendet werden müssen. Beispiele für solche Medizinprodukte wären Defibrillatoren (incl. Schrittmacherfunktion, Kardioversion, etc.), passagere externe Herzschrittmacher, Beatmungsgeräte, Absauggeräte oder Endoskope. Die Aufzählung ist natürlich nicht vollständig, sondern jeder Anwender ist verpflichtet ("Holschuld"), in seinem Arbeitsumfeld die entsprechenden Geräte zu identifizieren und Defizite in der Beherrschung zu beseitigen. Die Organisationsverantwortlichen sollten mit ihren Mitarbeitern entsprechende Schulungen durchführen. Schwerpunkt sollten selten verwendete, aber im Notfall wichtige Medizinprodukte sein. Ideal wäre ein Schulungsabstand von 3 Monaten, um einen nachhaltigen Effekt zu erreichen.
Wir sind der Meinung, dass es sich bei dem Vorgehen der Ärztin in der Notaufnahme um ein individuelles Fehlverhalten handelte. Insofern lassen sich hier keine grundsätzlichen Empfehlungen ableiten. Andererseits ist es auch etwas verwunderlich, dass der Notarzt die Probleme antizipierte und trotzdem den Rettungsdienst-Pacer entfernte.
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