Fachkommentar zu Fall des Monats 6/2022 KH-CIRS-Netz Deutschland |
08.06.2022 |
Krankenhaus-CIRS-Netz Deutschland: Fall des Monats „Juni 2022“: „Fehlende Fachkenntnis zu Notfallkreuzprobe“ Autor: Interdisziplinäre Arbeitsgemeinschaft für klinische Hämotherapie (IAKH) in Vertretung des Berufsverbandes Deutscher Anästhesisten (BDA) und der Deutschen Gesellschaft für Anästhesiologie & Intensivmedizin (DGAI) Problemanalyse Die postoperative Versorgung mit ausgekreuzten Erythrozytenkonzentraten verzögerte sich (vermutlich) in diesem Fall, da das Laborpersonal auf das Vorliegen einer schriftlichen Anforderung bestand. Es ist anzunehmen, dass der Transport einer schriftlichen Anforderung ins immunhämatologische Labor in dieser Einrichtung viel Zeit und Aufwand erfordert (großes Gelände, weite Wege ohne Rohrpost, etc.). Dieses formal korrekte Verhalten der Person im immunhämatolgischen Labor erregte wohl den/die Kliniker/in, der/die wahrnahm, dass die Materialien zum Starten der Verträglichkeitstests vorlagen und es „nur” an der formal korrekten Beauftragung mangelte. Aus dem Zusatz zur Meldung, dass die Fachkenntnis zur Notfallkreuzprobe fehlte, kann angenommen werden, dass in dieser Einrichtung eine Verfahrensanweisung existiert, welche im dringenden Versorgungsfall eine sogenannte Notfallkreuzprobe aus dem bereits im Labor übrigen Patientenserum desselben Tages genommen werden kann (Gemäß RiLi Hämotherapie Kap. 4.4.11 ist eigentlich im Regelfall eine erneute Patientenprobe anzufordern [2]). Das scheint nicht bekannt gewesen zu sein. Weiterhin ist anzunehmen, dass die Auseinandersetzung um die zeitweise unbeauftragte Bearbeitung der Tests auf einem Boden der Kommunikationsfehler, mangelnder Vertrauensverhältnisse und persönlicher Bekanntheit entstand. Der Grad der Gefährdung lässt sich aus dieser Meldung nur schwer abschätzen, da der Anämiegrad von der meldenden Person nicht näher ausgeführt wird. Vermutlich aber bestand noch reichlich Puffer, sonst hätte der Meldende die Option der Notfallversorgung mit ungekreuzten Universalkonserven angefordert. Eventuell hatte die Person im Labor auch noch Zugriff auf den aktuellen Hämoglobinwert und hat angenommen, dass die Zeit zum Einreichen der schriftlichen Anforderung ausreicht. Das ist zwar ohne die klinische Beurteilung des Patienten und dessen Symptomatik/Volumenstatus schwerlich immer richtig vom Labor aus zu beurteilen, aber in gewissen Bereichen doch möglich. Zumindest hätte die Notfallindikation telefonisch mit den anfordernden Therapeuten (im harmonischen Einverständnis und gegenseitigem Respekt) geklärt werden können. Deshalb ist anzunehmen, dass Gründe für die Konfliktsituation bei der Kommunikation und dem gegenseitigen Verständnis der betroffenen Mitarbeiter bestanden. Denkbar sind Stress, Personalknappheit, Mobbing, Gruppenbildung etc. Die Ursachen sollten analysiert (z.B. M&M-Konferenz) und beseitigt werden, um zukünftige Patientengefährdungen zu vermeiden. Die Anforderung von Erythrozyten/Blutkonserven stellt eine ganz besondere Verschreibung von Arzneimittel dar, da sie nicht nur für den Empfänger speziell getestet werden müssen, sondern auch noch je nach Indikation, Dringlichkeit und existierender Lebensgefahr unterschiedlich dosiert, verschieden schnell auszuliefern und zu verabreichen sind. Die Verschreibung, die Anwendung und Dokumentation der Therapie ist sowohl im AMG (§48 Verschreibungspflicht [1]) als auch in der Richtlinie Hämotherapie (Kap. 4 [2]) und den Querschnittsleitlinien Hämotherapie (Kap. 1.5 [3]) geregelt. Die Bedeutung dieser Besonderheit sollte allen Mitarbeitern bekannt sein. So heißt es wortwörtlich im Kap. 4.8 der RiLI HT: „Verschreibung von Blutprodukten (Anforderung) Die Verschreibung von zellulären Blutprodukten und therapeutischem Plasma erfolgt für jeden Empfänger schriftlich unter Angabe der Diagnose, von Transfusionen, Schwangerschaften, allogenen Stammzelltransplantationen, Medikamenten (z. B. hochdosiertes i. v. Ig G, therapeutische Antikörper, hochdosierte Beta-Laktam Antibiotika), welche die Verträglichkeitsprobe beeinträchtigen, der blutgruppenserologischen Untersuchungsergebnisse, der zeitlichen Dringlichkeit sowie des vorgesehenen Transfusionstermins durch den anfordernden Arzt.” Prozessqualität:
Strukturqualität:
Literatur:
Kap. 4.4.11: „Die serologische Verträglichkeitsprobe ist die notwendige Sicherung der Verträglichkeit vor jeder Transfusion von Erythrozytenpräparaten. Sie dient der Erkennung blutgruppenserologischer Unverträglichkeiten zwischen Spender und Empfänger durch Überprüfung der Verträglichkeit zwischen Empfängerserum/-plasma und Spendererythrozyten (früher Majortest). Der indirekte AHG-Test (s. Abschnitt 4.4.9.1) ist Bestandteil der serologischen Verträglichkeitsprobe. Durch die serologische Verträglichkeitsprobe sollen auch Verwechslungen und Fehlbestimmungen aufgedeckt werden. Aus jeder neu abgenommenen Patientenblutprobe ist eine Kontrolle der AB0-Blutgruppenmerkmale und des RhD-Merkmals durchzuführen.”
Kap 1.5.1.2.2: „Der Hb-Wert von 7 g/dl (4,3 mmol/l) war bei Patienten mit stabilen Herz-Kreislauf- Funktionen einschließlich kritisch kranker Intensivpatienten als Grenzwert zur Transfusionsindikation höheren Hb-Werten gleichwertig. Bei stabilen Kreislaufverhältnissen, Normovolämie, fehlenden patienteneigenen Risikofaktoren und gegebener Überwachungsmöglichkeit ist auch eine Hb-Konzentration unter 7 g/dl allein nicht immer ein suffizientes Transfusionskriterium. Bei adäquater Kompensation können individuell niedrigere Hb-Werte, beispielsweise infolge peripartaler Blutung, ohne Transfusion toleriert werden” Kap. 1.5.3: „Eine Voraussetzung für eine risikoarme Übertragung von EK ist deren Auswahl unter Berücksichtigung der blutgruppenserologischen Befunde. Patienten, bei denen vor Transfusion ein klinisch relevanter Antikörper, z. B. Anti-D, Anti-Kell, nachgewiesen wurde, dürfen nur mit EK versorgt werden, deren Erythrozyten das korrespondierende Antigen nicht tragen. Dies auch dann, wenn der Antikörpertiter im weiteren Verlauf abfällt und eventuell zum Zeitpunkt der Transfusion nicht mehr nachzuweisen ist. Mädchen sowie gebärfähige Frauen sollten keine EK erhalten, die zu einer Immunisierung gegen wichtige Antigene des Rhesus (Rh)-Systems (Rh-Formel) oder den Kell-Faktor führen können. Gegebenenfalls müssen weitere Blutgruppenmerkmale und Antikörper bestimmt werden. EK werden AB0-gleich transfundiert. In medizinisch begründeten Ausnahmefällen können auch AB0-ungleiche, sogenannte majorkompatible Präparate transfundiert werden (siehe Tabelle 1.5.3). Die Ausnahmen sind zu dokumentieren.” |