Fachkommentar zu Fall Nr. 245137 KH-CIRS-Netz Deutschland |
26.04.2023 |
KH-CIRS-Netz Deutschland: Fall Nr. 245137: „Falsch beschriftetes Kreuzblutröhrchen“ Fachkommentar des Fachbeirats CIRSmedical.de (BDA/DGAI) Download Fachkommentar Fall-Nr. 245137 (PDF) Autor: Interdisziplinäre Arbeitsgemeinschaft für klinische Hämotherapie (IAKH) in Vertretung des Berufsverbandes Deutscher Anästhesistinnen und Anästhesisten (BDA) und der Deutschen Gesellschaft für Anästhesiologie & Intensivmedizin (DGAI) Problemanalyse Dieser Fehler ist einer der häufigsten und gefährlichsten Irrtümer, die einer Fehltransfusion vorausgehen. Das Ereignis wird beim SHOT-Register [1] im Kapitel 12a als „WRONG BLOOD in TUBE (WBIT)” bezeichnet und ist der am häufigsten sich ereignende Beinahe-Fehler (Near Miss, 65% aller SHOT Meldungen), wenn nicht entdeckt vermutlich auch die häufigste vermeidbare Ursache einer potenziell tödlichen Fehltransfusion. Eigentlich ist die Transfusion eher eine Organtransplantation als eine Medikamentenanwendung. Blutprodukte müssen als gerichtete Arzneimittelverordnung für einen bestimmten Patienten in Dosis und Art korrekt sein und anders als bei anderen Medikamenten, muss die Verträglichkeit vorher getestet und die Identität des Empfängers eindeutig bestimmt werden. Deshalb hat die deutsche Richtlinie Hämotherapie auch einen Absatz, in der die Identitätssicherung geregelt ist [2]. Wie von der meldenden Person richtig angeführt, sind die häufigsten Ursachen des WBIT:
In diesem Fall ist aus dem Bericht zu ersehen, dass es sich um eine jährliche Wiederholungsfrequenz handelt, offensichtlich also relativ selten im Vergleich zu anderen Institutionen ohne SOP oder Verfahrensanweisung. Da aber dieser Fehler eine potenziell tödliche Folge haben kann, ist eine gründliche und Fall-orientierte Analyse notwendig. Es ist nicht aus der Meldung zu entnehmen, ob in der Institution eine SOP besteht. Die beitragenden Faktoren zur Missachtung einer bestehenden SOP/VA sind menschliche Irrtümer und Fehleinschätzungen, Stress und Arbeitsüberlastung, mangelnde Organisation und Struktur am Arbeitsplatz sowie Notfallsituationen. Strukturelle Maßnahmen sind am einfachsten die Kennzeichnung des Entnehmenden. Die Unterschrift des Entnehmenden unter dem Etikett sorgt für die größere Sorgfalt bei der Identitätssicherung. Eine Nachschulung in diesem Fall ist sicher sinnvoll, aber nicht alleinig wirksam, da es immer wieder zu Neueinstellungen und Situationen kommen wird, die diesem Fall ähneln (wie die Ereignisfrequenz nahelegt). Trotzdem ist eine Wiederholung der generellen Vorstellung der SOP/VA zur Identitätssicherung und der Arbeitsorganisation vor Blutentnahme in regelmäßigen Abständen (ggfs. als Pflichtfortbildung Hämotherapie mehrmals im Jahr, öffentliche Sitzungen der Transfusionskommission, Hinterlegung im QM-Handbuch, Muster der IAKH siehe unter www.iakh.de/handreichungen) sinnvoll. Für genaue Ratschläge zur Vermeidung müssen wir, da weitere Details in diesem Fall nicht berichtet werden, spekulieren. Den Beteiligten bzw. der Einrichtung ist zu raten, aus Eigeninteresse die vermeidbaren Ursachen herauszufinden und zu beseitigen. Im Endeffekt kann mit absehbarer Wahrscheinlichkeit ein Patientenschaden entstehen und die Reputation des Krankenhauses auf Dauer zerstören. Die juristisch haftbare Person ist der/die verantwortlich zeichnende Arzt/Ärztin. Gemäß Richtlinie Hämotherapie 2017 [2]) ist die Verantwortlichkeit und Haftung für die Blutentnahme in korrekter Zuordnung zum Patienten ebenso klar geregelt wie die Verantwortung für die ärztliche Verordnung der Blutgruppenbestimmung und Blutprodukteverschreibung (Anforderung der Blutgruppenbestimmung nur von Ärzten mit Sachkompetenz [3]). Insbesondere ist der Einrichtung ein technisches Absicherungssystem im Rahmen der gebotenen digitalisierten Steigerung der Patientensicherheit (gefordert von der RiLi Hämotherapie 2017) anzuraten (4.9.1.: „Eine verwechslungsfreie Zuordnung zum Präparat ist sicherzustellen, z. B. durch EDV-gestützte Fall- bzw. Aufnahmenummern”), verstärkt durch ein gleichsinniges Votum des Arbeitskreises Blut 2020 [4] und gefördert nach dem Krankenhauszukunftsgesetz [5]. Weiterhin könnte als Vorbereitung und zur Betonung der möglichen Konsequenzen ein Programm zur Vermeidung von Traumatisierung und psychischen Folgeerkrankungen von Mitarbeitern durch tragische Behandlungsverläufe [6] aufgelegt werden. Prozessqualität
Strukturqualität
Abkürzungen: ÄD - Ärztliche/r Direktor/in, EK – Erythrozytenkonzentrat, GF - Geschäftsführer/in, IT - Informationstechnik/er, M&M - Konferenz zu Morbidität und Mortalität, PDL - Pflegedienstleitung, QS – Qualitätssicherung, SOP - Standard Operating Procedure, TV - Transfusionsverantwortliche/r, VA - Verfahrensanweisung Literatur
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