Fachkommentar zu Fall des Monats 9/2023 KH-CIRS-Netz Deutschland |
07.09.2023 |
Krankenhaus-CIRS-Netz Deutschland: Fall des Monats „September 2023“: „Verwerfen eines Blutproduktes“ Autor: Interdisziplinäre Arbeitsgemeinschaft für klinische Hämotherapie (IAKH) in Vertretung des Berufsverbandes Deutscher Anästhesistinnen und Anästhesisten (BDA) und der Deutschen Gesellschaft für Anästhesiologie & Intensivmedizin (DGAI) Problemanalyse Der Einsatz eines Blutprodukts ist eine Therapie, die besondere Anforderungen an die Herstellung, Lagerung, Vorbereitung der Verabreichung (hier Auftauen und Verabreichung innerhalb einer kurzen Zeitspanne), Kenntnis der Indikationsstellung und Risiken, Erfahrung mit der Verabreichung und Dokumentation sowie die Beherrschung von auftretenden Transfusionsreaktionen stellt. Die Richtlinie Hämotherapie [1] Kap. 6.4.1.3.1 schreibt vor, dass „jeder Blutprodukte anwendende Arzt … die dafür erforderlichen Kenntnisse und ausreichende Erfahrung besitzen sowie von einem Transfusionsbeauftragten in die einrichtungsspezifischen Abläufe und Organisationsstrukturen dokumentiert eingewiesen…” sein muss. In diesem Fall wurde ein Gefrierplasma aufgetaut und bestellt, dann aber nicht verabreicht. Die Ursache und Begleitumstände konnten nicht geklärt werden. Es ist zu vermuten, dass die Indikation nicht dringlich war, die Anforderung nicht fachärztlich supervidiert oder missverständlich übermittelt wurde. Seltenere Ursachen, die kaum vermeidbar sind, wären eine akute Veränderung beim Patienten (unerwarteter Therapieerfolg, verzögertes nicht erwartbares Blutungsende, plötzliches Versterben, etc.), die die gerechtfertigte Transfusion unmöglich macht. Die Dosierung des einzelnen Gefrierplasmas als Gerinnungstherapeutikum für einen Erwachsenen erscheint zu gering für eine leitlinienkonformeTherapie. Wurde die Indikation auf eine POCT-Gerinnungsdiagnostik gestützt, die eine zielgerichtete, zeitnahe und ressourcensparende Therapie ermöglicht [3]? Oder hat die Gerinnungsanalyse aus dem Routine-Labor zu lange gedauert, so dass die Plasma-Bestellung vielleicht „auf Vorrat” getätigt worden war? Dieses Ereignis sollte in Zukunft vermieden werden, da Blutkonserven im Allgemeinen als potenziell notwendiges Therapeutikum immer öfter nicht verfügbar sein werden, weil diese verfallene Konserve vielleicht einem anderen Patienten das Leben hätte retten können, weil dem Spender ein Aufwand entstanden ist und er den gewissenhaften Einsatz zu Recht erwarten kann. Wie der Meldung zu entnehmen war, wurden die ärztlichen Mitarbeiter zu einem in Zukunft ressourcenschonenden Umgang angehalten. Man würde sich wünschen, dass die genauen Ursachen und Begleitumstände in einer M&M-Konferenz analysiert würden. Viele der möglichen Fehlerursachen wären durch eine elektronische Anforderung mit Clinical Decision Support [2] vermeidbar. Dort können Berechtigungen und Qualifikationen zur Verordnung von Blutkonserven hinterlegt werden, kann die leitliniengerechte Indikation plausibel geprüft werden, die Verträglichkeit und Dosis in Bezug zur Behandlungssituation des Patienten kontrolliert sowie auf den Verstoß gegen die geltenden Richt-/Querschnittsleitlinienempfehlungen und den Zeitverzug durch den Auftauprozess hingewiesen werden. Aktuell gibt es die Möglichkeit der Fehlervermeidung in Deutschland mittels CDS leider noch nicht: Grundvoraussetzung für eine fundierte klinische Unterstützung wäre die implementierte Schnittstelle in das KIS. Ohne gute Anamnese- und Verlaufsdaten macht ein CDS-System nicht viel Sinn. Die digitale Erfassung von Anamnese und klinischen Verläufen wird in den meisten aktuell benutzten digitalen Systemen lediglich als WORD file eingebunden, das schwer oder gar nicht mit Laborwerten oder computerisierten Einbindungen anderer Bereiche funktioniert. Unseres Wissens gibt es bisher kein marktreifes CDS-System für Hämotherapie aus Deutschland oder eine in deutsche Verhältnisse portierte Version. Fast 10 Jahre nach den Hinweisen von Yazer u.a. stehen nach meinem Wissen keine Systeme zur Verfügung, aber einige Firmen sind in Vorbereitung bzw. haben nicht ausgereifte Systeme im Angebot (z. B. HemoGuide von Fresenius Kabi oder Blood Track von Haemonatics). Prozessqualität
Strukturqualität
Literatur
Häufig verwendete Abkürzungen: FFP Gefrierplasma GF Geschäftsführer/in ITS Intensivstation IT Informationstechnik/er M&M Konferenz zu Morbidität und Mortalität SOP Standard Operating Procedure TV Transfusionsverantwortliche/r VA Verfahrensanweisung |