Fachkommentar zu Fall des Monats 11/2023 KH-CIRS-Netz Deutschland |
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10.11.2023 |
Krankenhaus-CIRS-Netz Deutschland: Fall des Monats „November 2023“: „Beachtung der Rhesusinkompatibilität vor Transfusion“
Fachkommentar des Fachbeirats CIRSmedical.de (BDA/DGAI)
Download Fachkommentar Fall-Nr. 256061 (PDF)
Autor: Interdisziplinäre Arbeitsgemeinschaft für klinische Hämotherapie (IAKH) in Vertretung des Berufsverbandes Deutscher Anästhesistinnen und Anästhesisten (BDA) und der Deutschen Gesellschaft für Anästhesiologie & Intensivmedizin (DGAI)
Problemanalyse
Transfusion von rhesusinkompatiblem Blut ist nicht nur im Notfall zulässig, da die möglicherweise ausgelöste hämolytische Transfusionsreaktion (beim ersten Mal) schwach ist und die Bildung von Antikörpern bei Männern und Frauen nach dem gebärfähigen Alter irrelevant für die Entstehung eines Morbus hämolyticus neonatorum ist (Richtlinie Hämotherapie der BÄK [1]). Gründe für die Toleranz der blutgruppenungleichen Transfusion im Rhesussystem sind vor allem die Logistik bzw. die Schwierigkeit, dass man Rhesus-negative Konserven in erster Priorität den Frauen im gebärfähigen Alter zukommen lassen muss.
Im gemeldeten Fehler sind also vermutlich folgende Begleitumstände zu beachten, die andernorts ebenso auftreten können:
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Es sind selbst im Routinebetrieb keine Rhesuskompatiblen Konserven mehr verfügbar, die akzeptable Ausweichstrategie mit Rhesusinkompatibler Versorgung wird notwendig.
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Im Anästhesie-/OP-Team war die Reihenfolge der Transfusion nicht festgelegt worden. Die Vorbereitung und das Anstechen der Konserve konnte nicht gesteuert werden.
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Trotzdem besteht die starke Empfehlung, wann immer möglich, Rhesuskompatibel zu transfundieren. Beim wiederholten Kontakt können die ausgelösten Hämolysen auch stärker sein. Lobenswert ist, dass die nicht-identische Rhesusformel erkannt wurde (Musterverfahrensanweisung zur korrekten Identitäts- und Blutgruppenkontrolle [2]), der Verwurf der bereits angestochenen Konserve nach gestellter Indikation aber nicht. Der Schaden einer verworfenen und nicht transfundierten Konserve wiegt schwerer als die bei Frauen empfohlene Anti-D-Prophylaxe nach Rhesusexposition. Ein Patientenschaden war nicht zu befürchten. Die Kenntnis der akzeptierten Rhesus-inkompatiblen Versorgung sollte bekannt sein.
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Die Befähigung der transfundierenden Ärzte setzt eine Fachkenntnis voraus. In der Richtlinie Hämotherapie heißt es dazu in Kap. 6.4.1.3.1 Transfundierender Arzt
„Jeder Blutprodukte anwendende Arzt muss die dafür erforderlichen Kenntnisse und ausreichende Erfahrung besitzen sowie von einem Transfusionsbeauftragten in die einrichtungs- spezifischen Abläufe und Organisationsstrukturen dokumentiert eingewiesen worden sein.” [1]
Der transfundierende Arzt scheint diesbezüglich nicht ausreichend fortgebildet zu sein. Zur Ausbildung in der klinischen Hämotherapie einer Einrichtung gehört die Kenntnis des Qualitätshandbuchs, der Richt- und Leitlinien und der praktischen Erfordernisse der Anwendung von Blutprodukten. Vermittelt werden können diese Inhalte im Rahmen von Transfusionspflichtveranstaltungen, öffentlichen Sitzungen der Transfusionskommission, Rotationskonzepten oder Fallkonferenzen.
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Eine Supervision oder Frage-Instanz wie den Transfusionsbeauftragten der Abteilung scheint in diesem Fall nicht niederschwellig erreichbar gewesen zu sein oder nicht kontaktiert worden zu sein.
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Der betreuende Arzt im Operationssaal hätte zuerst versuchen können, die 2 Rhesus-identischen Konserven zu transfundieren. Die Kontrolle der Blutkonserven im OP-Subdepot durch den verantwortlichen Arzt hätte zur Entdeckung der inkompatiblen Konserve führen können. Bei einer Festlegung der Transfusionsreihenfolge wäre somit die Konserve als letzte oder nicht transfundiert worden.
In vielen Häusern sind elektronische Anforderungen und auch scannerbasierte Prozessbegleitung eingeführt (z. B. das CAIROS System [3]. In diesem Fall wäre der bereits auch auf den Konserven angebrachte Hinweis auf dem elektronischen Medium erschienen, eventuell aber mit einem Signal, das die Akzeptanz der Auswahl signalisiert hätte. Diese Systeme haben demzufolge nicht nur das Potenzial, durch die Begleitung des Anwendungsprozesses die Patientensicherheit in hohem Maß zu steigern, indem eine eventuelle Fehlauswahl verhindert wird, zudem wird noch der Lagerbestand kontrolliert und die Verfügbarkeit der kompatiblen Konserven besser angepasst. Außerdem können die Begründungsnotwendigkeit und die Hinweise auf die Leit- und Richtlinien eine Verbesserung der Anwenderinformation und des Kenntnisstandes der Hämotherapie erreicht werden.
Prozessqualität
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Fortbildung, SOP/VA – Ärzte: Korrekte Verabreichung und Identitäts- und Blutgruppenkontrolle mit Konservenabgleich vor Verabreichung einer Blutkonserve (siehe [2])
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Fortbildung – alle Mitarbeiter: leitliniengerechte Auswahl und Zuordnung der blutgruppenabhängigen Blutprodukte, Sorgfalt, Absicherung, Dokumentation
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Abhalten einer M&M oder Fallkonferenz
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Meldung an die Transfusionskommission
Strukturqualität
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ÄD, TV, CA: Einrichtung einer Fortbildungsreihe Hämotherapie/Transfusionsmedizin
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ÄD, TV, CA, OP-Team, Labor & Blutdepot: Erstellen und Durchführen eines Ausbildungs-Rotationskonzepts für Kliniker ins immunhämatologische Labor und die Blutbank
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TV: Öffentliche Transfusionskommissionssitzungen Investition in eine elektronische Prozesstechnik bei Lagerung, Ausgabe und auch Anwendung (siehe Cairos 4.0 [3])
Abkürzungen
ÄD - Ärztliche/r Direktor/in, CA – Chefarzt/in, EK – Erythrozytenkonzentrat, OP – Operation, PDL - Pflegedienstleitung, SOP - Standard Operating Procedure, TV - Transfusionsverantwortliche/r, VA - Verfahrensanweisung
Literatur
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