Krankenhaus-CIRS-Netz Deutschland: Fall des Monats „Januar 2025": „Digitalisierung der Anästhesieaufklärung“
Fachkommentar des Fachbeirats CIRSmedical.de (BDA/DGAI)
Download Fachkommentar Fall-Nr. 270763 (PDF)
Autor: Prof. Dr. med. habil. Matthias Hübler in Vertretung des Berufsverbandes Deutscher Anästhesistinnen und Anästhesisten (BDA) und der Deutschen Gesellschaft für Anästhesiologie & Intensivmedizin (DGAI)
Diese wichtige Meldung thematisiert ein Problem, mit dem alle, die im Gesundheitssystem arbeiten, zunehmend konfrontiert werden: Die Auswirkung der Digitalisierung auf unser Arbeitsumfeld.
1. Die Digitalisierung bildet nur sehr eingeschränkt unsere bisherige Arbeit und unsere Arbeitsabläufe ab.
Die Digitalisierung ist politisch gewollt und bietet auch unzweifelhaft zahlreiche Vorteile. Ein wesentliches Problem bei der Umsetzung ist allerdings, dass nicht immer versucht wird, etablierte und bewährte Prozesse digital abzubilden, sondern dass andere Faktoren in den Vordergrund treten. Diese Faktoren (technische, Datensicherheit, etc.) sind für den späteren Anwender nicht immer nachvollziehbar, führen aber dazu, dass die entstehenden Produkte uns zwingen, anders zu arbeiten und z.T. auch anders zu denken wie bisher. Die uns zur Verfügung gestellten IT-Produkte geben uns neue Arbeitsabläufe vor und wir müssen uns anpassen. Gleichzeitig sind angekündigte Vereinfachungen und Optimierungen im Arbeitsalltag oft nicht nachvollziehbar. Der Nutzer macht die Erfahrung, dass die Komplexität und die Arbeitslast meist zunehmen. Das Ergebnis sind frustrierte Nutzer, die die Veränderungen als Behinderung der Arbeit wahrnehmen und die evtl. verbundenen Vorteile verdrängen. Diese Kombination ist aus Sicht der Patientensicherheit gefährlich, denn sie gefährdet die Arbeitseinstellung und lenkt uns von den eigentlich wichtigen Tätigkeiten ab. In der Meldung ist es die scheinbare Selbstverständlichkeit, die Daten auf dem Aufklärungsbogen mit der Identität des Patienten abzugleichen. Diese Aktion ist neu, denn zuvor überreichte der Patient den ausgefüllten Bogen persönlich.
2. Viele Clicks = viele Fehlermöglichkeiten
Menschen machen Fehler. Die Tatsache, dass digitale Lösungen automatische Abgleichungen und Validierung der Daten durchführen, verhindert nicht, dass am Ende Menschen den Computer bedienen, die eben weiter Fehler machen. In der Meldung war es die falsche Zuordnung des Aufklärungsbogens, weil die Patienten den gleichen Nachnamen hatten. Leider ist es so, dass jede einzelne Aktion eines Menschen stets mit einer gewissen Fehlerwahrscheinlichkeit hinterlegt ist. Nimmt die Anzahl der Einzelaktionen zu, wie es regelhaft bei
digitalen Lösungen der Fall ist, steigt auch die Wahrscheinlichkeit, dass sich ein Fehler tatsächlich realisiert. Zusätzlich neigen wir dazu, uns angebotene Werte, Befunde, etc. leichtfertig als korrekt bzw. korrekt zugeordnet zu akzeptieren. Wahrscheinlich ist diese Neigung bei digitalen Akten sogar noch größer als bei der klassischen Papierversion.
3. Die veränderten Arbeitsabläufe müssen geschult werden.
Von den Anwendern wird erwartet, dass der Umgang mit neuen digitalen Tools intuitiv erlernt wird. Leider ist dies ein Trugschluss. Ähnlich wie bei der Umsetzung von neuen Therapieleitlinien (Beispiel „Maßnahmen zur Senkung von katheterassoziierter Sepsis”) kann es nur gelingen, wenn die Anwender geschult werden. Diese Schulungen sollten idealerweise nicht einmalig vor Einführung des Produkts, sondern wiederholt begleitend während der laufenden Arbeit erfolgen. Dieses Vorgehen hat den Charme, dass die Hersteller des digitalen Produkts auch ein direktes Feedback von dem Anwender erhalten und im günstigsten Fall Adaptierungen anstoßen.
Zusammenfassend stellt die Digitalisierung große Anforderungen an die Nutzer. Neuerungen zu etablieren, heißt auch immer, neue Fehlerquellen müssen erkannt und gelernt werden. Im Verlauf kann es gelingen, die Arbeitsabläufe tatsächlich zu verbessern. Ob immer auch ein Zeitgewinn ein Ergebnis sein wird, darf bezweifelt werden. Die Wahrscheinlichkeit, dass es zu Lasten der tatsächlichen Arbeit am und mit dem Patienten geht, ist sehr hoch.
Literatur:
[1] Fischer S, Schwappach DLB. Efficiency and Safety of Electronic Health Records in Switzerland-A Comparative Analysis of 2 Commercial Systems in Hospitals. J Patient Saf 2022; 18:645-651. https://doi.org10.1097/PTS.0000000000001009
[2] Ratwani RM, Savage E, Will A, Arnold R, Khairat S, Miller K, Fairbanks RJ, Hodgkins M, Hettinger AZ. A usability and safety analysis of electronic health records: a multi-center study. J Am Med Inform Assoc 2018; 25: 1197-1201. https://doi.org/10.1093/jamia/ocy088 |