Fachkommentar zu Fall Nr. 264016 KH-CIRS-Netz Deutschland |
|
11.02.2025 |
KH-CIRS-Netz Deutschland: Fall Nr. 264016: „Blutkonserven am falschen Standort bereitgestellt“
Fachkommentar des Fachbeirats CIRSmedical.de (BDA/DGAI)
Download Fachkommentar Fall-Nr. 264016 (PDF)
Autor: Interdisziplinäre Arbeitsgemeinschaft für klinische Hämotherapie (IAKH) in Vertretung des Berufsverbandes Deutscher Anästhesistinnen und Anästhesisten (BDA) und der Deutschen Gesellschaft für Anästhesiologie & Intensivmedizin (DGAI)
Problemanalyse
Die zentrale Koordination und die notwendigen immunhämatologischen Untersuchungen werden beim Labordienstleister durchgeführt, der acht Standorte versorgt. Im Rahmen der Bestellung beziehungsweise Reservierung der Blutprodukte für die geplante Operation werden die reservierten Produkte an ein drittes Krankenhaus [Krankenhaus Y] geliefert oder bereits am Standort gelagerte Präparate zugeordnet. Damit war der primäre Fehler, die fehlerhafte Reservierung vorhandener Blutprodukte im Depot des Krankenhauses X. Die Fehlermeldung legt im Schluss nahe, dass die eigentliche Zuordnung des Produktes zu einem Krankenhaus bzw. der Verkauf des Produktes erst zum Zeitpunkt der Kreuzprobe stattfindet, die mit den im Labor verfügbaren Pilotröhrchen durchgeführt wurde.
Aus Sicht der Kommission ist eine wesentliche Aufgabe der Meldeorganisation und des Labordienstleister die Reservierung und Anforderungen im Prozess zu prüfen und genau zu analysieren, warum eine Fehlzuordnung stattfinden konnte. Wir vermuten, dass es Eingaben im Laborinformationssystem (LIS) der Mitarbeitenden gibt, die einen Fehler ermöglichen. Hier könnte ein Hinweis in den Eingabemasken die Sicherheit erhöhen. Laborsoftware in der Hämotherapie ist ein Medizinprodukt und daraus ergeben sich Meldepflichten für den Labordienstleister.
-
In dieser Meldung kommt es zu erheblicher Verzögerung der Patientenversorgung mit Blutkonserven in einer „massiven” intraoperativen Blutungssituation durch das Versehen eines Labormitarbeiters im Nachtdienst. Es ist unklar, warum die Blutkonserven nicht obligat dem jeweiligen Standort des Klinikverbunds zugeordnet werden und auch dort bereitgestellt werden, an dem der/die Patien*In auch liegt. Es macht nur in seltenen Ausnahmesituationen Sinn, einer/m Patienten*In in einem anderen Standort Konserven vorzuhalten (z.B. wenn ein Eingriff an einem anderen als dem sonstigen Behandlungsstandort durchgeführt wird). Solch ein Fall liegt hier vermutlich vor. In der Regel ist eine Weitergabe von Konserven eines Blutdepots in ein Anderes nur dann möglich, wenn entweder eine Großhandelserlaubnis vorliegt oder die Konserven des gesamten Verbundes an ein zentrales Hauptdepot mit einer Einkaufsnummer bezogen werden. Dies scheint in diesem Verbund aus 8 Häusern nicht der Fall zu sein.
-
Verschiedene Pilotröhrchen kennzeichnen in diesem Klinikverbund offensichtlich verschiedene Standorte/Häuser oder sie sind noch nicht in allen Standorten angeglichen. Bei Verwendung einheitlicher Pilotröhrchen würde die Standortzuordnung im KIS erfolgen. So ist die Fehlzuordnung der Konserven anhand der Pilotröhrchen zu den Standorten der Versorgung nahezu absehbar, weil die Zuordnung wie hier im zusätzlichen Schritt übersehen werden kann. Oftmals ist im Rahmen der notwendigen Ökonomisierung nur noch ein Verbundlabor besetzt oder wie in diesem Fall ein externes immunhämatologisches Labor rund um die Uhr zuständig, um den ganzen Klinikverbund zu versorgen. In diesem Fall ist eine Fehlzuordnung noch wahrscheinlicher.
-
Die Vermutung, dass durch ein hauseigenes Labor das Ereignis hätte vermieden werden können, ist eine Spekulation mit Relevanz für viele Entscheidungen anderer Häuser. Die Realität der Entwicklung der Zusammenarbeit von Krankenhäusern und Labordienstleistern macht eine Lösung notwendig und den gemeldeten Fehler wertvoll.
-
Bei einer Besetzung des immunhämatologischen Labors mit einer Person muss eine technische Kontrolle zur korrekten Zuordnung der gekreuzten Konserven zum Patienten (z.B. Scanner) vorhanden sein. Die Kommunikation mit dem KIS und die Erfassung des jeweiligen Standortes im Verbund ist eigentlich einfach zu programmieren, falls das LIS (Laborinformationssystem) mit dem KIS (Krankenhausinformationssystem) kommuniziert.
-
Verzögerungen der Versorgung sind nicht ganz trivial. Der Aktuelle SHOT Report berichtet einen starken Anstieg der Fehler, die zu einer Verzögerung der Versorgung mit Blut führen, bei gestiegenen Todesfolgen (Abbildung 11a1 aus dem SHOT-Report 2022[1]). Deshalb sind Berichte über Verzögerungen bei massiven Blutungen unbedingt ernst zu nehmen und unbedingt nach detaillierter Situationsanalyse zu reagieren.
-
Die nachträgliche Behebung von Fehleingaben im KIS und LIS ist eigentlich nach einer gewissen Korrekturfrist nicht mehr möglich. Das sollte besprochen und unterbunden werden.
-
Fehler im Nachtdienst und Flüchtigkeitsfehler von 2 verschiedenen Mitarbeitern sprechen für Arbeitsüberlastung. Diese Gefährdung könnte strukturell bedingt sein und gefährdet die Patientensicherheit [2].
Prozessqualität
-
SOP/VA – Labor: Umgang mit der LIS: Do's und Not Do's.
-
Meldung an die Transfusionskommission
Strukturqualität
-
TV, Laborleitung, QM: Einführung nur noch einer Sorte von Pilotröhrchen und Verlagerung der Standortzuordnung in ein 4-Augen-Prinzip oder eine technische Lösung
-
GF, TV, ÄD, Laborleitung, IT: Einsatz von Scannern und Herstellung einer Schnittstelle zwischen LIS und KIS
-
TV, ÄD, Laborleitung, IT: Regelung der Änderung der Daten im LIS
Literatur
Häufig verwendete Abkürzungen:
ÄD - Ärztliche/r Direktor/in, EK – Erythrozytenkonzentrat, GF - Geschäftsführer/in, IT - Informationstechnik/er, KIS – Krankenhausinformationssystem, LIS – Laborinformationssystem, QM – Qualitätsmanagement, SOP - Standard Operating Procedure, TV - Transfusionsverantwortliche/r, VA - Verfahrensanweisung |