CIRSmedical Anästhesiologie - Berichten und Lernen
Kind kommt statt über den AWR über die OP-Schleuse, weinend, nicht prämediziert. Übergabe von Stationsschwester, dass das Kind keinen peripheren iv-Zugang hat, dafür aber ein Hickmankatheter liegt. Angesichts des agitierten Kindes ist darüber eine i.v. Prämedikation mit Propofol geplant. Da das Kind auf dem Arm des Vaters ist und man nicht richtig an das Kind herankommt um die Lage der Infusion zu kontrollieren, wird der einzige 3 Wege-Hahn benutzt der greifbar ist und mit NaCl angespült. Als daraufhin der Verband am Kopf nass wird, bemerkt die Anästhesie-Pflege, dass es sich bei dem Zugang nicht um den Hickman-Katheter sondern um die Außenableitung handelt!!! Glücklicher Weise war es "nur NaCL", das gespritzt wurde, und die Außenableitung war bereits gezogen worden und hing noch "blind" am Patienten!!!
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Patientenzustand:
ASA II
Fallbeschreibung:
Kind kommt statt über den AWR über die OP-Schleuse, weinend, nicht prämediziert. Übergabe von Stationsschwester, dass das Kind keinen peripheren iv-Zugang hat, dafür aber ein Hickmankatheter liegt. Angesichts des agitierten Kindes ist darüber eine i.v. Prämedikation mit Propofol geplant. Da das Kind auf dem Arm des Vaters ist und man nicht richtig an das Kind herankommt um die Lage der Infusion zu kontrollieren, wird der einzige 3 Wege-Hahn benutzt der greifbar ist und mit NaCl angespült. Als daraufhin der Verband am Kopf nass wird, bemerkt die Anästhesie-Pflege, dass es sich bei dem Zugang nicht um den Hickman-Katheter sondern um die Außenableitung handelt!!! Glücklicher Weise war es "nur NaCL", das gespritzt wurde, und die Außenableitung war bereits gezogen worden und hing noch "blind" am Patienten!!!
Was war besonders gut?
Aufmerksamkeit der Anästhesie-Pflege; Glücklicher Umstand, dass die Außenableitung bereits gezogen war
Was war besonders ungünstig?
Hektik in der Schleuse, da mehrere Patienten aufs Einschleusen warten mussten; Kind weinend auf dem Arm der Eltern (Hickman-Katheter unterm Shirt versteckt); Außenableitung farblich nicht von Infusionsleitung zu unterscheiden; Funktionslose AA ist nicht entfernt sondern hängt unbrauchbar am Patienten herab
Eigener Ratschlag:
Immer, egal wie groß der Zeitdruck, schauen, wo die Schläuche und Infusionsleitungen im Patienten münden!!! In Zukunft vielleicht andere Farbmarkierungen für AA verwenden
Wie häufig tritt das Ereignis in Ihrer Abteilung auf?
Selten
Wer berichtete:
Arzt
Berufserfahrung:
bis 5 Jahre
Die Analyse aus der Sicht des Anästhesisten
(Aus Gründen der Anonymität wird im Folgenden bei Personen stets die männliche Bezeichnung verwendet.)
In der Fliegerei würde es heißen: „Near Miss“. Dieser Fall ist durch eine Verkettung ungünstiger Umstände gekennzeichnet, die den Anästhesisten zu einer Reihe von unsicheren Handlungen veranlasst haben:
1. Die geplante iv Prämedikation mit Propofol (die Dosierung ist nicht angegeben) ist eine Möglichkeit ein agitiertes Kind ruhig zu stellen. Unter welchen Umständen ist das ausreichend sicher? Unter normaler Überwachung und unter Bereitstellung aller üblichen Hilfsmittel auf jeden Fall! Aber in der Schleuse? Wie weit ist sie entfernt vom Einleitungsraum, in dem die Materialen bereitliegen? Was wäre, wenn das Kind auf dem Arm des Vaters bereits atemsinsuffizient würde und dann rasch desaturierend erst in den Einleitungsraum verbracht werden müsste? Da in dieser Klinik ganz offensichtlich der Aufwachraum für dieses Vorgehen organisatorisch vorgesehen ist: warum weicht man ab? Eine unnötige Erhöhung des Risikos.
2. Der Pfleger spritzt NaCl, um die Durchgängigkeit des Zugangs zu prüfen ohne die Kathetereintrittstelle zu inspizieren. Angenommen die Außenableitung ist in situ: Die Injektion wäre vermutlich leicht möglich gewesen, das Propofol anschließend gefolgt. So ausgeführt würde dieser Test mit NaCl wirklich nur die Durchgängigkeit des Zugangs testen, weder eine paravenöse noch eine arterielle Injektion wären erkennbar. Glücklicher Umstand, dass die AA gezogen war und die Fehlwahl des Zugangs am nass werdenden Kopfverband erkannt wird.
3. Nachdem das erste (potentiell lebensbedrohliche) Problem erkannt und vermieden wurde, wird die unsichere Handlung der Propofol-Prämedikation in der Schleuse vermutlich fortgesetzt. Dies ist eine besondere Art von Fixierungsfehler: Man wiegt sich in Sicherheit nach der Behebung eines Problems. Besser wäre es jetzt einen Schritt zurückzutreten und ohne jeden Zeitdruck die Anästhesie nach guten Standards durchzuführen.
Was wäre passiert wenn? Die Durchsicht verschiedener Publikationen zur Frage von Fehlinjektionen von Narkotika erbrachte keinen Hinweis. Fehlinjektionen von Propofol als paravasale Injektion sind häufiger beschrieben. Hierbei kann es in Einzelfällen zu lokalen Gewebsnekrosen kommen. Akzidentelle intraarterielle Injektionen von Propofol führen in der Regel zu starken Schmerzen aber nicht zu lang anhaltenden Vasospasmen und nicht zu weiteren Komplikationen [1]. Die Arbeit von Ghouri et al ist lesenswert, weil hier zwei Fälle von intraarteriellen Injektionen beschrieben werden, die bei Kanülenlage auf dem Handrücken aufgetreten sind.
Zur Frage der möglichen Folge einer intrathekalen Injektion können nur indirekte Hinweise herangezogen werden. In der Funktionsdiagnostik des Gehirns ist die Injektion kleiner Mengen von Narkotika (in der Regel Amobarbital) in die A. carotis oder über vorgeschobene Katheter in einzelne Hirnarterienäste im Rahmen des Wada Testes [3] bekannt. Hierbei können kleine Mengen Amobarbital gezielte Ausfälle einzelner Hirnareale bis hin zur Hemiplegie hervorrufen. Mikumi et al [2] haben anstelle von Amobarbital geringe Dosen von Propofol bis zu 15 mg für den Wada Test verwendet und konnten mit dieser geringen Dosis eine Hemiplegie erzeugen. Die Rate der Nebenwirkungen ist beeindruckend: In 33% der Patienten kam es zu leichten bis gravierenden Nebenwirkungen wie Exzitationen bis zu krampfähnlichen Phänomen oder generalisierten Krampfanfällen. Nach Propofol war die Rate schwerer Nebenwirkungen 5-mal höher im Vergleich zu Amobarbital. Wenn man annimmt, dass Propofol auch aus dem Liquor relativ rasch in das Gehirn aufgenommen werden kann, so wäre es in unserem Fall wahrscheinlich zu einer Katastrophe gekommen.
Vor iv-Injektionen immer überzeugen, dass der Zugang intravenös liegt.
Möglichkeiten:
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frei (unter Schwerkraft) laufende Infusion,
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NaCl Injektion unter Beobachtung der Kanülenstelle,
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Blutrückfluss (CAVE: schließt intraarterielle Lage nicht aus).
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Farbkennzeichnung (venös blau, arteriell rot) konsequent einhalten.
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Bei „Sonderkathetern“ eindeutige Beschriftung auf der Fixierung verwenden.
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Weiterführende Literatur
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Ghouri AF, Mading W, Prabaker K (2002): Accidental intraarterial drug injections via intravascular catheters placed on the dorsum of the hand. Anesth Analg 95:487-91
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Mikuni N, Takayama M et al. (2005): Evaluation of adverse effects in intracarotid propofol injection for Wada test. Neurology 65:1813-16
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Wada J, Rasmussen T (1960) Intracarotid injection of sodium amytal for the lateralization of cerebral speech dominance: experimental and clinical oberservations. J Neurosurg 17:266-82
Autoren
Prof. Dr. med. W. Heinrichs, AQAI GmbH, Mainz
Prof. Dr. med. A. Schleppers, Berufsverband Deutscher Anästhesisten, Nürnberg
Dr. iur. E. Biermann, Berufsverband Deutscher Anästhesisten, Nürnberg
Ass. iur. E. Weis, Berufsverband Deutscher Anästhesisten, Nürnberg
Dipl.-Sozialw. T. Dichtjar, Berufsverband Deutscher Anästhesisten, Nürnberg
Dr. M. St. Pierre, Anästhesiologische Klinik, Universitätsklinikum Erlangen |