CIRSmedical Anästhesiologie - Berichten und Lernen
Patient wurde aus dem OP auf ITS gebracht. Im Bett des Patienten lag ein Erythrozythenkonzentrat (EK) mit Konservenbegleitschein, welches als zum Patienten gehöriges EK übergeben wurde. Bei transfusionspflichtiger Blutung kam das EK direkt zum Einsatz, nachdem vom transfundierenden Arzt ein Bedside-Test durchgeführt und die Konservennummer verglichen wurde. Das EK lief ein ohne Auffälligkeiten. Erst danach fiel auf, dass das EK vertauscht wurde
und für einen anderen Patienten im OP gedacht war. Der falsche Patientenname auf dem Konservenbegleitschein wurde übersehen. Beim Nachkreuzen stellte sich die verabreichte Konserve als verträglich heraus.
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Patientenzustand:
postoperativ; ASA III; transfusionspflichtige Blutung; Routine
Fallbeschreibung:
Patient wurde aus dem OP auf ITS gebracht. Im Bett des Patienten lag ein Erythrozythenkonzentrat (EK) mit Konservenbegleitschein, welches als zum Patienten gehöriges EK übergeben wurde. Bei transfusionspflichtiger Blutung kam das EK direkt zum Einsatz, nachdem vom transfundierenden Arzt ein Bedside-Test durchgeführt und die Konservennummer verglichen wurde. Das EK lief ein ohne Auffälligkeiten. Erst danach fiel auf, dass das EK vertauscht wurde
und für einen anderen Patienten im OP gedacht war. Der falsche Patientenname auf dem Konservenbegleitschein wurde übersehen. Beim Nachkreuzen stellte sich die verabreichte Konserve als verträglich heraus.
Was war besonders gut?
Es wurde vor Transfusion ein Bedside-Test durchgeführt, Blutgruppe von Patient und EK stimmten überein.
Was war besonders ungünstig?
Das vertauschte EK lag im Bett des Patienten und wurde bei der Übergabe als zum Patienten zugehörige Konserve bezeichnet.
Eigener Ratschlag:
Genauere Kontrolle von Konservenbegleitschein, Nummer, Name, Blutgruppe
Wie häufig tritt das Ereignis in Ihrer Abteilung auf?
Selten
Wer berichtete:
Ärtzin / Arzt
Berufserfahrung:
über 5 Jahre
Die Analyse aus der Sicht des Anästhesisten
(Aus Gründen der Anonymität wird im Folgenden bei Personen stets die männliche Bezeichnung verwendet.)
Vertauschungen von Blutkonserven zählen zu den immer wieder vorkommenden Fehlern und werden gemeinhin als Kunstfehler gewertet. Gut war im vorliegenden Fall, dass trotz der gebotenen Eile ein Bedside-Test durchgeführt wurde, der zumindest die richtige Blutgruppe im AB0 System bestätigte. Zweimal wurde nicht mit der gebotenen Sorgfalt gearbeitet: Ein Mitarbeiter muss die falsche Konserve in das Bett des Patienten gelegt haben und der transfundierende Arzt hat die Daten auf dem Konservenbegleitschein nicht sorgfältig geprüft.
Das Transfusionsgesetz (TFG) regelt seit 1998 in der Bundesrepublik Deutschland die Gewinnung von Blut, Blutbestandteilen und Blutprodukten sowie deren Anwendung am Menschen bei Bluttransfusionen. Es enthält außerdem umfassende Dokumentationspflichten [1].
Das TFG stellt außerordentlich hohe Ansprüche an die Sorgfalt mit der eine Bluttransfusion durchzuführen ist. Fast alle Kliniken haben sich hierzu eine SOP gegeben. Im Folgenden wird das typische Prozedere aus der SOP der Universitätsmedizin Köln zitiert [2]:
„Vor Beginn einer Bluttransfusion hat sich der transfundierende Arzt persönlich davon zu überzeugen, ob die Konserve für den betreffenden Empfänger bestimmt ist (Identitätskontrolle zwischen Empfänger und Personalien auf dem Begleitschein), ob die Blutgruppe der Konserve (Konservenetikett) und die Konservennummer mit den Angaben auf dem Begleitschein übereinstimmen. Darüber hinaus müssen das Verfallsdatum und die Unversehrtheit der Konserve überprüft werden.(…)
Unmittelbar vor der Transfusion ist vom transfundierenden Arzt oder unter seiner direkten Aufsicht der AB0-Identitätstest (Bedsidetest) am Empfänger vorzunehmen (…). Er dient der Bestätigung der zuvor bestimmten und auf dem Anforderungsschein dokumentierten AB0-Blutgruppenmerkmale des Empfängers.“
Als zusätzliche Sicherungsmaßnahme kann bei Erythrozytenpräparaten die biologische Vorprobe nach OEHLECKER durchgeführt werden. Dabei werden etwa 20 ml Blut aus der Konserve schnell transfundiert, 4 – 5 min. abgewartet, um eventuelle Zeichen einer Unverträglichkeit beim Empfänger beobachten zu können. Wenn keine Transfusionsreaktionen auftreten, kann die Transfusion fortgesetzt werden. Diese Vorprobe ist allerdings nur beim wachen Patienten geeignet, Unverträglichkeiten im AB0-System aufzudecken und wäre im vorliegenden Fall nicht sicher gewesen.
Glücklicherweise stellte sich am Ende heraus, dass die infundierte Konserve für den Patienten geeignet war.
Die Wahrscheinlichkeit eines solchen Fehlers kann mit Hilfe einer Teamlösung drastisch re-duziert werden: Vor der unmittelbaren Durchführung einer Transfusion überprüft der Arzt zusammen mit einer zweiten Person, z.B. der Pflegekraft, ob alle Voraussetzungen für die Transfusion erfüllt sind. Hierbei wird der Konservenbegleitschein laut vorgelesen, die Identität des Patienten anhand der Krankenakte, Anästhesieprotokoll usw. bestätigt. Danach wird der Bedside-Test von beiden gemeinsam beurteilt. Diese Art des Hinzuziehens einer zweiten Person und des lauten Verlesens der Patienten- bzw. Konservendaten deckt eine Verwechselung mit hoher Wahrscheinlichkeit auf.
Die Analyse aus der Sicht des Juristen
Glück gehabt. Gerade im Bereich des Bluttransfusionswesens stellt die Rechtsprechung hohe Anforderungen. Der BGH, der sich sonst im Arzthaftungsrecht mit einem Sorgfaltsmaßstab begnügt, der dem durchschnittlichen Standard entspricht, fordert im Transfusionswesen einen „optimalen Sorgfaltsstandard“, er verlangt „höchst mögliche Sorgfalt“ (BGH, Urteil vom 30.04.1991, Az. VI ZR 178/90; NJW 1991, 1948).
Ein Krankenhausträger, der an die Hinterbliebenen einer nach einer Fehltransfusion verstorbenen Patientin Schadenersatz geleistet hat, verlangt von der Anästhesistin, die die Trans-fusion durchgeführt hat, die Erstattung eines Teils des Schadens. Zu Recht, wie das Bundesarbeitsgericht (Urteil vom 25.09.1997, Az. 8 AZR 288/96; MedR 1998, 334) [3] feststellt. Denn die Anästhesistin „habe objektiv eine besonders grobe und auch subjektiv unentschuldbare Pflichtverletzung begangen“, denn sie „hatte gleich mehrere Sicherheitsmaßnahmen missachtet, die ein Arzt bei einer Bluttransfusion zu beachten hat.“ So hatte sie „nicht versucht, die Blutgruppe der Patientin in Erfahrung zu bringen, obwohl nach der Art der Operation damit zu rechnen war, dass eine Transfusion erforderlich werden würde. Sie hat übersehen oder nicht festgestellt, welcher Name auf dem Transfusionsprotokoll der Blutkonserven stand, welche ihr gegeben wurden. Sie hat auf diese Weise die bei Bluttransfusionen notwendigen Sicherheitsmaßnahmen weitgehend unterlassen und die ihr zuarbeitende Krankenschwester nicht kontrolliert. Die Gefährdung der Patientin durch die falschen Blutkonserven hätte nur noch durch den „Bedside-Test“ erkannt werden können,“ – und diesen hat die Anästhesistin in dem vom Bundesarbeitsgericht zu beurteilenden Fall gegen die Regeln der ärztlichen Kunst durchgeführt.
Dies ist hier zum Glück anders. Gleichwohl bleibt es dabei, dass Sorgfaltsanforderungen verletzt wurden, ohne dass, jedenfalls macht die Sachverhaltsschilderung dies nicht deutlich, besonderer Zeitdruck geherrscht hätte. Mögliche Fehlleistungen anderer Beteiligten entlasten den Anästhesisten nicht. So weist das Bundesarbeitsgericht in dem gerade zitierten Fall darauf hin: „Als Ärztin hatte die Beklagte die alleinige Verantwortung für die Eignung der bei der Bluttransfusion verwendeten Blutkonserven (Ziffer 3.5.2 der Transfusionsrichtlinien). Sie kann sich daher nicht auf ein Mitverschulden ihr unterstellter Mitarbeiter berufen.“ – heute in Ziffer 4.3.2 Unterabs. 3 der Richtlinien zur Gewinnung von Blut- und Blutbestandteilen und zur Anwendung von Blutprodukten (Hämotherapie) geregelt. Dort wird – der oben zitierten SOP entsprechend – festgelegt, dass vor Beginn der Transfusion der transfundierende Arzt am Patienten persönlich zu überprüfen hat, ob das Präparat für den betreffenden Empfänger bestimmt ist, ob die Blutgruppe des Präparats (Präparate – Etikett) dem Blutgruppenbefund des Empfängers entspricht bzw. mit diesen kompatibel ist und die Präparatennummer mit den Angaben im Begleitschein übereinstimmt. Verfallsdatum, Unversehrtheit des Blutbehältnisses und Gültigkeit der Verträglichkeitsprobe müssen überprüft werden. Die Empfänger müssen namentlich eindeutig identifiziert werden. In Ziffer 4.3.2.1 wird geregelt, dass unmittelbar vor der Transfusion vom transfundierenden Arzt oder unter seiner direkten Aufsicht der AB0-Identitätstest (Bedside-Test) am Empfänger vorzunehmen ist. Werden „gleich mehrere Sicherheitsmaßnahmen missachtet, die eine Verwechslung von Blutgruppen ausschließen sollten“, dann ist „wegen der akuten Lebensgefährdung, die bei der Übertragung von Blut einer falschen Blutgruppe entsteht, … eine solche Häufung von Fehlern und Unterlassungen durch einen Arzt schlechterdings nicht hinnehmbar.“ Die Folge, so das Bundesarbeitsgericht: „Ein solches ärztliches Verhalten ist als besonders grobe Fahrlässigkeit zu bewerten“.
Weil die Rechtsprechung gerade im Transfusionswesen besonders hohe Anforderungen an die ärztliche Sorgfalt stellt, drohen durch eine Missachtung der Transfusionsregeln, durch die ein Patient zu Schaden kommt, nicht nur zivil- und strafrechtliche Konsequenzen, sondern u.U. kann der Krankenhausträger, der den Schadenersatzanspruch eines geschädigten Patienten bzw. der Hinterbliebenen befriedigt hat, den Schaden ganz oder zum Teil im Wege des arbeitsrechtlichen Regresses von dem handelnden Arzt zurückfordern. Bleibt zu hoffen, dass die Haftpflichtversicherung des Arztes dann auch einen arbeitsrechtlichen Regress mit umfasst – was im Einzelfall zu überprüfen ist! [4]
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Vor jeder Blutkonserve anhand des Begleitscheins die Identität des Patienten und ferner die Richtigkeit des Bedside-Tests überprüfen.
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Überprüfung aller Daten stets von 2 Personen: einer liest alle Daten vor, der andere bestätigt die Richtigkeit.
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Weiterführende Literatur
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http://bundesrecht.juris.de/tfg/index.html
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http://www.uk-koeln.de/blutspende/qmhandbuch/anlage1.html (11.8.2010)
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BDAktuell JUS-Letter Dez. 2004 „Regressmöglichkeit des Arbeitgebers und Behandlungsfehler“ (A&I 46. Jahrgang, 2005, 3; S.101-104)
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BDAktuell JUS-Letter Sept. 2006 „Regress trotz Haftpflichtversicherung“ (A&I 47. Jahr gang, 2006, 9; S. 557-560) Siehe hierzu näher: Broschüre des BDA „Versicherungsservice und Rechtsschutz“, Stand Juni 2010, S. 14 (Rahmenvertrag BHV und Fragebogen Versicherungsbedarf)
www.bda.de/118_1_4berufshaftpflichtversicherung.htm
Autoren
Prof. Dr. med. W. Heinrichs, AQAI GmbH, Mainz
Prof. Dr. med. A. Schleppers, Berufsverband Deutscher Anästhesisten, Nürnberg
Dr. iur. E. Biermann, Berufsverband Deutscher Anästhesisten, Nürnberg
Ass. iur. E. Weis, Berufsverband Deutscher Anästhesisten, Nürnberg
Dipl.-Sozialw. T. Dichtjar, Berufsverband Deutscher Anästhesisten, Nürnberg
Dr. M. St. Pierre, Anästhesiologische Klinik, Universitätsklinikum Erlangen |