Fall des Monats Dezember 2010 |
25.01.2011 |
CIRSmedical Anästhesiologie - Berichten und Lernen
Patient mit Tonsillektomie-Nachblutung. Problemlose Einleitung. Nach Blutstillung bittet der Operateur um Anhebung des Blutdruckes, um auch bei höherem (normotensivem) Blutdruck eine erneute Blutung ausschliessen zu können. Der Fall:Spritzenverwechslung: Atracurium statt EphedrinVersorgungsart:NotfallFallbeschreibung:
(Aus Gründen der Anonymität wird im Folgenden bei Personen stets die männliche Bezeichnung verwendet.) Was war besonders ungünstig?Unkonzentriertheit durch Übernächtigung im Dienst.Uneinheitliche Beschriftung/Markierung der verschiedenen Medikamente. Wie häufig tritt das Ereignis in Ihrer Abteilung auf?Nur dieses MalWer berichtete:Ärztin/ArztDie Analyse aus der Sicht des AnästhesistenEine der Hauptgefährdungsquellen für die Patientensicherheit in der Anästhesiologie stellen Medikamentenverwechslungen dar. Die fehlerhafte Gabe kann dabei durch
Die Kommission Arzneimittelsicherheit der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin e.V. (DIVI) hat daher die ISO Norm 26825 erweitert und empfiehlt: „Um die Gefahr von Medikationsirrtümern bei der parenteralen Medikation zu verringern, sollte in der Intensiv- und Notfallmedizin jedes vom Anwender in eine Spritze aufgezogene Medikament mit einem Spritzenaufkleber gemäß DIVI-Standard gekennzeichnet werden.“ Dieser Empfehlung, an jedem Haus mit einer anästhesiologischen Abteilung oder Intensivstation ISO normierte Etiketten einzuführen, hat sich die Deutsche Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin angeschlossen. Vorgefertigte Aufkleber sind von einer Reihe an Anbietern kommerziell zu erhalten (Nähere Einzelheiten können auf der Website der DIVI (www.divi-org.de) nachgelesen werden). Das Prinzip der ISO 26825 besteht darin Medikamente einer Wirkungsgruppe eindeutig einer bestimmten Farbe zuzuordnen. Im vorliegenden Fall wäre die Spritze mit Atracurium mit einem leuchtend orangen Etikett und die Spritze mit Ephedrin hell violett gekennzeichnet gewesen. Mit Hilfe dieser Etiketten wird die Wahrscheinlichkeit Medikamente verschiedener Stoffgruppen zu verwechseln deutlich reduziert. Eine weitere Möglichkeit wäre, wie Alan Merry (Auckland, New Zealand), dem Erfinder des „Safer Sleep“ Systems, Spritzen zusätzlich mit einem Barcode auszurüsten. Bevor die Injektion erfolgen darf werden alle Spritzen an einem Scanner vorbeigeführt und das System überprüft so die Kompatibilität und Richtigkeit der Droge.
Die Analyse aus der Sicht des JuristenDer Fall gibt Anlass, auf Folgendes hinzuweisen: Überall dort, wo es um Bereiche ärztlicher Tätigkeit geht, die von der Person des individuellen Patienten und seinem individuellen Zustand, den Eigenheiten des menschlichen Organismus nicht beeinflusst sind, gewährt die Rechtsprechung dem Patienten bei einem Zwischenfall Beweiserleichterungen bis hin zur Umkehr der Beweislast zum Nachteil der Ärzte und des Krankenhausträgers. Dies vor dem Hintergrund, dass es hier um organisatorische Abläufe und damit zumindest in der Theorie um voll beherrschbare Risiken geht. Der Krankenhausträger und die behandelnden Ärzte haben nach der Rechtsprechung die technischen und organisatorischen Voraussetzungen für eine sachgemäße und möglichst risikolose Behandlung zu gewährleisten. So hat die Rechtsprechung etwa bei dem Einsatz eines funktionsuntauglichen Narkosegerätes oder bei der Verwendung eines verformten Tubus von Krankenhausträger und Arzt verlangt zu beweisen, dass der sachwidrige Gerätezustand nicht vom Krankenhaus, vom Arzt oder von Hilfspersonen des Krankenhauses verschuldet ist. Gerade im Bereich der technischen und organisatorischen Abläufe stellt die Rechtsprechung hohe Anforderungen an Sicherheits- und Kontrollmaßnahmen im Krankenhaus und bei der ärztlichen Behandlung. Über den Bereich der Technik hinaus gewährt die Rechtsprechung Beweiserleichterungen unter dem Aspekt des zumindest theoretisch voll beherrschbaren Risikos für fast alle Bereiche der Organisation und Kooperation/Koordination der medizinischen Behandlung. Im Bereich des Bluttransfusionswesens etwa stellt die Rechtsprechung höchste Anforderungen nicht nur an die Sicherheit der Produkte sondern auch an die Vorbereitung und Organisation der Transfusion, um Verwechslungen zu vermeiden. Aber auch beim Einsatz anderer Medikamente wird die Rechtsprechung bei einer Verwechslung fragen, welche Kontroll- und Sicherungsvorkehrungen getroffen und wie diese überwacht wurden. Insbesondere dort, wo es um potente Pharmaka geht, deren Verwechslung für den Patienten deletäre Folgen haben kann, wird die Rechtsprechung hohe Anforderungen stellen. Ärzte und Krankenhausträger sind deshalb gut beraten, zumindest alle zumutbaren Sicherungsvorkehrungen umzusetzen und zukontrollieren. Weiterführende Literatur:
Autoren: Prof. Dr. med. W. Heinrichs, AQAI GmbH, Mainz Prof. Dr. med. A. Schleppers, Berufsverband Deutscher Anästhesisten, Nürnberg Dr. iur. E. Biermann, Berufsverband Deutscher Anästhesisten, Nürnberg Ass. iur. E. Weis, Berufsverband Deutscher Anästhesisten, Nürnberg Dipl.-Sozialw. T. Dichtjar, Berufsverband Deutscher Anästhesisten, Nürnberg Dr. M. St. Pierre, Anästhesiologische Klinik, Universitätsklinikum Erlangen |