Fall des Monats März 2011 |
12.05.2011 |
CIRSmedical Anästhesiologie - Berichten und Lernen
„Verlorene“ Rachentamponade verursacht Laryngospasmus Der Fall:„Verlorene“ Rachentamponade verursacht LaryngospasmusVersorgungsort:Krankenhaus - OPVersorgungsart:RoutinebetriebFallbeschreibung:
(Aus Gründen der Anonymität wird im Folgenden bei Personen stets die männliche Bezeichnung verwendet.) Was war besonders ungünstig?Dass eine chirurgische Maßnahme unkommentiert erfolgte.Eigener Ratschlag (Take-Home-Message):Durch eine klare Dokumentation der Maßnahme auf dem Narkoseprotokoll und durch interdisziplinäre Absprachen könnte der Vorfall vermieden werden.Häufigkeit des Ereignisses:nur dieses MalWer berichtete:Ärztin/ArztDie Analyse aus der Sicht des AnästhesistenBei einer Operation im Mund-Rachenbereich wird eine Rachentamponade eingelegt. Der Operateur schneidet aus nicht genannten Gründen das Rückholbändchen ab, die Rachentamponade verbleibt auch über die Extubation hinweg und verursacht einen Laryngospasmus. Noch während des Behandlungsversuches wird das auslösende Moment wieder erinnert und beseitigt. Der Patient ist zwar gefährdet, kommt aber nicht zu Schaden. Dem Bericht ist schließlich noch zu entnehmen, dass eine Dokumentation der Rachentamponade auf dem Narkoseprotokoll nicht erfolgte. Medizinisch ist zu dem Fall wenig zu sagen: der Laryngospasmus wurde korrekt erkannt und nach einem Standard-Algorithmus mit initialer Vertiefung der Anästhesie und Maskenbeatmung korrekt und offensichtlich innerhalb voll tolerabler Oxygenierungsgrenzen behandelt. Umso interessanter ist die Analyse des Falles unter den Human Factor-Gesichtspunkten „Teamarbeit“ und „Kommunikation mit dem Operateur“ und dem Aspekt einer sorgfältigen Dokumentation. Bei derartigen Operationen kann es zweifellos jederzeit vorkommen, dass der Operateur ein Rückholbändchen durchschneidet (z.B. versehentlich oder weil es im OP-Gebiet stört etc.). Es stellt sich dann aber die Frage, wie kann die weitere Entwicklung der geschilderten Problemsituation vermieden werden?
Die Analyse aus der Sicht des Anästhesisten
Es darf davon ausgegangen werden, dass es um eine HNO-Operation ging, bei der der Operateur routinemäßig eine Rachentamponade einlegt und dies dem Anästhesisten auch bekannt ist. Weiter darf unterstellt werden, dass dem Operateur bekannt ist, dass der Patient bei noch liegender Rachentamponade Probleme bei der Extubation haben wird. Der geschilderte Sachverhalt lässt offen, ob die Tamponade vergessen oder vom Operateur bewusst liegen gelassen wurde.
Nach den in der interdisziplinären Kooperation geltenden Grundsätzen der strikten Arbeitsteilung, ergänzt durch den Vertrauensgrundsatz, ist zunächst jeder Fachvertreter nur für die seinem Fachgebiet – nach dem Inhalt der Weiterbildungsordnung und/oder konkreten Absprachen vor Ort – zukommenden Leistungen zuständig und verantwortlich. Unterstellt, der Operateur hätte die Tamponade bewusst liegen gelassen: Dürfen diese Grundsätze auch so verstanden werden, dass der Operateur sich zurücklehnen darf, wenn er das seinige getan hat und keine Rücksicht darauf nehmen muss, welche Bedeutung seine Maßnahmen für den Partner in der Behandlung, den Anästhesisten hat? Oder sind die beiden Grundsätze vielmehr zu ergänzen um die Verpflichtung zur Kommunikation und Kooperation, zur Abstimmung der Maßnahmen? Dazu hat der Bundesgerichtshof in einem Urteil vom 26.02.1991 angesichts einer Schieloperation (BGH, MedR 1999, 321) Stellung genommen. Der BGH führt aus:
„Zwar hat der erkennende Senat … den Grundsatz aufgestellt, dass jeder Arzt denjenigen Gefahren zu begegnen hat, die in seinem Aufgabenbereich entstehen, und dass er sich, so lange keine offensichtlichen Qualifikationsmängel oder Fehlleistungen erkennbar werden, darauf verlassen darf, dass auch der Kollege des anderen Fachgebietes seine Aufgaben mit der gebotenen Sorgfalt erfüllt, ohne dass insoweit eine gegenseitige Überwachungspflicht besteht. Hieraus kann jedoch nicht abgeleitet werden, dass eine Abstimmung zwischen mehreren an einer Heilmaßnahme beteiligten Ärzten – hier: Anästhesist und Operateur – in solchen Fällen unterlassen werden dürfe, in denen sich die Gefährdung des Patienten gerade aus dem Zusammenwirken mehrerer Ärzte bzw. einer Unvereinbarkeit der von ihnen angewendeten Methoden oder Instrumente ergibt.
Der dargestellte Vertrauensgrundsatz kann nämlich nur in solchen Konstellationen gelten, in denen es um Gefahren geht, die ausschließlich dem Aufgabenbereich eines der beteiligten Ärzte zugeordnet sind, während im Streitfall die Schädigung der Klägerin gerade daraus entstanden ist, dass die von den beteiligten Ärzten angewendeten Maßnahmen für sich genommen jeweils beanstandungsfrei waren und das besondere Risiko sich erst aus der Kombination der beidseitigen Maßnahmen ergeben hat. … Aus dem hierfür aufgestellten Vertrauensgrundsatz kann jedoch nicht hergeleitet werden, dass unter den Umständen des Streitfalls eine Abstimmung zwischen Anästhesist und Operateur über die Wahl der Narkosemethode bzw. die bei der Operation zum Einsatz gelangenden Instrumente entbehrlich gewesen wäre. Insbesondere vermag jener Grundsatz die Pflichten der beteiligten Ärzte gegenüber dem Patienten nicht in solchen Fällen zu begrenzen, in denen sich wie im Streitfall das besondere Risiko der Heilmaßnahme gerade aus dem Zusammenwirken zweier verschiedener Fachrichtungen und einer Unverträglichkeit der von Ihnen verwendeten Methoden oder Instrumente ergibt. Der erkennende Senat hat … ausgeführt, dass bei Beteiligung mehrerer Ärzte eine gegenseitige Informationspflicht zu den Schutzpflichten dem Patienten gegenüber gehöre. Schon hiernach liegt eine Verpflichtung der beteiligten Ärzte zur Abstimmung über die Vereinbarkeit von Narkose- und Operationsmethode auf der Hand. … Da … das Wohl des Patienten oberstes Gebot und Richtschnur ist, muss für diese Zusammenarbeit der Grundsatz gelten, dass die beteiligten Ärzte den spezifischen Gefahren der Arbeitsteilung entgegenwirken müssen und es deshalb bei Beteiligung mehrerer Ärzte einer Koordination der beabsichtigten Maßnahmen bedarf, um zum Schutz des Patienten einer etwaigen Unverträglichkeit verschiedener von den Fachrichtungen eingesetzten Methoden oder Instrumente vorzubeugen. Unter diesem Blickpunkt ist auch dann, wenn insoweit keine ausdrückliche Vereinbarung zwischen den beteiligten Fachrichtungen besteht, schon nach allgemeinen Grundsätzen eine Pflicht der beteiligten Ärzte zu bejahen, durch hinreichende gegenseitige Information und Abstimmung vermeidbare Risiken für den Patienten auszuschließen. …“ Vor dem Hintergrund des Primats der Sicherheit des Patienten verlangt die Rechtsprechung also, dass die Fachvertreter auch „über den Tellerrand hinausschauen“ und prüfen, ob und inwieweit die von ihnen eingesetzten Medikamente und/oder Verfahren kompatibel sind. Dies spricht dafür, dass der Operateur sorgfältig prüfen muss, ob die Rachentamponade verbleiben muss oder entfernt werden kann. Selbst wenn das Rückholbändchen versehentlich abgeschnitten worden wäre, wird man den Operateur für verpflichtet halten müssen, am Ende der OP diese Feststellung zu treffen und, wenn er sich zum Verbleib der Tamponade entscheidet, dies zu kommunizieren und zu dokumentieren. Wäre der Patient geschädigt worden, spricht viel dafür, dass der Operateur die rechtliche Verantwortung für diesen Zwischenfall trägt, erst recht, wenn die Tamponade von ihm schlicht vergessen wurde. Unabhängig davon würde ein sorgfältig handelnder Anästhesist bei solchen Eingriffen wohl nach der Entfernung der Tamponade fragen und, sollte sie – was wohl ungewöhnlich wäre – im Rachen verbleiben müssen, dies adäquat kommunizieren/dokumentieren. Autoren: Prof. Dr. med. W. Heinrichs, AQAI GmbH, Mainz Prof. Dr. med. A. Schleppers, Berufsverband Deutscher Anästhesisten, Nürnberg Dr. iur. E. Biermann, Berufsverband Deutscher Anästhesisten, Nürnberg Ass. iur. E. Weis, Berufsverband Deutscher Anästhesisten, Nürnberg Dipl.-Sozialw. T. Dichtjar, Berufsverband Deutscher Anästhesisten, Nürnberg Dr. M. St. Pierre, Anästhesiologische Klinik, Universitätsklinikum Erlangen |