CIRSmedical Anästhesiologie - Berichten und Lernen
Team-Time Out entdeckt unvollständiges Osteosynthesematerial vor dem Hautschnitt
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Der Fall:
(Aus Gründen der Anonymität wird im Folgenden bei Personen stets die männliche Bezeichnung verwendet.)
Team-Time Out entdeckt unvollständiges Osteosynthesematerial vor dem Hautschnitt
Wo ist das Ereignis eingetreten?
Krankenhaus/OP
Versorgungsart?
Routine
Patientenzustand:
ASA IV; Multiple Begleiterkrankungen; Der Patient kam mit Fixateur extern.
Wichtige Begleitumstände:
Die Checkliste war zum OP-Einschleusen und vor dem Beginn der Anästhesie unauffällig, das OP-Instrumentarium war laut OP-Schwester vollständig (16 Kisten vorhanden) und die Prothese war von einer Fremdfirma geliefert worden.
Fallbeschreibung:
Es handelt sich um eine geplante Osteosynthese bei komplizierter Fraktur der unteren Extre-mität. Nach einer aufwendigen Narkoseeinleitung (Nervus-fem.-Kath., ITN, ZVK, Arterie bei erwartet hohem Blutverlust) wurde der Fixateur extern entfernt und der Patient abgedeckt. Beim Team-Time-Out vor OP-Beginn fällt auf, dass der distale Teil der Prothese von der Firma nicht geliefert wurde, sondern stattdessen ein falsches Prothesenteil mitgekommen war. Die Operation konnte deswegen nicht durchgeführt werden. Dem Patienten wurde ein Gips angelegt und dann wurde die Narkose ausgeleitet. Der Patient wurde 3 - 4 Tage später für eine erneute Operation geplant.
Was war besonders gut?
Das Team-Time-Out hat den Fehler vor dem Hautschnitt aufgedeckt.
Was war besonders ungünstig?
Die Firma hat das falsche Prothesenteil geliefert. Offensichtlich fehlt eine Checkliste beim Materialausgang der Firma oder dem Materialeingang des Klinikums.
Eigener Ratschlag (Take-Home-Message)?
Das Material sollte nach Checkliste bei der Firma geprüft werden oder nach Checkliste bei der Anlieferung. Da es sich um ein sehr komplexes OP-Material handelt (16 Kisten) ist dies eigentlich nur von der Firma lösbar.
Häufigkeit des Ereignisses?
selten
Wer berichtet?
Ärztin/Arzt
Die Analyse aus der Sicht des Anästhesisten
Die WHO hat zur Verbesserung der Sicherheit bei Operationen eine Checkliste [2] entwickelt. Zu drei Zeitpunkten sollen Chirurgen und Anästhesisten innehalten, bis ein Koordinator im OP-Saal die Checkliste abgearbeitet hat. Dies sind die „sign in”-Phase vor Beginn der Narkose, die „time out”-Phase unmittelbar vor der Inzision und die „sign out“-Phase, wenn der Patient den Operationssaal verlässt.
In der „sign in”-Phase muss der Koordinator u. a. prüfen, ob das Operationsfeld auf dem Körper des Patienten ausreichend markiert ist und ob die Allergien des Patienten bekannt sind. In der „sign out”-Phase müssen die Instrumente, Schwämme und Nadeln gezählt werden.
Ein entscheidendes Merkmal dieser Checkliste ist, dass stets mindestens zwei, häufig drei Perso-nen die einzelnen Punkte gemeinsam abarbeiten müssen.
Die WHO hat die Auswirkungen der Checkliste auf die Qualität der Operationen in acht Studien untersuchen lassen. Die Zusammenfassung wurde im New England Journal publiziert und kommt zu erstaunlichen Ergebnissen: Untersucht wurden insgesamt 7.688 Patienten, 3.733 vor und 3.955 nach Einführung der Checkliste. Die Krankenhaussterblichkeit nach größeren Operationen wurde um 40% (von 1,5% auf 0,8%) gesenkt. Die Rate schwerwiegender Kompli-kationen konnte nach Einführung der Checkliste von 11% auf 7% reduziert werden [1]. Die Untersuchungen wurden sowohl in Krankenhäusern der sog. reichen Regionen wie auch armen Regionen durchgeführt (in Ifakara (Tanzania), Manila (Philippines), New Delhi (India), Amman (Jordan), Seattle (United States of America), Toronto (Canada), London (United Kingdom) and Auckland (New Zealand)). Es gab keine Unterschiede zwischen reichen und armen Regionen.
Im vorliegenden Fall wurde bereits in der „sign in“ Phase auch die OP-Schwester mit einbezo-gen, die das Instrumentarium für vollständig erklärte. Da zu diesem Zeitpunkt alle 16 Container noch steril geschlossen sein mussten, konnte sie nicht erkennen, dass ein falsches Prothesenteil in den Kisten geliefert wurde. Vor dem eigentlichen Hautschnitt führte das gesamte Team dann den „time out“ Check durch und erkannte jetzt die fehlerhafte Bestückung. Der Eingriff wurde nicht durchgeführt, der Patient nicht gefährdet. Die fehlerhafte Prothese wurde ausgetauscht und der Eingriff konnte einige Tage später vorgenommen werden.
Zu diesem Verlauf kann man dem Team nur gratulieren. Es wurde durch den „time out“ Check gerade noch rechtzeitig eine Situation entdeckt, die den vorgesehenen Eingriff unmöglich ge-macht hat. Die konsequente Reaktion darauf und der eigene Ratschlag sind logisch und korrekt. Wie man im Krankenhaus bei einem so komplexen OP-Material eine adäquate Eingangsprüfung vornehmen kann, bleibt zu Recht offen. Dies muss Aufgabe der Qualitätssicherung des Herstellers bleiben.
Die Analyse aus Sicht des Juristen
Der glücklich ausgegangene Fall soll zum Anlass genommen werden, einige Missverständnisse im Zusammenhang mit der WHO-Checkliste auszuräumen. Gelegentlich wird befürchtet, dass durch die Checkliste Verantwortlichkeiten von der Chirurgie z. B. auf die Anästhesie verlagert würden. Dies ist nicht der Fall. Bei der Checkliste geht es um die Verbesserung der Patientensi-cherheit, es werden aber keine Einzelzuständigkeiten ausgewiesen. In der Kooperation mit ande-ren ärztlichen Fachvertretern bleibt es vielmehr bei den Grundsätzen der Arbeitsteilung, dem Vertrauensgrundsatz und der Verpflichtung, die gegenseitigen Maßnahmen zu koordinieren und abzusprechen. Darauf hat Ulsenheimer [3] in seinem Beitrag, in dem er die Fragen der Verantwortungsteilung ausführlich diskutiert und auf den als Lesetipp verwiesen wird, bereits hingewiesen. die folgenden Ausführungen fassen einige Aussagen des Beitrags zusammen. Die Checkliste, so die Anleitung der WHO, richtet sich auch nicht an einen einzelnen Fachvertreter, sondern an das Team, das die Operation vorbereitet, durchführt oder nachbereitet. Die Checkliste lässt – darauf weist die Anleitung der WHO ausdrücklich hin - offen, wer die einzelnen "Kästchen" auszufüllen hat. Sie verlangt jedoch, dass vor Beginn der Phase 1 eine Person benannt und für die Prüfung der Kontrollfragen verantwortlich gemacht ist. Wer dieser "Checklisten-Koordinator" sein soll, bleibt nach der WHO-Anleitung offen. Ebenso offen ist, wer diese verantwortliche Person ernennt. Nichts spricht dagegen, dass dieser Checklisten-Koordinator Mitglied des Assistenzpersonals ist, es kann aber auch jede andere in der Klinik tätige Person sein. Nach der WHO-Anleitung ist allerdings die Teilnahme an der Operation Vor-aussetzung – der Checklisten-Koordinator muss also ein Mitglied des Operationsteams sein. Ulsenheimer bezeichnet die Verantwortung, die dem Checklisten-Koordinator übertragen wird, als eine "notarielle Tätigkeit". Der Koordinator hat die einzelnen Punkte der Checkliste abzufragen und bestätigt die Antwort des bzw. der jeweiligen Fachvertreter durch ein Zeichen. Es ist nicht seine Aufgabe, die sachliche Richtigkeit der Antworten zu prüfen. So protokolliert der Checklisten-Koordinator nur die möglichen, vorgegebenen Antworten. Wichtig ist, dass vor Eintritt in die Phase 2 alle Fragen der Phase 1 "abgearbeitet", also erledigt sein müssen. Erst dann darf der Koordinator die Erlaubnis zum Fortgang des Eingriffs geben. Letztlich entscheidet der Koordinator über den Ablauf des Eingriffs nur insoweit, wie er prüft und bestätigt, dass die Fragen des jeweils vorangehenden Abschnitts "abgearbeitet" sind. Die fachlichen und medizini-schen Konsequenzen aus den jeweiligen Antworten sind von ihm nicht zu prüfen. Ulsenheimer weist zu Recht darauf hin, dass "die grundlegende Zuständigkeits- und damit auch Verantwortungsabgrenzung zwischen Chirurg, Anästhesist und nachgeordnetem OP-Personal bleibt von der WHO-Checkliste selbst gänzlich unberührt."
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Einführung und Nutzung der WHO-Checkliste.
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Abarbeitung der Checkliste stets im Team des jeweiligen operativen Umfeldes.
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Bei Fehlbestückungen oder anderen Problemen immer Rückmeldung an die Hersteller von Equipment geben.
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Weiterführende Literatur:
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Haynes A.B. et al: A Surgical Safety Checklist to Reduce Morbidity and Mortality in a Global Population, New England Journal of Medicine: 360; 5, 2009
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http://whqlibdoc.who.int/publications/2009/9789241598590_eng_Checklist.pdf (21.08.2011)
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Ulsenheimer, K: WHO-Sicherheitskonzept – ist Verantwortung teilbar? Anästh Intensivmed 2010; 51: 683 - 686
Autoren:
Prof. Dr. med. W. Heinrichs, AQAI GmbH, Mainz
Prof. Dr. med. A. Schleppers, Berufsverband Deutscher Anästhesisten, Nürnberg
Dr. iur. E. Biermann, Berufsverband Deutscher Anästhesisten, Nürnberg
Ass. iur. E. Weis, Berufsverband Deutscher Anästhesisten, Nürnberg
Dipl.-Sozialw. T. Dichtjar, Berufsverband Deutscher Anästhesisten, Nürnberg
Dr. M. St. Pierre, Anästhesiologische Klinik, Universitätsklinikum Erlangen
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