CIRSmedical Anästhesiologie - Berichten und Lernen
Ein Periduralkatheter (PDK) ließ sich nach Anlage nicht beschicken.
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Der Fall:
(Aus Gründen der Anonymität wird im Folgenden bei Personen stets die männliche Bezeichnung verwendet.)
Ein Periduralkatheter (PDK) ließ sich nach Anlage nicht beschicken.
Wo ist das Ereignis eingetreten?
Krankenhaus/Einleitung
Versorgungsart?
Routine
ASA-Klassifizierung:
ASA II
Tag des berichteten Ereignisses:
Wochentag
Wichtige Begleitumstände:
adipöser Patient (BMI ca. 50) zur Anlage eines thorakalen PDK
Fallbeschreibung:
Nach erfolgreicher PDK-Anlage und Tunnelung läßt sich die Testdosis nicht applizieren,
da der Katheter nicht durchgängig ist. Es wird ein Knick am Tunnelanfang vermutet und
der Katheter durch den Tunnel zurückgeschoben (was zum Glück gelingt). Es ist jedoch
kein Knick vorhanden. Der Katheter wird etwas zurückgezogen (was leicht möglich ist),
aber dieser ist weiterhin nicht durchgängig. Filter und Konnektor sind ohne Katheter
durchgängig. Der Katheter wird vollständig entfernt - und läßt sich weiterhin nicht anspritzen!
Mit neuem PDK-Set wird auf gleicher Höhe erneut ein PDK gelegt.
Später, nach einigem "Herumspielen" mit dem gezogenen PDK, ist dieser dann doch
durchgängig. Die genau Ursache ist uns nicht ganz klar. Möglicherweise war es doch ein
Problem mit der Verbindung Konnektor/PDK? Bei dem verwendeten Modell muss der
Katheter bis zum Anschlag in den Konnektor geschoben werden, das war uns allerdings
bekannt und auch gemacht worden. Weiterhin ist die Verbindung zwischen Konnektor
und PDK (als dieser noch im Patienten war) mehrfach gelöst und neu verbunden worden.
Was war besonders gut?
Für den Patienten war „alles kein Problem“.
Die PDK Anlage war trotz des BMI relativ einfach
Eigener Ratschlag (Take-Home-Message)?
Alle Katheter (auch PDKs) sollte man vor Anlage durchspülen, dann wäre es nicht zu diesem
Fall gekommen!
Häufigkeit des Ereignisses?
nur dieses Mal
Wer berichtet?
Ärztin/Arzt
Berufserfahrung:
über 5 Jahre
Die Analyse aus der Sicht des Anästhesisten
Der Melder berichtet von einem PDK, der nach Anlage nicht durchgängig war und deshalb entfernt wurde. Was können die Ursachen der Okklusion gewesen sein? Wir wissen es nichtund können nur spekulieren. Denkbar sind z.B. Verklebungen, die während des Produktionsprozesses entstanden sind, oder das Vorhandensein eines Fremdkörpers im Lumen, welcher schließlich durch die Manipulation entfernt wurde. Die Empfehlung des Melders ist, alle Katheter vor Anlage auf Durchgängigkeit zu überprüfen.
Grundsätzlich ist gegen diese Empfehlung nichts einzuwenden. Allerdings wird sie wahrscheinlich nur bei wenigen Anwendern auf Gegenliebe treffen, und es ist davon auszugehen, dass nach einer gewissen Zeit eine Durchgängigkeitsprüfung nicht mehr konsequent durchgeführt werden wird. Außerdem erwarten wir Anwender, dass uns medizinische Produkte in hoher Qualität geliefert werden. Damit wäre diese Fallanalyse eigentlich schon zu Ende, aber wir möchten den Fall zum Anlass nehmen, um auf etwas Anderes hinzuweisen: Probleme mit Medizinprodukten sind meldepflichtige Ereignisse. Das klingt jetzt vielleicht etwas bedrohlich, macht aber durchaus Sinn und kann wesentlich zur Erhöhung der Patientensicherheit beitragen. Hierzu einige Erläuterungen:
Was ist ein Medizinprodukt?
Laut Medizinproduktegesetz (MPG) §3 und EU- Richtlinie 93/42EWG handelt es sich um Produkte (Instrumente, Apparate, Geräte, zugehörige Software, Zubehör u.a.), die zur Diagnostik, Therapie, Überwachung und Verhütung eingesetzt werden. Das ist eine sehr weit gefasste Definition und betrifft damit fast alle Utensilien, die wir in unserem klinischen Alltag verwenden. Nicht unter das MPG fallen lediglich kosmetische Produkte, Arzneimittel, menschliche Transplantate, tierisches Gewebe und Blutprodukte.
Welche Probleme mit Medizinprodukten sind meldepflichtig?
Man könnte die Frage ganz kurz beantworten: alle. Genauer definiert und beschrieben ist der Sachverhalt im MPG §29 [1] und in der Medizinprodukte-Sicherheitsplanverordnung (MPSV) §3 [2]. Danach sind insbesondere schwerwiegende unerwünschte Ereignisse während einer klinischen Anwendung und so genannte Vorkommnisse mit Medizinprodukten meldepflichtig. Die Definition eines Vorkommnisses ist sehr weit gefasst. Zur Erinnerung hier noch
einmal die Definition eines kritischen Ereignisses, auf welches wir mit dem CIRS-AINS zielen: Es sind Ereignisse, die zu einer körperlichen oder psychischen Beeinträchtigung der Patienten hätten führen können oder die deren Wahrscheinlichkeit deutlich erhöht. Die Definition eines Vorkommnisses im Gesetzestext beinhaltet ebenfalls kritische Ereignisse, umfasst aber auch Zwischenfälle. Sie zielt nicht nur auf Patienten- sondern auch auf Anwendersicherheit. Ein Vorkommnis ist laut Gesetzestext
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eine Funktionsstörung,
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ein Ausfall oder eine Änderung der Merkmale oder der Leistung
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oder eine Unsachgemäßheit der Kennzeichnung oder der Gebrauchsanweisung eines Medizinprodukts,
die unmittelbar oder mittelbar zum Tod oder zu einer schwerwiegenden Verschlechterung des Gesundheitszustands eines Patienten, eines Anwenders oder einer anderen Person geführt hat, geführt haben könnte oder führen könnte.
Nicht gemeldet werden müssen hingegen Probleme mit der Anwendung des Produktes z.B. wegen Unkenntnis des Produktes auf Grund fehlender Einweisung. Die Qualität der uns zur Verfügung stehenden Medizinprodukte ist in den meisten Fällen sehr hoch und Bedienfehler der Anwender sind unserer Erfahrung nach deutlicher häufiger als tatsächliche Produktfehler.
Wer muss melden?
Auch hier ist die Antwort recht einfach: jeder. Genau ist die Meldepflicht in §3 Abs. 2 MPSV festgelegt [2,3]: „Wer Medizinprodukte beruflich oder gewerblich betreibt oder anwendet, hat dabei aufgetretene Vorkommnisse der zuständigen Bundesoberbehörde zu melden. [Dies] gilt entsprechend für Ärzte und Zahnärzte, denen im Rahmen der Diagnostik oder Behandlung […] Vorkommnisse mit Medizinprodukten bekannt werden.“ Wichtig ist hierbei das Verb im
letzten Satz: Es genügt, wenn man von einem Vorkommnis Kenntnis bekommt – eine direkte persönliche Involvierung ist nicht gefordert, ist aber in der Regel gegeben. Erlauben Sie uns noch einen kurzen Kommentar zur Meldepflicht, die sicher dem einen oder anderen nicht bekannt war bzw. bei dem einen oder anderen Unbehagen auslöst: Die Meldepflicht ist gesetzlich vorgeschrieben – eine unterlassene Meldung wird aber bisher nicht sanktioniert.
Die Motivation zur Meldung sollte allerdings – unserer Meinung nach – nicht die Erfüllung gesetzlicher Auflagen sein (siehe unten Abschnitt „Warum sollte man melden?“).
Wie funktioniert die Meldung?
Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) ist die zentrale Bundesoberbehörde, der die Aufgabe zukommt, Meldungen von Herstellern als auch von Betreibern und Anwendern zu bearbeiten. Das BfArM erstellt für die gemeldeten Vorkommnisse eine Risikobewertung und überprüft etwaige korrektive Maßnahmen des Herstellers zur Risikominimierung auf Angemessenheit. Die Abgabe einer Meldung erfolgt mittels eines speziellen Formulars, welches von der Homepage des BfArM heruntergeladen werden kann (www.bfarm.de). Die Übermittlung ist bisher nur auf dem postalischen Weg möglich.
Warum sollte man melden?
Das BfArM sendet eine Eingangsbestätigung an den Melder, kontaktiert den Hersteller des Medizinproduktes und bittet ihn um eine Stellungnahme. Ziele der Meldungen sind Erhöhungen von Patienten- und Anwendersicherheit durch Produktverbesserungen. Hier hat das BfArM als Bundesoberbehörde eine gewichtigere Stimme als eine Klinik, eine Abteilung oder ein niedergelassener Anästhesist. Von den Verbesserungen des jeweiligen Medizinproduktes
profitieren alle klinisch Tätigen. Unserer Meinung nach sollte daher die Hauptmotivation für die Meldung eines Vorkommnisses nicht die Erfüllung rechtlicher Vorgaben sondern die Verbesserung des Produktes sein.
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Bei Problemen mit Medizinprodukten auf Grund von Produktfehlern (aber auch unsachgemäße Kennzeichnung, fehlerhafte Bedienungsanleitungen usw.), die zu Funktionsstörungen, Ausfall oder Veränderungen der Produkteigenschaften führen oder hätten führen können, handelt es sich um meldepflichtige Vorkommnisse.
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Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) ist die zentrale
Bundesoberbehörde, an die die Meldungen gerichtet werden müssen.
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Das BfArM kontaktiert den Hersteller und fordert ihn zu einer Stellungnahme
auf.
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Von den ggf. abgeleiteten Produktverbesserungen bzw. –veränderungen profitieren
alle Anwender und nicht nur der Meldende.
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Weiterführende Literatur:
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Gesetz über Medizinprodukte (Medizinproduktegesetz - MPG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 7. August 2002 (Bundesgesetzblatt I S. 3146), zuletzt geändert durch Artikel 13 des Gesetzes vom 8. November 2011 (Bundesgesetzblatt I S. 2178). Bundesgesetzblatt I 1994: 1963.
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Verordnung über die Erfassung, Bewertung, Abwehr von Risiken bei Medizinprodukten (Medizinprodukte-Sicherheitsplanverordnung - MPSV), zuletzt geändert durch Artikel 3 der Verordnung vom 10.Mai 2010 (Bundesgesetzblatt I S. 555). Bundesgesetzblatt I 2002: 2131.
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Wetzel D, von Mallek D. Mitteilungen zu Regelungen der Medizinprodukte-Sicherheitsplanverordnung. Bundesgesundheitsblatt 2009; 52: 577-578.
Autoren:
Prof. Dr. med. M. Hübler, Klinik für Anästhesiologie, Universitätsklinik Carl Gustav Carus Dresden
Dipl.-Ing. M. Regner, Klinik für Anästhesiologie, Universitätsklinik Carl Gustav Carus Dresden
Prof. Dr. med. A. Schleppers, Berufsverband Deutscher Anästhesisten, Nürnberg
Dr. iur. E. Biermann, Berufsverband Deutscher Anästhesisten, Nürnberg
Dipl.-Sozialw. T. Dichtjar, Berufsverband Deutscher Anästhesisten, Nürnberg
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