CIRSmedical Anästhesiologie - Berichten und Lernen
Widersprüchliche Aussagen bezüglich der Betreuung von isolationspflichtigen
Patienten im Aufwachraum.
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Der Fall:
(Aus Gründen der Anonymität wird im Folgenden bei Personen stets die männliche Bezeichnung verwendet.)
Widersprüchliche Aussagen bezüglich der Betreuung von isolationspflichtigen
Patienten im Aufwachraum.
Wo ist das Ereignis eingetreten?
Krankenhaus/Einleitung
Versorgungsart?
Routine
ASA-Klassifizierung:
ASA II
Tag des berichteten Ereignisses:
Wochentag
Wichtige Begleitumstände:
adipöser Patient (BMI ca. 50) zur Anlage eines thorakalen PDK
Fallbeschreibung:
Im Rahmen einer Fortbildung wurde von der Hygieneärztin des Hauses mitgeteilt, dass es durchaus möglich sei, isolationspflichtige Patienten postoperativ im Aufwachraum zu versorgen. Der Aufwachraum hat zehn Bettplätze, die nicht durch Stellwände oder ähnliches voneinander getrennt sind. Der AWR wird von zwei Pflegekräften betreut und hat im Schnitt einen Patientendurchsatz von ca. 40 - 48 in der Zeit von 09.00 - 21.00 Uhr. Um einen isolationspflichtigen Patienten zu betreuen, ist eine 1:1-Betreung notwendig, so dass die zweite Pflegekraft dann die restlichen Patienten betreuen muss. Des Weiteren kommt hinzu, dass es oft Tage gibt, an denen mehrere isolationspflichtige Patienten operiert werden und entsprechend nachbetreut werden müssen, so dass dieses System so nicht funktionieren kann. Ein großes potentielles Risiko besteht darin, dass sich die anderen Patienten infizieren können, da es oft Situationen gibt, in denen es gefordert ist, schnell zu handeln und es trotz besseren Wissens zu Verletzungen des Hygienestandards kommt. Auch müsste hier der ökonomische Standpunkt zugunsten der Patientensicherheit überdacht werden. Die neuste Variante der für den OP-Betrieb verantwortlichen Ärzte besteht darin, dass die betreuende Saalschwester der Anästhesie den isolationspflichtigen Patienten in den AWR begleitet und dort solange betreut, bis dieser verlegt werden kann. In der Zwischenzeit sollte jedoch schon der Saal geputzt werden und die OP-Pflege ihren Tisch aufbauen, damit es zu keinen Verzögerungen kommt. Auch hier besteht ein unnötiges Risiko für alle anderen Patienten im AWR. Fazit: Im Grunde genommen kann dann auch die Zimmerisolation auf den Stationen aufgehoben werden, wenn jeder Patient seine eigene Schwester bekommt.
Es bleibt die Frage: Wo bleibt die Zeiteinsparung, wenn die Saalschwester im AWR ist und den nächsten Patienten nicht mit einleiten kann?
Was war besonders gut?
Widersprüchliche Aussagen über Betreuung von isolationspflichtigen Patienten im AWR.
Der Hygienearzt sagt: es geht
Die Hygieneschwester sagt: es geht nicht
Eigener Ratschlag (Take-Home-Message)?
So verfahren wie bisher: Isolationspflichtige Patienten postoperativ bis zur Verlegungsfähigkeit
im OP betreuen.
Der OP-Saal kann dann gesäubert werden, wenn der nächste Patient eingeleitet wird.
Häufigkeit des Ereignisses?
Jede Woche
Wer berichtet?
Pflegekraft
Berufserfahrung:
über 5 Jahre
Die Analyse aus der Sicht des Anästhesisten
Die Meldung befasst sich mit einer Problematik, mit der wir zunehmend konfrontiert werden: Wie sollen wir im OP-/AWR-Bereich isolationspflichtige Patienten behandeln? Die häufigsten multiresistenten Keime von denen Gefahren für andere Patienten oder das Personal ausgehen sind
- Methicillin-resistenter Staphylococcus aureaus (MRSA)
- Oxacillin-resistenter Staphylococcus aureus (ORSA)
- Vancomycin-resistenter Staphylococcus aureus (VRSA)
- Vancomycin-resistente Enterokokken (VRE)
- Glycopeptid-resistente Enterokokken (GRE)
- extended spectrum Beta-Lactamase (ESBL) bildende Bakterien
Bei der Problematik der Isolierung müssen mindestens vier Aspekte beachtet werden:
Ist immer bekannt, wenn ein Patient mit einem multiresistenten Keim infiziert oder kolonisiert ist?
Dieser Aspekt wird zwar in der Meldung nicht angesprochen, ist aber ein häufiges Problem. Wer kann sich nicht an Patienten erinnern, bei denen zufällig durch Studium der Krankenakte eine solche Tatsache „entdeckt“ wurde? Grundsätzlich gilt die Regel: Infektionen bzw. Übertragung von besonders unerwünschten Erregern erfolgen meist dann, wenn nicht bekannt ist, dass der Patient oder eine andere Kontaktperson Überträger sind.
Hier helfen nur krankenhausweite Vereinbarungen, die festlegen, wie die elektronischen und papiernen Patientenakten eindeutig und offensichtlich markiert werden, um ein Übersehen zu verhindern.
Sinnvoll ist es beispielsweise bei der elektronischen OP-Anmeldung automatisch ein „Cave MRSA“ mit einzupflegen.
Welche Besonderheiten müssen im Rahmen von Operationen bei isolationspflichtigen Patienten beachtet werden?
In Deutschland wurden 1999 die Empfehlungen der Kommission für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention am Robert Koch-Institut (KRINKO) veröffentlicht [4, 5]. Diese Empfehlungen gelten natürlich auch im Operationsbereich und nicht nur auf den Stationen und können auf alle multiresistenten
Erreger übertragen werden. Bezüglich Operationen steht dort im Wortlaut:
„Operative Eingriffe an MRSA-kolonisierten bzw. infizierten Patienten […] sind in dafür vorgesehenen Operationseinheiten durchzuführen. Bei Operationsabteilungen, die über keine derartige Einheit verfügen, sollte der OP-Plan so gestaltet werden, dass Eingriffe […] jeweils am Ende des OPProgramms durchgeführt werden.“
Hierbei muss beachtet werden, dass es sich nur um eine Empfehlung handelt und nicht zwingenddanach gehandelt werden muss. Voraussetzung hierfür ist allerdings, dass nach dem Eingriff die vorgeschriebenen Reinigungsmaßnahmen durchgeführt werden [2]. Aus Gründen der Prozessoptimierung
ist es daher in vielen Abteilungen üblich, den KRINKO-Empfehlungen zu folgen und septische Eingriffe und Eingriffe an Patienten mit isolationspflichtigen Infektionen oder Kolonisation mit entsprechenden Erregern am Ende des Arbeitstages durchzuführen.
Wie sollten isolationspflichtige Patienten unmittelbar postoperativ betreut werden?
Die Übertragung der Erreger erfolgt durch direkten oder indirekten Kontakt, d.h. entweder über kontaminierte Hände des Personals oder nach Kontakt mit kontaminierten Arbeitsflächen oder Materialien. Hieraus leiten sich auch die KRINKO-Empfehlungen ab: Die erste und wichtigste Maßnahme zur Unterbrechung der Transmissionskette ist die Händedesinfektion. Danach folgt die Verwendung von Handschuhen, Kitteln und Mundschutz mit dem Ziel eine Kontamination des Personals bzw. der Kleidung zu unterbinden. Es versteht sich von selbst, dass medizinische Materialien und Pflegematerialen nur patientenbezogen verwendet werden dürfen.
Wenn alle diese Maßnahmen konsequent eingehalten werden, ist grundsätzlich nichts gegen die Unterbringung der entsprechenden Patienten in einem Aufwachraum einzuwenden. Es stellt sich allerdings die Frage, in wie weit die Isolationsmaßnahmen dort umsetzbar sind. Die Antwort hierauf
kann nicht allgemeingültig gegeben werden, sondern sie hängt von den räumlichen Gegebenheiten und dem Personalschlüssel ab. Unbestritten ist, dass sorgfältig durchgeführte Isolationsmaßnahmen zeitaufwendig sind und hierdurch ein schneller Wechsel von einem isolationspflichtigen zu einem nichtisolationspflichtigen Patienten verzögert wird. In einem Aufwachraum mit einem nicht ausreichend bemessenden Personalschlüssel ist daher die Gefahr der Verbreitung der multiresistenten Erreger besonders groß.
Das in der Meldung angesprochene Vorgehen, die unmittelbare postoperative Betreuung durch die Saalpflege fortzuführen, stellt eine sinnvolle Option dar. Ob die Betreuung dann im OP-Saal oder im Aufwachraum durchgeführt wird, ist zweitrangig und hängt im Wesentlichen von den räumlichen Gegebenheiten
im Aufwachraum ab. Grundsätzlich muss aber das Wohlergehen und die Sicherheit aller Patienten höher gewertet werden als ökonomische Zwänge.
In der Meldung wird kritisiert, dass widersprüchliche Aussagen der Hygieneärztin und Hygieneschwester zu Verwirrung geführt haben. Beide haben Recht: Es ist grundsätzlich möglich, einen Patienten mit multiresistenten Keimen neben andere Patienten zu legen, praktische Überlegungen lassen eine 100%ige Vermeidung einer Keimübertragung aber fraglich erscheinen.
Sind Patienten mit multiresistenten Erregern besonderen Gefahren ausgesetzt?
Die Frage impliziert ein Ja. Die Gefahr lautet Vernachlässigung. Hand aufs Herz: Es gibt nur wenige ärztlich oder pflegerisch Tätige, die Patienten mit multiresistenten Erregern die gleiche Hingabe und Professionalität zukommen lassen wie Patienten ohne diese Erreger. Dies gilt insbesondere dann,
wenn man sich nicht ausschließlich um diese Patienten kümmern kann. Die Folgen sind, dass die Patienten weniger überwacht und seltener untersucht werden und entsprechend häufiger Komplikationen entwickeln [3, 6] – von dem psychologischen Stress der Isolierung ganz zu schweigen [1].
Wie kann das Dilemma gelöst werden?
Empfehlenswert ist es, eine von allen Beteiligten gemeinsam getragene Vorgehensweise festzulegen. An der Ausarbeitung des Standards sollten die Berufsgruppen der Hygiene, der chirurgischen Fachabteilungen und der Anästhesie mitarbeiten. Berücksichtigt werden müssen hygienische, arbeitsorganisatorische und ökonomische Aspekte. Das Ziel ist, die Qualität der medizinischen Betreuung und die Sicherheit aller Patienten nicht durch das Vorhandensein von multiresistenten Erregern zu beeinflussen.
Die Analyse aus Sicht des Juristen
Die Versorgung isolationspflichtiger Patienten hat auch im perioperativen Zusammenhang nach Maßgabe insoweit einzuhaltenden medizinischen Standards zu erfolgen. Dies gilt hier insbesondere betreffend Hygiene und Infektionsprävention. Dabei bleibt in Sonderheit Folgendes zu berücksichtigen:
Lässt einzuhaltender Standard tatsächlich alternative Versorgungspraktiken zu, ist gleichwohl der für den/die Patienten sicherste Weg zu wählen. Insofern könnte vorliegend auch argumentiert werden, eine Infektionsübertragung habe schlicht durch separierende Versorgungsorganisation vermieden
werden können; Problematik des sogenannten „voll beherrschbaren Risikos“ mit zivilprozessualer Beweislastumkehr.
„Schutz und Sicherheit des Patienten“ müssen stets die „oberste Behandlungsmaxime“ bilden, so die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes (BGH). Insoweit sind wirtschaftliche Erwägungen nachrangig bzw. aus rechtlicher Sicht zu vernachlässigen.
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Eine eindeutige, automatische Kennzeichnung von Patientenakten bei Vorhandensein von multiresistenten Keimen ist sinnvoll.
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Patienten mit multiresistenten Erregern werden weniger überwacht und seltener untersucht und entwickeln entsprechend häufiger Komplikationen.
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Die Organisation der postoperativen Betreuung von Patienten mit multiresistenten Erregern muss sich an medizinischen Notwendigkeiten unter Berücksichtigung der besonderen hygienischen Erfordernisse orientieren. Ökonomische Sachzwänge haben eine nachgeordnete Priorität.
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Die postoperative Betreuung der Patienten kann im Aufwachraum erfolgen, falls die erforderlichen Isolationsmaßnahmen dort sicher umgesetzt werden können. Entscheidende Voraussetzungen hierfür sind die räumlichen Gegebenheiten und der Personalschlüssel.
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Die Erstellung und Verbreitung eines verbindlichen, hausinternen Standards vermeidet Unklarkeiten und verbessert die Qualität der Patietenversorgung.
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Weiterführende Literatur:
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Hartmann C. Wie erleben Patienten die Isolierung wegen einer Infektion oder Kolonisierung mit MRSA? Pflege Zeitschrift 2006; 59: Suppl 2-8
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Kappstein I. Aktuelle MRSA-Problematik. Chirurg 2006; 77: 499-505
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Kirkland KB, Weinstein JM. Adverse effects of contact isolation. Lancet 1999; 354: 1177-1178
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Kommission für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention am Robert Koch-Institut . Empfehlungen zur Prävention und Kontrolle von Methicillin-resistenten Staphylococcus aureus- Stämmen (MRSA) in Krankenhäusern und anderen medizinischen Einrichtungen. Gesundheitsblatt – Gesundheitsforschung - Gesundheitsschutz 1999; 42: 954-958
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Kommission für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention am Robert Koch-Institut . Kommentar zu den „Empfehlungen zur Prävention und Kontrolle von MRSA-Stämmen in Krankenhäusern und anderen medizinischen Einrichtungen“. Epidemiologisches Bulletin 2008; 42: 363-364
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Stelfox HT, Bates DW, Redelmeier DA. Safety of patients isolated for infection control. JAMA 2003; 290: 1899-1905
Autoren:
Prof. Dr. med. M. Hübler, Universitätsklinik Carl Gustav Carus Dresden
Rechtsanwalt Rolf-Werner Bock, Kanzlei Ulsenheimer – Friederich, Berlin
Prof. Dr. med. A. Schleppers, Berufsverband Deutscher Anästhesisten, Nürnberg
Dr. iur. E. Biermann, Berufsverband Deutscher Anästhesisten, Nürnberg
Dipl.-Sozialw. T. Dichtjar, Berufsverband Deutscher Anästhesisten, Nürnberg
Dr. M. St.Pierre, Anästhesiologische Klinik, Universitätsklinikum Erlangen
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