Fall des Monats Juli 2012 |
07.08.2012 | |||
CIRSmedical Anästhesiologie - Berichten und Lernen
Lokale Arbeitsanweisung für NEF-Ärzte verbietet Actilyse-Gabe bei Verdacht auf Lungenembolie Der Fall:(Aus Gründen der Anonymität wird im Folgenden bei Personen stets die männliche Bezeichnung verwendet.)Lokale Arbeitsanweisung für NEF-Ärzte verbietet Actilyse-Gabe bei Verdacht auf Lungenembolie Wo ist das Ereignis eingetreten?NotarztdienstVersorgungsart:NotfallPatientenzustand:ASA IVTag des berichteten Ereignisses:Wochenende/FeiertagPatientenzustand:Grau, sterbender Patient, der zentralisiert und hypoxisch erscheint.Fallbeschreibung:
Während eines Toilettenganges kollabiert der Patient zu Hause. Es erfolgt die Alarmierung von RTW und NEF. Bei Eintreffen wird ein ca. 60 Jahre alter zentralisiert und grau erscheinender Patient aufgefunden, der aussagt, dass er sterbe. Es ist kein peripherer Puls tastbar, keine gestauten Halsvenen sichtbar und im 12-Kanal-EKG finden sich keine gesicherten Zeichen einer Lungenembolie (LE). Durch O2-Gabe, 5000 iE Heparin, Beinhochlagerung und mäßiger Volumentherapie kommt es zu einer Stabilisierung des Patienten, jedoch ohne dass peripher ein Puls tastbar wäre. Die Medikamentenanamnese ist unauffällig. Der Patient hatte vor 12 Monaten eine Unterschenkelvenenthrombose mit Lungenembolie und anschließender Marcumartherapie für 6 Monate. Aktuell besteht somit der Verdacht auf eine Re-Lungenembolie. Die lokale Arbeitsanweisung für NEF-Ärzte verbietet eine Actilyse-Gabe bei Verdacht. Erst bei gesicherter LE darf lysiert werden. Der Patient wird unter Arternenol-Tropf lebend (RR 113/81, Puls 117/min., SaO2 97% bei 4 l O2) in die Klinik gebracht, wo er sehr schnell erneut hypoxisch und reanimationspflichtig wird. Was war besonders ungünstig?
Fehlende Actilyse-Gabe am Einsatzort bei High-Risk-LE. Eigener Ratschlag (Take-Home-Message)?Freie Therapiewahl des NotarztesHäufigkeit des Ereignisses?seltenWer berichtet?Ärztin/Arzt
über 5 Jahre
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Während im ersteren Fall ein patientenbezogenes Vorgehen in Abhängigkeit von der Verfügbarkeit und Nähe einer Klinik mit PTCA-Möglichkeit klar definiert ist, geschieht die Anwendung im Fall 2 - 4 als sogenannter "Rettungsversuch" ("Rescue-Thrombolyse") bei ansonsten infauster Prognose.
Für den geschilderten Fall eines Verdachts auf eine fulminante Lungenembolie kommen für die Diagnosestellung und Therapieentscheidung nur klinische und anamnestische Parameter in Frage, da in der Regel weitere diagnostische Möglichkeiten nur in der Klinik zur Verfügung stehen.
Die im Fallbericht geschilderte Eingangsvoraussetzung ("Erst bei gesicherter LE darf lysiert werden") ist als nicht praxistauglich anzusehen, da sie eine Anwendung der Thrombolyse quasi ausschließt. Vielmehr kann bei akutem Rechtsherzversagen, Schock und konsekutiver Reanimationspflichtigkeit ausschließlich die Rescue-Thrombolyse das Leben des Patienten retten, da alle therapeutischen Bemühungen erfolglos bleiben werden, solange nicht das Blutgerinnsel in der Pulmonalarterie aufgelöst wurde. Dass vor dem Hintergrund des im Fallbericht geschilderten kritischen Zustands eines noch ansprechbaren Patienten diese Forderung nicht so gedeutet werden darf, dass mit der Lyse so lange zu warten ist, bis die Indikationsstellung aufgrund der Reanimationspflichtigkeit eindeutig ist, sollte sich von selbst verstehen.
Weiterhin sollte noch bedacht werden, dass auch die offiziellen Leitlinien zur präklinischen Lyse kein Verbot, sondern lediglich relative und absolute Kontraindikationen kennen (3):
Absolute Kontraindikationen:
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Relative Kontraindikationen:
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Unter den Thrombolytika ist gerade die vom Melder erwähnte Actilyse zur Lyse bei Lungenembolie zugelassen. Es ist nicht das teuerste Thrombolytikum auf dem Markt, sondern eher ein gut eingeführtes, traditionelles Präparat. Die Dosierung ist entweder 100 mg über zwei Stunden oder 0,6 mg/kg (max. 50 mg) über 15 min (1). Die Stellungnahme des „AK Ärztliche Leiter der Rettungsdienste Deutschlands“ fasst die Problematik der "Prähospitalen Thrombolyse" folgendermaßen zusammen:
"Der Rettungsdienst hat es mit zwei Gruppen von Patienten zu tun, bei denen eine präklinische Thrombolyse sinnvoll sein kann.
- Patienten, deren einzige Überlebenschance die Durchführung der Rescue-Thrombolyse durch den Notarzt ist (kardiogener Schock, transportunfähig; frustrane Reanimation bei Myokardinfarkt; fulminante Lungenembolie).
- Patienten mit frischem ST-Hebungsinfarkt, bei denen die präklinische Thrombolyse unter bestimmten Umständen die einzige Möglichkeit darstellt, das Infarktgefäß im optimalen Zeitfenster von 2 - 3 Stunden seit Symptombeginn wieder zu eröffnen und damit die Letalität zu senken und das Outcome zu verbessern. Gerade in Zeiten schwindender finanzieller Ressourcen ist es eine primäre Aufgabe des notarztgestützten Rettungsdienstes, bereits vor Ort optimale intensivmedizinische Maßnahmen einzuleiten und die Ressourcen von hochspezialisierten Zentren bedarfsorientiert und zeitkritisch zu nutzen, um ein Maximum an Effizienz zu erreichen. Dies entspricht den gesetzlichen Aufgaben des Rettungsdienstes. Somit gehört ein modernes Thrombolytikum zur Standardmedikation eines jeden notarztbesetzten Rettungsmittels. Die Aufwendungen dafür sind Kosten des Rettungsdienstes und müssen deshalb auch dort refinanziert werden".
Angesichts der aufgezeigten Empfehlungen darf die bestehende SOP sehr kritisch und nicht auf dem Stand aktueller Empfehlungen gesehen werden. Die vorliegende Meldung könnte somit als Anlass dafür dienen, die genannte Arbeitsanweisung gemeinsam mit den Kollegen vor Ort und dem Ärztlichen Leiter Rettungsdienst kritisch zu überprüfen und gegebenenfalls zu modifizieren.
Die Analyse aus Sicht des Juristen
Der Arzt muss im Einzelfall stets prüfen,
- - ob es für den konkreten Fall Richt-/Leitlinien oder SOP gibt,
- - ob die Verlautbarungen jeweils dem aktuellen medizinischen Standard entsprechen,
- - wenn ja, ob er im konkreten Fall diesem folgen muss, oder ob es sachliche Gründe für ein Abweichen gibt.
Weiterführende Literatur
- Guidelines on the diagnosis and management of acute pulmonary embolism. The Task Force for the Diagnosis and Management of Acute Pulmonary Embolism of the European Society of Cardiology (ESC). European Heart Journal (2008) 29, 2276–2315, im Internet unter: http://www.escardio.org/guidelines.
- Strukturelle Anforderungen an die Vorhaltung der Thrombolyse im Rettungsdienst für Patienten mit akutem Herzinfarkt oder Lungenembolie. Erläuterung zur Stellungnahme der Ärztlichen Leiter der Rettungsdienste Deutschlands, im Internet unter: http://www.agnnw.de/web/cms/front_content.php?idart=105 und http://www.notarzt-dortmund.de/Download/phlerlaeuterung1.pdf
- Stellungnahme der DIVI zur präklinischen Lyse beim akutem Myokardinfarkt mit ST-Hebung ( STEMI), im Internet unter: http://www.divi-org.de/fileadmin/pdfs/notfallmedizin/Lyse-Empfehlung_20DIVI.pdf und http://www.dgk.org/leitlinien/LL_Akutes_Koronarsyndrom_Teil2.pdf
- Ulsenheimer K/Biermann E: Leitlinien – medico-legale Aspekte, Anästh Intensivmed 2008; 49:105 - 106
Dr. med. T. Birkholz, Anästhesiologische Klinik, Universitätsklinikum Erlangen
Prof. Dr. med. A. Schleppers, Berufsverband Deutscher Anästhesisten, Nürnberg
Dr. iur. E. Biermann, Berufsverband Deutscher Anästhesisten, Nürnberg
Ass. iur. E. Weis, Berufsverband Deutscher Anästhesisten, Nürnberg
Dipl.-Sozialw. T. Dichtjar, Berufsverband Deutscher Anästhesisten, Nürnberg
Dr. M. St.Pierre, Anästhesiologische Klinik, Universitätsklinikum Erlangen