Fall des Monats November 2012 |
20.12.2012 |
CIRSmedical Anästhesiologie - Berichten und Lernen
Patient lehnt Durchführung der Anästhesie ab, weil er über Risiko des Ver- Der Fall:(Aus Gründen der Anonymität wird im Folgenden bei Personen stets die männliche Bezeichnung verwendet.)Patient lehnt Durchführung der Anästhesie ab, weil er über Risiko des Versterbens während Narkose aufgeklärt wird Wo ist das Ereignis eingetreten?Krankenhaus/PM-AmbulanzVersorgungsart:RoutinebetriebTag des berichteten Ereignisses:WochentagASA-Klassifizierung:ASA IIPatientenzustand:Ein junger Patient wird für einen Elektiveingriff vorbereitet. Im Kindesalter hat er Schilddrüsenmedikamente eingenommen, anamnestisch ist eine einmalige paroxysmale Tachykardie in Erfahrung zu bringen. Aktuelles Labor: FT3 liegt knapp unter dem Normbereich (2.Stelle hinter dem Komma), FT4 und STH liegen im Normbereich.Fallbeschreibung:
Ein etwa 50-jähriger Patient wird für einen ambulanten Eingriff aufgeklärt. Die Schilddrü-senparameter sind wie oben beschrieben fast alle im Normbereich, der Patient nimmt keine Schilddrüsenmedikamente ein und die Klinik ist unauffällig. Der Patient wird auf die Nebenwirkungen der Hypothyreose aufmerksam gemacht (verlangsamtes Aufwachen bis zum Tod) und es werden ihm 2 Alternativen vorgestellt: Häufigkeit des Ereignisses?Mehrmals pro JahrWer berichtet?Ärztin/ArztDie Analyse aus Sicht des AnästhesistenDie vorliegende Meldung thematisiert einen interdisziplinären Disput zwischen Anästhesist und Operateur, der sich über einer unterschiedlichen Risikoeinschätzung eines geplanten Eingriffs entfacht.Der Melder stellt zum einen die Frage
Die medizinische und die juristische Einschätzung sollen im Folgenden gegeben werden. Medizinische Beurteilung Das Risiko eines medizinischen Eingriffs kann in einen unberechenbaren („schicksalhaften“) und einen berechenbaren Anteil aufgegliedert werden. Unberechenbar wäre das stochastische Zusammentreffen vieler Einzelfaktoren (die sogenann-te „Fehlerkette“), die unerwartet zu einer vital bedrohlichen Situation und bei inadäquatem Zwischenfallsmanagement im weiteren Lauf zu dauerhaftem Schaden oder zum Tode führen können. Hierzu können dem Patienten keine Angaben gemacht werden; der Anästhesist selbst wird diese Möglichkeit in seine tägliche Wahrnehmung integriert haben: „Anesthesia is a disaster waiting to happen“ und „Always expect the unexpected“. Berechenbar sind alle Umstände, die nach aktuellem medizinischem Wissensstand das Anästhesierisiko für den Patienten erhöhen. Bei erhöhtem Risiko muss dann immer mit dem Patienten und dem operativen Partner in einer gemeinsamen Risikoabwägung entschieden werden, ob der zu erwartende Benefit für den Patienten ein erhöhtes Morbiditäts- und Mortalitätsrisiko rechtfertigt. Als globaler Parameter hat sich in diesem Zusammenhang die ASA-Klassifikation etabliert, bei der eine Reihe an Studien eine klare Korrelation mit der perioperativen Morbidität und Mortalität zeigen konnten. Bei ASA IV und ASA V-Patienten ist in jedem Fall mit einem deutlich erhöhten perioperativen Risiko (einschließlich des Versterbens) zu rechnen und sollte entsprechend in die Risikoabwägung und das Gespräch mit dem Patienten (sofern möglich) oder dessen Angehörigen/Betreuern einfließen. Diese Voraussetzungen sind in der vorliegenden Meldung jedoch nicht gegeben: Der Melder stuft den Patienten als ASA II ein und berichtet, dass der Grund für die Aufklärung in einem geringfügig erniedrigten fT3-Wert bei normalem fT4 und TSH zu suchen ist. (NB: es wird davon ausgegangen, dass es sich um einen Schreibfehler handelt und anstelle „STH“ das „TSH“ gemeint ist). Da die Schilddrüse bei einer Hypothyreose zu geringe Mengen an Schild-drüsenhormonen produziert, erfolgt über den thyreotropen Regelkreis ein Anstieg der Produktion durch eine Maximierung der TSH-Ausschüttung. Als Screening-Parameter eignet sich daher die alleinige Bestimmung des basalen TSH- Spiegels im Blut, der bei einer Hypothyreose immer erhöht ist. Ist dieser normal, kann bei einem klinisch unauffälligen Patienten auf eine weitere Bestimmung der Schilddrüsenhormone verzichtet werden. Im vorliegenden Fall handelt es sich somit um keine Hypothyreose und bedauerlicherweise um eine klinische Fehlinterpretation des Laborbefundes durch beide Ärzte, Anästhesist und Operateur. Es bestand zu keinem Zeitpunkt ein erhöhtes Anästhesierisiko für den Patienten und somit weder eine Indikation zur Verschiebung noch zur „besonders drastischen“ Aufklärung auf ein Risiko zu versterben. Da in den meisten Vordrucken für die Anästhesieaufklärung Komplikationen wie der Herz-kreislaufstillstand erwähnt werden und Patienten informiert aber nicht in Furcht versetzt wer-den sollen, kann bei Patienten mit keinem bis gering erhöhtem Risiko (ASA I-III) m. E. auf eine explizite Erwähnung verzichtet werden. Durch die Nachfrage, ob denn der Patient noch verbleibende Fragen zu den im Aufklärungsbogen aufgeführten Risiken hat, bietet man dem Patienten die Möglichkeit das Versterben in Narkose zu thematisieren, sofern gewünscht. Aus eigener Erfahrung hat sich bewährt, bei der regelhaft getroffenen Aussage „Ich habe Sorge, ich wache nicht mehr auf!“ genau diesen Aspekt herauszuhören und zu präzisieren: „Sie reden davon, nicht mehr aufzuwachen, was sie aber vermutlich meinen, ist, dass sie Sorge haben zu versterben. Nun dazu kann ich ihnen sagen …“.
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