Fall des Monats März 2013 |
03.04.2013 |
CIRSmedical Anästhesiologie - Berichten und Lernen
Beinahe-Übergabe eines Patienten aus dem AWR an nicht entsprechend qualifiziertes Personal. Der Fall:(Aus Gründen der Anonymität wird im Folgenden bei Personen stets die männliche Bezeichnung verwendet.)Beinahe-Übergabe eines Patienten aus dem AWR an nicht entsprechend qualifiziertes Personal. Wo ist das Ereignis eingetreten?Krankenhaus/TransportTag des berichteten Ereignisses:WochentagVersorgungsart:RoutinePatientenzustand:ASA IIFallbeschreibung:
Ein postoperativer Patient soll nach Beendigung einer komplikationslosen 45-minütigen Aufwachraumzeit zurück auf die Station verlegt werden. Der Patient ist leicht schläfrig, sonst unauffällig. Die Station befindet sich ca. 500 m entfernt. Das Personal des bestellten Transports besteht aus nicht-medizinischem Personal. Der Anästhesist beschließt deshalb, den Transport zu begleiten. Kurz nach Transportbeginn klagt der Patient kurz über starke Übelkeit. Im Fahrstuhl des Zielgebäudes erbricht er im Schwall. Der Patient berichtet, dass die Übelkeit nun besser sei. Der weitere Transport erfolgt ohne weitere Besonderheiten. Was war besonders gut?Die eher zufällige Anwesenheit des Anästhesisten mit Notfallkoffer.Was war besonders ungünstig?Eine eventuelle Aspiration, dazu noch in einem Fahrstuhl ohne greifbares medizinisches Personal in der Nähe, hätte den Patienten gefährdet.Fragliche forensische Folgen für den verlegenden Anästhesisten im Falle einer beinahe schicksalhaften Komplikation, wenn er nicht mitgekommen wäre. Eigener Ratschlag (Take-Home-Message)?Bei (innerklinischen) Verlegungen ohne medizinisch geschultes Personal muss der postoperative Patient dem „präoperativen Zustand“ entsprechen, ansonsten im Zweifel besser mit medizinischem Personal verlegen.Häufigkeit des Ereignisses?seltenWer berichtet?Ärztin/ArztBerufserfahrung:über 5 JahreDie Analyse aus Sicht des AnästhesistenDer Fall spricht 2 Probleme an:1. Verlegung aus dem Aufwachraum Nach einem Anästhesieverfahren kann ein Patient noch einige Zeit durch Auswirkungen der Anästhesie oder aber durch Folgen des operativen/diagnostischen Eingriffs vital gefährdet sein. Deshalb ist eine entsprechend qualifizierte und kontinuierliche Überwachung zwingend erforderlich. Diese sogenannte Erholungsphase ist erst dann beendet, wenn „keine Komplikationen von Seiten der vitalen Funktionen mehr zu erwarten sind“ [1]. Wie lange diese Erholungsphase dauert, ist sehr unterschiedlich, da zahlreiche Faktoren Einfluss nehmen können (z.B. Wahl der Medikamente, Dauer der Anästhesie, Art der Operation, Patientenfaktoren). Die deutschen Fachgesellschaften haben entsprechende Verlegungskriterien definiert [1]. Im Einzelnen gilt:
Patienten, die aus dem Aufwachraum (AWR) auf eine Normalstation verlegt werden, müssen verschiedene Voraussetzungen erfüllen (siehe 1.). Wenn diese erfüllt sind, kann der Patient „aus der anästhesiologischen Überwachung in einen anderen Bereich (z.B. Regelpflegestation im stationären Bereich, Wartezimmer im ambulanten Bereich) verlegt werden“ [1]. Die Verantwortlichkeit des Anästhesisten für den Patienten endet mit dessen Übergabe an das Personal der weiterbetreuenden Station/ Funktionsabteilung (siehe unten Analyse aus Sicht des Juristen). In der zitierten Empfehlung wird weiter empfohlen, dass „zur Frage der Begleitung des Patienten bei Abgabe und Verlegung auf die […] Normalstation (Veranlassung, Begleitperson) schriftlich fixierte, hausinterne Vereinbarungen zu treffen sind.“ Die Kriterien für die Verlegung von Patienten aus dem AWR auf eine Normalstation sind nicht gleichzusetzen mit den Kriterien für die Verlegung von Patienten nach ambulanten Eingriffen nach Hause (siehe 1.) [2]. Es gilt allgemein, dass der Patient nicht mehr vital gefährdet sein darf, dass er noch qualifizierter medizinischer Hilfe bedarf, schließt eine Verlegung nicht aus, vorausgesetzt, die Begleitperson weist eine entsprechende Qualifikation (z.B. Pflegekraft) auf, um gegebenenfalls überbrückend medizinische Notfallmaßnahmen durchführen zu können. Gerade in Häusern mit langen Wegen – wie im Fall erwähnt – ist aufgrund von Personalknappheit häufig zu beobachten, dass medizinisch nicht-qualifiziertes Personal alleine Patienten transportiert. Die Verlegung von Patienten aus dem AWR nach einer Anästhesie verlangt aber nach qualifiziertem Begleitpersonal. Fehlt dieses, muss der Patient – ähnlich wie bei einer Entlassung in das häusliche Umfeld nach ambulanten Eingriffen – länger überwacht werden, bis die Verlegungskriterien denen entsprechen, die erfüllt sein müssen, wenn Patienten direkt nach Hause entlassen werden. Dem verlegenden Arzt ist es im Allgemeinen nicht möglich, die jeweilige Qualifikation der abholenden Personen zu überprüfen. Deshalb ist die schriftliche Fixierung einer entsprechenden hausinternen Regelung wichtig. Ist es allerdings – wie im geschilderten Fall – offensichtlich, dass das abholende Personal nicht adäquat qualifiziert ist, darf der Arzt die Übergabe des Patienten erst dann erlauben, wenn die Station entsprechend qualifiziertes Personal zur Verfügung stellt oder, soweit möglich eine ärztliche Transportbegleitung stattfindet. Was ist aus dem Fall zu lernen?
Die Analyse aus Sicht des JuristenAufgrund mangelnder ökonomischer oder personeller Ressourcen gehen Krankenhausträger vielfach dazu über, frisch operierte Patienten häufig nur noch von angelerntem Hilfspersonal von den Stationen in den OP bzw. umgekehrt vom OP/Aufwachraum auf die Stationen bringen zu lassen. Der Bundesgerichtshof hat wiederholt betont, dass die Sicherheit des Patienten oberstes Gebot ist. Ökonomische Erwägungen haben zurückzustehen. Dies heißt aber nicht, dass nun aus Gründen äußerster Vorsicht stets nur noch ärztlich begleitete Transporte stattfinden dürfen. Die juristische Sicht folgt hier der fachlichen: Der Patient, der aus dem Aufwachraum verlegt wird, bedarf einer situationsgerechten Betreuung und Überwachung. Nichts anderes gilt im Übrigen auch für einen prämedizierten Patienten. Dabei sind Art und Intensität der Betreuung/Überwachung abhängig von den möglichen Beeinträchtigungender Vitalfunktionen und der Vigilanz. Maßgeblich ist der jeweilige Zustand des individuellen Patienten unter Berücksichtigung der Grunderkrankung, des operativen Eingriffs, des Anästhesieverfahrens und seiner Nachwirkungen. Vor diesem Hintergrund lässt sich die Frage nach der Qualifikation des Begleitpersonals nicht abstrakt, sondern nur situationsbezogenen unter Würdigung der konkreten Umstände des Einzelfalles vor Ort beantworten. Es spricht allerdings einiges dafür, dass bei Patienten höherer Risikogruppen (etwa ab ASA III) erfahrenes (weitergebildetes) Personal zum Einsatz kommen sollte; nichts anderes wird für die Patientin gelten, bei denen präoperativ wegen der individuellen Wirkung der Prämedikation bzw. postoperativ wegen der Wirkungen des operativen Eingriffs kombiniert mit dem Anästhesieverfahren erhöhte Vorsicht geboten ist. Erst recht gilt dies, wenn es im Aufwachraum Probleme gegeben hat, die auf eine erhöhte Betreuung - und Überwachungsbedürftigkeit hinweisen. Je zweifelhafter die Qualifikation des Transportpersonals, desto kritischer ist die Frage der Verlegungsfähigkeit und die Notwendigkeit einer Arztbegleitung ärztlicherseits zu beurteilen. Von Risikopatienten abgesehen wird man an die Qualifikation des den Patienten begleitenden Personals jedenfalls die (Mindest-) Anforderung stellen müssen, dass es zum rechtzeitigen Erkennen von Problemen in der Lage und bis zum Eintreffen ärztlicher Hilfe auch fähig ist, überbrückende bzw. unter Umständen lebensrettende Sofortmaßnahmen durchzuführen. Wenn es der Zustand des Patienten und seine Sicherheit erfordern, wird auch ein Arzt einem Patienten begleiten müssen. Wer trägt die Verantwortung für die Qualifikation des Begleitpersonals? In der Empfehlung der Verbände zur Überwachung des Patienten nach Anästhesieverfahren [1] ist unter 1.4 festgelegt: Die Verantwortung des Anästhesisten endet mit der Übergabe des Patienten aus seiner anästhesiologischen Betreuung an die nachbehandelnde Struktur, es sei denn, es ist – z.B. im Rahmen des ambulanten Operierens – ausdrücklich etwas anderes vereinbart. Wenn nichts anderes vereinbart ist, wird man davon ausgehen dürfen, dass die jeweilige Normalstation verantwortlich ist für den Transport des Patienten zum OP aber auch dafür, dass der verlegungsfähige Patient im Aufwachraum wieder abgeholt und auf die Normalstation verbracht wird. Gibt es aus anästhesiologischer Sicht besondere Betreuungs- oder Überwachungsnotwendigkeiten – oder ergeben sich diese aus dem operativen Eingriff und seinen Nachwirkungen – dann wird der Arzt, der über die Verlegung aus dem Aufwachraum entscheidet, dem transportierenden Personal die entsprechenden Hinweise geben und gegebenenfalls dafür sorgen müssen, dass bei einem gefährdeten Patienten der Transport durch qualifiziertes Personal, eventuell in Arztbegleitung erfolgt [3]. Weiterführende Literatur: [1] Überwachung nach Anästhesieverfahren. Empfehlung der Deutschen Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin und des Berufsverbandes Deutscher Anästhesisten. Anästh Intensivmed 50 (2009) S486-S489. [2] Vereinbarung zur Qualitätssicherung ambulante Anästhesie des BDA, der DGAI und des BDC. Anästh Intensivmed 46 (2005) 36-37 und 47(2006) 50-53. [3] Biermann, E. Transportbegleitung des Patienten, BDAktuell Jusletter März 2008, S. 1 f Autoren: Prof. Dr. med. M. Hübler, Universitätsklinik Carl Gustav Carus Dresden Prof. Dr. med. A. Schleppers, Berufsverband Deutscher Anästhesisten, Nürnberg Dr. iur. E. Biermann, Berufsverband Deutscher Anästhesisten, Nürnberg Dipl.-Sozialw. T. Rhaiem, Berufsverband Deutscher Anästhesisten, Nürnberg Dr. M. St.Pierre, Anästhesiologische Klinik, Universitätsklinikum Erlangen |