Fall des Monats September 2013 |
07.11.2013 |
CIRSmedical Anästhesiologie - Berichten und Lernen
PCA-Pumpe wird mit 20 ml Luft im Schlauch am Patienten angeschlossen Der Fall:(Aus Gründen der Anonymität wird im Folgenden bei Personen stets die männliche Bezeichnung verwendet.)PCA-Pumpe wird mit 20 ml Luft im Schlauch am Patienten angeschlossen Wo ist das Ereignis eingetreten?Krankenhaus - NormalstationTag des berichteten Ereignisses:WochenendeVersorgungsart:RoutinebetriebPatientenzustand:
Schmerzen
Fallbeschreibung:
Ein postoperativer Patient war mit einer nicht beschrifteten PCA-Pumpe versorgt worden. Diese hing an dem ZVK und hatte ca. 20 ml. Luft im Schlauch. Anscheinend war sie von einer unerfahrenen Person aus einer anderen operativen Fachabteilung angebracht worden.
Was war besonders gut?
Rechtzeitiges Eingreifen
Was war besonders gungünstig?
Es existiert wenig oder keine Erfahrung mit solchen Schmerzpumpen in anderen Bereichen.
Häufigkeit des Ereignisses?seltenWer berichtet?PflegekraftBerufserfahrung:über 5 JahreDie Analyse aus Sicht des Anästhesisten
Die vorliegende Meldung berichtet von einem Beinahezwischenfall, der nur durch Zufall rechtzeitig erkannt wird, bevor der Patient durch eine Luftembolie zu Schaden kommt: Eine Perfusorspritze (bzw. Kassette; diese Differenzierung ist der Meldung nicht zu entnehmen) wird in nicht ausreichend entlüftetem Zustand in die PCA-Pumpe eingespannt, so dass dem Patienten um ein Haar eine geschätzte Menge von 20 ml Luft injiziert worden wäre. Während sich in der Literatur eine Fülle an Fallberichten und Übersichtsartikel findet, die sich mit der klinischen Relevanz von Luftembolien im Rahmen von Anlage, Pflege und Entfernung von zentralvenösen Kathetern auseinander setzen, findet die akzidentelle Injektion von größeren Mengen Luft in einen intravenösen Katheter nur geringe Aufmerksamkeit. Berichtet wird in diesem Kontext von der akzidentellen Injektion größerer Mengen an Luft bei radiologischen Kontrastmittelinjektionen durch ferngesteuerte Hochgeschwindigkeitspumpen und bei Verwendung von nicht entlüfteten Tropfkammern im Rahmen von Druckinfusionen. Da in der Literatur seit Jahrzehnten ein kritischer Wert von 0,4 ml Luft/kgKG/min als die „magische Grenze“ für eine letale Gasmenge tradiert wird, kann unter Annahme eines normalen Körpergewichts das in der Meldung genannte Volumen bereits als kritisch gewertet werden, wenngleich angenommen werden muss, dass bei normalem Funktionszustand der Pumpe (keine Basalrate, Sperrzeit nach jedem Bolus) diese Luftmenge nur sehr protrahiert in den Patienten gelangt wäre. Die Folgen des Eintritts einer größeren Menge an Luft stehen in direktem Zusammenhang mit dem klinischen Zustand des Patienten, dem Vorhandensein eines offenen Foramen ovale, sowie dem Gesamtvolumen und der Geschwindigkeit der Aufnahme. Aufgrund eines intrakardialen Lufteinschlusses vor der Trikuspidalklappe („Air Lock“) kann es zu einem erniedrigten HZV und im Falle eines pulmonalen Weitertransports zu einer pulmonalvaskulären Widerstandserhöhung kommen. Sollte es sich um einen kontinuierlichen Zustrom handeln und ein persistierendes Foramen ovale vorhanden sein, kann bei gleichzeitig erhöhtem rechtsatrialen Druck ein funktioneller Rechts-Links-Shunt mit der Möglichkeit einer koronaren oder cerebrovaskulären Luftembolie und konsekutiven Infarzierung des zu versorgenden Gebiets resultieren. Eine sehr schöne kasuistische Darstellung der genannten Problematik einschließlich resultierender Behandlungsstrategien sind kürzlich in der AINS publiziert worden. In der Regel sind PCA-Pumpen vor Fehlbedienung bzw. unautorisierter Manipulation dadurch gesichert, dass sie absperrbar sind und der Schlüssel nur eingewiesenen Mitarbeitern zugänglich ist. Dem Leser stellt sich daher die Frage, wieso eine Pflegekraft einerseits mittels eines Schlüssels den Spritzen-/Kassettenwechsel durchführen kann, andererseits aber für diese Tätigkeit nur ungenügend geschult zu sein scheint. Diese Einschätzung erfolgt anhand der erwähnten fehlenden Entlüftung und fehlenden Beschriftung. Eine Zusammenschau der Tatsache, dass die Perfusorpumpe ungenügend zubereitet wurde mit der unter „was war besonders ungünstig“ abgegebenen Bemerkung des Melders, dass „wenig oder keine Erfahrung mit solchen Schmerzpumpen in anderen Bereichen“ existiere, scheint die Vermutung zu rechtfertigen, dass ein Schulungsbedarf im Umgang mit PCA-Pumpen besteht. Da dem Verfasser dieser Analyse nur Anästhesiologische Schmerzdienste bekannt sind, die sich kompetente Zubereitung von PCA-Systemen und gewissenhafte Überwachung der Patienten auszeichnen, könnte als beitragender Faktor auch ein organisatorisches Defizit wirksam sein in dem Sinne, dass zwar die Verantwortung auf die bettenführende Station übergegangen ist, regelmäßige Schulungen jedoch nicht vorgesehen sind. Grundsätzlich ist diese Verantwortlichkeit möglich, da verschiedene Organisationsmodelle der postoperativen Schmerztherapie existieren: So heißt es in der Vereinbarung zur Organisation der postoperativen Schmerztherapie:
„Als Organisationsmodelle für lokale Absprachen über die interdisziplinäre Kooperation auf chirurgisch geleiteten Bettenstationen und Intensiveinheiten kommen in Betracht:
3.1 Die Zuziehung des Anästhesisten von Fall zu Fall - zum schmerztherapeutischen Konsilium, - zu definierten schmerztherapeutischen Maßnahmen,
3.2 die Übernahme eines durch lokale interdisziplinäre Absprachen abgegrenzten Programms schmerztherapeutischer Leistungen durch den Anästhesisten als mitbehandelnder Arzt,
3.3 die Übertragung der gesamten postoperativen Schmerztherapie auf den Anästhesisten im Rahmen seiner fachlichen Zuständigkeit, also mit den Methoden des Fachgebietes,
3.4 die Einrichtung eines gemeinsamen, fachübergreifenden Schmerzdienstes, dem Anästhesisten und Chirurgen sowie eventuell auch die Vertreter eines oder mehrerer anderer operativer Fächer angehören.“
„4.2 Führt der Operateur eine Behandlung weiter, die der Anästhesist eingeleitet hat, so trägt er dafür die ärztliche und rechtliche Verantwortung. Bereitet z. B. der Anästhesist inAbsprache mit dem Operateur die postoperative Schmerzbehandlung lediglich vor, etwa indem er intraoperativ oder im Aufwachraum einen Dauerkatheter legt, so übernimmt der Operateur mit der Verlegung des Patienten auf die Bettenstation die Verantwortung für die Pflege des Katheters, für die Nachinjektion und für die Überwachung des Patienten.
4.3 Wird ein fachübergreifender Schmerzdienst eingerichtet, so trägt dessen Leiter die ärztliche und rechtliche Verantwortung für die Organisation der postoperativen Schmerzbehandlung. Die unmittelbare Verantwortung von Chirurg und Anästhesist, die eine schmerztherapeutische Behandlung anordnen und/oder durchführen, bleibt unberührt.“
Aus dieser Meldung sollte daher unbedingt eine Überprüfung der augenblicklichen Rahmenbedingungen und eine Intensivierung der Schulungsmaßnahmen erfolgen. Die Analyse aus Sicht des Juristen
Für eine juristische Analyse ist die Sachverhaltsschilderung zu dürftig. Die 3 Sätze aus denen die Fallschilderung besteht, deuten aber auf organisatorische Mängel in mehreren Ebenen hin. Vorstehend wird vor dem Hintergrund der Organisationsmodelle für die postoperative Schmerztherapie insbesondere auf die Verantwortung der bettenführenden Station hingewiesen. Es sei aber auch der Hinweis erlaubt, dass der Patient ja zuvor ja wohl aus dem Aufwachraum auf die oder zunächst auf eine andere Normalstation verlegt wurde. Wird die postoperative Schmerztherapie im Aufwachraum begonnen, dann wäre doch wohl ein Protokoll, das Aufschluss darüber gibt, wer das System angeschlossen hat, wann es von wem kontrolliert wurde und wie es eingestellt wurde (z.B. Laufrate, Bolusfunktion, Sperrzeit) zu erwarten gewesen. Der Hinweis, dass es sich um eine „nicht beschriftete PCA-Pumpe“ gehandelt hat, lässt vermuten, dass all dies fehlte. Dies deutet auf erhebliche organisatorische Mängel hin. Schwer vorstellbar, dass eine Station einen solchen Patienten mit einem „unbekannten“ System übernimmt. Nur am Rande darf noch angemerkt werden, dass nur solche Personen Medizinprodukte, also auch PCA-Pumpen, bedienen dürfen, die darin eingewiesen und mit der Funktionsweise vertraut sind, sodass sie Gewähr bieten, dass die Medizinprodukte ihrem bestimmungsgemäßen Zweck gemäß „sicher“ eingesetzte werden können. Ob und wer was wann gemacht bzw. kontrolliert hat, lässt sich dem Sachverhalt nicht entnehmen. Der anästhesiologischen Analyse ist uneingeschränkt darin zu zustimmen, dass die Organisation der Patientenversorgung einschließlich der Schnittstellenproblematik überprüft und optimiert werden muss.
Weiterführende Literatur:
Dr. med. M. St.Pierre, Anästhesiologische Klinik, Universitätsklinikum Erlangen
Dr. iur. E. Biermann, Berufsverband Deutscher Anästhesisten, Nürnberg
Prof. Dr. med. A. Schleppers, Berufsverband Deutscher Anästhesisten, Nürnberg
Dipl.-Sozialw. T. Rhaiem, Berufsverband Deutscher Anästhesisten, Nürnberg
Prof. Dr. med. W. Heinrichs, AQAI GmbH, Mainz
|