CIRSmedical Anästhesiologie - Berichten und Lernen
Patient wird nach Endoskopie unter Propofolsedierung reanimationspflichtig
Download Fall des Monats Dezember 2013 als PDF Dokument
Der Fall:
(Aus Gründen der Anonymität wird im Folgenden bei Personen stets die männliche Bezeichnung verwendet.)
Patient wird nach Endoskopie unter Propofolsedierung reanimationspflichtig
Zuständiges Fachgebiet:
Innere Medizin
Wo ist das Ereignis eingetreten?
Krankenhaus – Funktions-/Diagnostikraum
Tag des berichteten Ereignisses:
Wochentag
Versorgungsart:
Routinebetrieb
Patientenzustand:
Der Patient wurde endoskopiert, es erfolgte eine Sedierung mit Propofol.
Fallbeschreibung:
Nach einer endoskopischen Untersuchung mit Propofolsedierung fiel den Mitarbeitern der Endoskopie bei der Kontrolle im Aufwachraum sowohl der schlechte Allgemeinzustand als auch die niedrige O2-Sättigung eines zuvor endoskopierten Patienten auf. Im weiteren Verlauf setzte die Atmung aus und es waren keine Vitalparameter mehr messbar. Das neue Überwachungsgerät (Pulsoxymeter) meldete keine bzw. nicht ausreichende Signale. Es wurden sofort Reanimationsmaßnahmen durch das Personal eingeleitet und der Arzt alarmiert. Es erfolgte eine Verlegung auf Intensivstation.
Eigner Ratschlag (Take-Home-Message)?
Da die Situation eindeutig durch das technische Defizit des Pulsoxymeters eingetreten ist (die Alarm-Lautstärke war nicht ausreichend), wurde der Aufwachraum sofort mit einer Pflegekraft besetzt. Ein Monitoring wird in absehbarer Zukunft eingesetzt.
Häufigkeit des Ereignisses?
nur dieses Mal
Wer berichtet?
Pflegekraft
Berufserfahrung:
Über 5 Jahre
Die Analyse aus Sicht des Anästhesisten
In der vorliegenden Meldung wird von einem schwerwiegenden Zwischenfall berichtet, welcher sich nach einer Sedierung für einen diagnostischen Eingriff mit Propofol ereignet: Im Aufwachraum der meldenden Klinik/Abteilung fällt den Mitarbeitern der schlechte Allgemeinzustand des Patienten auf. Dieser wird in Verbindung mit niedrigen Sp02-Werten gebracht, welche auf eine Hypoventilation/Apnoe/Atemwegsverlegung des Patienten hinweisen. Der Patient wird als reanimationspflichtig erkannt und es werden umgehend Reanimationsmaßnahmen eingeleitet. Die Tatsache, dass der Patient im Anschluss auf die Intensivstation verbracht wird, wird dahingehend interpretiert, dass die Wiederbelebungsmaßnahmen zu einem ROSC geführt haben. Über das weitere Outcome steht keine Information zur Verfügung. Ebenso fehlen Angaben über die räumlichapparativen Voraussetzungen, die Personalstruktur der endoskopierenden Abteilung, sowie über die kumulative Propofoldosis und evtl. analgetische Zusatzmedikation (z.B. Priritramid). Insofern kann sich eine Kurzanalyse nur auf die wenigen Informationen beziehen, welche der Text explizit nennt.
Hier fällt jedoch sofort die Bemerkung des Melders auf, dass der Aufwachraum nach dem Vorfall mit einer Pflegekraft besetzt wurde, was (-möglicherweise fälschlich-) so gelesen werden kann, als ob dies bis zu dem Ereignis nicht der Fall gewesen sei. Dieser Verdacht wird durch den Umstand erhärtet, dass eine Fehlfunktion des Pulsoxymeters erst beim Hinzutreten des Endoskopiepersonals detektiert wird und nicht schon, wie es bei Anwesenheit einer Pflegekraft zu erwarten gewesen wäre, in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang auffällt. Es ist also durchaus möglich, dass der Patient bereits im Bereich von einigen Minuten an einer nicht detektierten Bradypnoe oder mechanischen Atemwegsverlegung litt.
Sollte dies der Fall sein, so kann der meldenden Klinik nur dringend ans Herz gelegt werden, ihre eigenen Struktur- und Prozessvoraussetzungen mit den in den S3-Leitlinen des AWMF und den Leitlinien zur "Analgosedierung für diagnostische und therapeutische Maßnahmen am Erwachsenen" (welche die Leitlinie von 2002 zur Sedierung und Analgesie durch Nicht-Anästhesisten ersetzt) enthaltenen Anforderungen kritisch abzugleichen.
So lauten beispielsweise die Minimalanforderungen für die personelle Besetzung:
"Da der untersuchende Arzt während der diagnostischen Maßnahme nicht in der Lage ist, die Vitalfunktionen des Patienten in ausreichendem Maße zu überwachen, ist bei allen Analgosedierungen eine weitere entsprechend qualifizierte, nicht in die Durchführung der Untersuchung involvierte Person erforderlich, deren einzige Aufgabe die Durchführung und Überwachung des Analgosedierungsverfahrens ist."
Und weiter:
"Der die diagnostische Maßnahme durchführende Arzt verantwortet dann nicht nur den Eingriff, sondern auch die Analgosedierung einschließlich deren Überwachung und gegebenenfalls die Wiederherstellung vitaler Funktionen".
Die ständige Anwesenheit einer zweiten Person ist deswegen erforderlich, weil es zu den wesentlichen Aufgaben dieser Person gehört
"die ständige Überwachung der Sedierungstiefe durch ständige Überprüfung der Patientenreaktion auf verbale, taktile und ggf. Schmerzreize, die Kontrolle der Atmung durch kontinuierliche visuelle oder auskultatorische Kontrolle von Atemtiefe und -frequenz" sicherzustellen. Darüber hinaus muss darauf hingewiesen werden, dass im vorliegenden Fall das Narkosemedikament Propofol zum Einsatz kam und in Abweichung zur oben genannten "geeigneten Person" die Pharmahersteller von Propofol in ihren Anwendungsbeschränkungen ausnahmslos einen zweiten Arzt verlangen, ohne zwischen Sedierung und Narkose zu unterscheiden:
-
"Propofol darf nur in Krankenhäusern oder in adäquat ausgerüsteten anderen Einrichtungen von anästhesiologisch bzw. intensivmedizinisch ausgebildeten Ärzten verabreicht werden".
-
"Die Sedierung mit Propofol und die Durchführung der diagnostischen oder chirurgischen Maßnahme dürfen nicht von derselben Person erfolgen" (Produktinformation der Firma Ratiopharm, gleichlautend bei den Firmen Fresenius und Braun, Ausdruck vom 11.4.2012 und zitiert nach Neelmeier & Schulte Sasse 2013).
Diese Sicherstellung endet dabei keinesfalls mit der Untersuchung, sondern schließt den darauf folgenden Zeitraum bis zur vollständigen Erholung der Vitalfunktionen ein. So heißt es in der S3- Leitlinie
„Die lückenlose Überwachung der Patienten durch qualifiziertes Personal unabhängig von der verwendeten Substanz, ggf. unter Verwendung eines Pulsoxymeters fortzusetzen, bis sich der Patient vollständig erholt hat“.(…)„Die entsprechende Person muss ständig im Aufwachbereich sein bzw. die Überwachungseinheit im Blickkontakt haben“
Im Beschluss von BDA und DGAI zur „Analgosedierung für diagnostische und therapeutische Maßnahmen bei Erwachsenen (Anästh Intensivmed 51 (2010) S. 598 bis S. 620) heißt es zum „Vorgehen nach Beendigung der Analgosedierung“:
„Überwachung
Nach Beendigung der Analgosedierung kann der Patient durch die Restwirkung der verabreichten Pharmaka auf die vitalen Funktionen und/oder durch die vorgenommene Maßnahem selbst noch für einige Zeit akut gefährdet sein (Sturzgefahr). Solange mit einer derartigen Gefährdung zu rechnen ist, bedarf einer kompetenten Überwachung.
Die Dauer der Überwachung sollte in der Regel mindestens 30 min. nach Beendigung des Eingriffs betragen. Dies gilt insbesondere für schmerzhafte Eingriffe, bei denen sich die zentrale Atemdepression nach Wegfall des Schmerzreizes verstärken können. …Mit der Überwachung ist entsprechend qualifiziertes Personal zu betrauen. Es darf den Patienten während dieser gefahrträchtigen Phase nicht allein lassen. Dabei ist insbesondere auf die Atmung (z.B. Bewegungen des Brustkorbes, Atemgeräusche), die O2-Sättigung des Blutes (Farbe der Lippen, Pulsoxymetrie), die Herzfrequenz (EKG oder Pulsoxymetrie), den Blutdruck und die Vigilanz zu achten.
Am Ort der Überwachung sind Geräte, Medikamente und Materialien sowohl für eine angemessene Überwachung als auch zur Behandlung von Komplikationen bereit zu halten….Es darf keine Überwachungslücke zwischen dem Ort der Maßnahme und dem Erholungsraum geben…“.
Die Analyse aus Sicht des Juristen
Die Missachtung der fachlichen Vorgaben, insbesondere auch der Anwendungshinweise der Hersteller, kann, wenn dadurch Patienten zu Schaden kommen, erhebliche medikolegale Konsequenzen (zivilrechtlicher Haftungsprozess, Strafverfahren) zur Folge haben. So wurde ein Münchener Gynäkologe 2006 zu einer Freiheitsstrafe von 1 Jahr und 8 Monaten, zunächst in erster Instanz ohne Bewährung, in zweiter Instanz auf Bewährung, verurteilt, nachdem er eine ambulante Gebärmutterausschabung unter Propofolsedierung, aber ohne die geforderte Assistenz und ohne die geforderte apparative Ausstattung vorgenommen hatte. Während der Behandlung erlitt die Patientin eine Apnoe (Atemstillstand). Diese war, wie das Strafgericht feststellte, durch den Gynäkologen „aufgrund der mangelhaften apparativen Ausstattung während des Eingriffs und aufgrund der Tatsache, dass er als einziger Arzt bei der Behandlung die Vitalparameter der Patientin nicht hinreichend überwachen konnte, nicht bemerkt worden“. Die Patientin verstarb aufgrund einer hypoxischen Hirnschädigung. Das Strafgericht stellt fest: „Der eingetretene Atemstillstand als Auslöser und Ursache der Gehirnschädigung und des Todes der Patientin wäre für den Angeklagten erkennbar und vermeidbar gewesen, wenn zum einen ein weiterer, entsprechend ausgebildeter Arzt an der Operation teilgenommen hätte, der die Vitalparameter der Geschädigten überwacht hätte und wenn die Praxis des Angeklagten hierfür entsprechend ausgerüstet gewesen wäre, insbesondere, wenn ein Pulsoxymeter vorhanden gewesen wäre.“
Da es aber keine „Überwachungslücke“ zwischen dem Eingriff selbst und der anschließend (postoperativen) Überwachung geben darf, muss auch die postoperative Überwachung personell und räumlich – apparativ so gestaltet sein, dass Probleme rechtzeitig erkannt werden können.
Der geschilderte Fall gibt Anlass, auf die besonderen Sorgfaltsanforderungen bei der Anwendung von Propofol sowohl während des Eingriffs wie während der anschließenden Überwachung des Patienten hinzuweisen. Der Münchener Gynäkologe hatte insoweit noch „Glück“, als das Gericht sein Verhalten fahrlässig und nicht als (bedingt) vorsätzlich wertete. Denn der Bundesgerichtshof führte in einem Fall, in dem Propofol wissentlich sorgfaltswidrig verwendet wurde, aus, dass die Missachtung der Leistungs- und Sorgfaltsstandards und insbesondere die der Herstellerhinweise nicht nur als fahrlässiges, sondern als „von den jeweiligen Einwilligungen“ nicht gedecktes, vorsätzliches Handeln zu werten ist (BGH 2007).
Weiterführende Literatur:
-
Analgosedierung für diagnostische und therapeutische Maßnahmen beim Erwachsenen.
Anästh Intensivmed 51 (2010) S. 598-S602
-
BGH, Beschluss vom 20.12.2007, Az.: 1 StR 576/07, S. 3
-
Neelmeier T, Schulte-Sasse U (2013) Sedierung auf Sicherheitsniveau der Narkose. Herstellerangaben
und S3-Leitlinien verlangen zweiten Arzt. GesR 2/2013, 78-82
-
Schüttler J/Biermann, E/Breuer, G/St.Pierre, M: Der Narkosezwischenfall – Management kritischer Ereignisse und rechtliche Aspekte, 2. Auflage 2010, S. 197 ff. zu Landgericht München
I., Urteil vom 26.07.2006
S3-Leitlinie (AWMF-Register-Nr. 021/014), Z Gastroenterol 2008, 1298 (1321 f.).
-
S3-Leitlinie (AWMF-Register-Nr. 021/014), Z Gastroenterol 2008, 1298 (1321 f.).
Autoren:
Dr. med. M. St.Pierre, Anästhesiologische Klinik, Universitätsklinikum Erlangen
Dr. iur. E. Biermann, Berufsverband Deutscher Anästhesisten, Nürnberg
Prof. Dr. med. A. Schleppers, Berufsverband Deutscher Anästhesisten, Nürnberg
Dipl.-Sozialw. T. Rhaiem, Berufsverband Deutscher Anästhesisten, Nürnberg
|