Fall des Monats Juni 2014 |
21.07.2014 |
CIRSmedical Anästhesiologie - Berichten und Lernen
Reanimation eines Patienten nach direkter postoperativer Verlegung aus dem OP auf Normalstation
Der Fall:(Aus Gründen der Anonymität wird im Folgenden bei Personen stets die männliche Bezeichnung verwendet.)
Reanimation eines Patienten nach direkter postoperativer Verlegung aus dem OP auf Normalstation
Zuständiges Fachgebiet:
Anästhesiologie
Wo ist das Ereignis eingetreten?Krankenhaus – NormalstationTag des berichteten Ereignisses:WochentagVersorgungsart:RoutinebetriebASA-Klassifizierung:ASA IIIPatientenzustand:Älterer Patient mit Hypertonie, Herzinsuffizienz, Niereninsuffizienz, COPD, NIDDM.Fallbeschreibung:
Kleinere OP an der Extremität in Regionalanästhesie. Die Prämedikation erfolgte mit Midazolam 7,5 mg bei ca. 80 kg Patientengewicht. Intraoperativ zeigte sich ein unproblematischer Verlauf ohne weitere sedierende Medikation. Deshalb erfolgte postoperativ die direkte Verlegung auf die Normalstation. Hier fällt eine zunehmende Schläfrigkeit und Hypoventilation auf, was zum Auslösen des Herzalarms führt. Bei Eintreffen des Notfallteams ist der Patient zyanotisch, apnöisch, pulslos. Es erfolgte der sofortige Beginn der Beatmung und Herzdruckmassage. Die EKG-Ableitung zeigt einen perfundierenden Rhythmus. Der Patient erwachte nach ca. 30 sec. Wiederbelebung. Rasches Ansteigen der SaO2 von 80% auf 100% mit Sauerstoffgabe.
Es erfolgte die Übernahme auf eine Intensivstation. Nach der Gabe von Flumazenil klarte der Patient deutlich auf. Es gab keinen Hinweis auf Infarkt, Lungenembolie oder Apoplex. Was war besonders gut?Rasches zielführendes Handeln des StationspersonalsWas war besonders ungünstig?Umgehen des AWR postoperativ
Eigener Ratschlag (Take-Home-Message)?
Jeder Patient, auch „nur“ mit Regionalanästhesie, sollte postoperativ im AWR überwacht werden.
Häufigkeit des Ereignisses?nur dieses MalWer berichtet?Ärztin/ArztBerufserfahrung:über 5 JahreDie Analyse aus Sicht des AnästhesistenIn vorliegender Meldung wird von einem - glücklich ausgehenden - gravierenden perioperativen Zwischenfall berichtet, der sich nach einer direkten postoperativen Verlegung eines Patienten nach stattgehabter Operation in Regionalanästhesie auf der Normalstation ereignete. Der Patient wurde - vermutlich hypoxisch bedingt - reanimationspflichtig, konnte jedoch durch frühes Erkennen der Situation und rasches Handeln der beteiligten Personen schadlos gerettet werden. Der „perfundierende Rhythmus“ wird sowohl palpatorisch als auch elektrokardiographisch als stabil eingestuft.Die Prämedikation des Patienten erfolgte mit einer oralen Gabe von 7,5 mg Midazolam. Anhand der späteren deutlichen Vigilanzsteigerung durch die Gabe des Benzodiazepinantagonisten Flumazenil ist wohl anzunehmen, dass die sedierende Wirkung der Prämedikation zu der Reanimationspflichtigkeit beigetragen hat. Es wird nicht beschrieben um welche Art der Regionalanästhesie es sich handelte (periphere Leitungsanästhesie oder Plexus), wie lange die Operationszeit betrug, bzw. über welchen Zeitraum sich der Patient letztlich in anästhesiologischer Betreuung befand und mittels Herz-Kreislaufmonitoring überwacht wurde (z.B. entsprechend der Plasmahalbwertszeit der verabreichten Prämedikation?). Sowohl die klinische Erfahrung als vor allem auch die Kenntnis der Fachinformation ("Waschzettel") lassen beim ersten Lesen der Fallmeldung reflexhaft an eine eher zu großzügig dosierte Prämedikation denken. Dies sei jedoch ausdrücklich unter dem Vorbehalt geäußert, dass dem Analysierer der klinische Aspekt des Patienten (evtl. handelte es sich eher um den Typ "fitter, rüstiger Rentner", aufgeregter oder ängstlicher Patient) nicht bekannt ist, da schließlich jeder prämedizierende Anästhesist aufgrund seiner persönlichen, im Arzt-Patienten-Gespräch gewonnenen Einschätzung die zu verordnende Dosis festlegt. Bei der Verschreibung von Midazolam oder eines anderen Benzodiazepins zur Prämedikation sollten aber stets zumindest einige Aspekte berücksichtigt werden. Bei über 70 Jahre alten Patienten sollte eine Dosisreduktion in Erwägung gezogen werden um möglichen reduzierten Verstoffwechselungsprozessen gerecht zu werden. Ebenso müssen selbstverständlich die Kontraindikationen für den Einsatz von Midazolam berücksichtigt werden (Myasthenia gravis, Ateminsuffizienz, schwere Leberinsuffizienz, Schlafapnoesyndrom, Abhängigkeitsanamnese etc.). Im Rahmen der Prämedikation wird sicherlich sehr häufig eines der größten Probleme der Pharmakokinetik von Midazolam übersehen, nämlich der Metabolismus über Zytochrom P450 und hier speziell über das Isoenzym CYP3A4. Wie der Fachinformation zu entnehmen ist, kann sich bei gleichzeitiger Einnahme von starken bis sehr starken CYP3A4-Inhibitoren die AUC (Area under the Curve) um mehr als das 10-fache und die maximale Konzentration um das 5-fache erhöhen. Beispielhaft angeführt werden hier Voriconazol, Ketoconazol und HIV-Proteaseinhibitoren. Deshalb gilt Midazolam bei dieser gleichzeitigen Medikation als kontraindiziert. Aber auch bei mäßigen Inhibitoren wie z.B. Fluconazol, Diltiazem und Verapamil (!) wird "eine sorgfältige Bewertung des Zustandes des Patienten hinsichtlich seiner besonderen Empfindlichkeit für die möglichen Nebenwirkungen von Midazolam"[1] gefordert. In Anbetracht der vom Melder beschriebenen Vorerkrankungen des Patienten und der (uns nicht bekannten aber möglicherweise umfangreichen) Liste seiner Dauermedikation, wäre eine Halbierung der Midazolamdosis vermutlich sinnvoll gewesen. Bezüglich einer postoperativen Überwachung von Patienten mit peripheren Regionalanästhesien ohne intraoperative Sedierung gibt es leider keine allgemein gültige Empfehlung der Fachgesellschaften. Aufgrund der Pharmakokinetik der üblicherweise eingesetzten Medikamente zur Prämedikation (die Plasmahalbwertszeit von z.B. Midazolam bei gesunden (!) Probanden beträgt ca. 2 Stunden [2]), sollte jedoch gerade bei kurzen Eingriffen eine postoperative Überwachung im Aufwachraum oder in einer vergleichbaren Einheit großzügig erwogen werden. Unabhängig davon, gilt es bei jeder vorgesehenen Verlegung eines Patienten aus der anästhesiologischen Betreuung folgende Kriterien zu prüfen und zu dokumentieren:
Die Analyse aus Sicht des JuristenIn der Empfehlung der Deutschen Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin und des Berufsverbandes Deutscher Anästhesisten „Überwachung nach Anästhesieverfahren“ [3] wird unter Ziff. 1.2 auf die Notwendigkeit der Überwachung nach Anästhesien im Zusammenhang mit diagnostischen und therapeutischen Eingriffen hingewiesen, weil der Patient durch die Auswirkung des Betäubungsverfahrens (und des Eingriffs) für einige Zeit im Hinblick auf die vitalen Funktionen noch akut gefährdet sein kann. In dieser „Erholungsphase“ bedarf der Patient einer kontinuierlichen und kompetenten anästhesiologischen Überwachung. Nach der Empfehlung ist die Erholungsphase dann abgeschlossen, wenn keine Komplikationen von Seiten der vitalen Funktionen mehr zu erwarten sind, wobei dies nach wenigen Minuten oder auch erst nach einigen Stunden der Fall sein kann. Nach der Empfehlung ist eine weitere anästhesiologische Überwachung nicht mehr erforderlich wenn der Anästhesist sich davon überzeugt hat, dass folgende Kriterien erfüllt sind:
- Bewusstseinslage wach bzw. wie präoperativ; Nach rückenmarksnahen Leitungsanästhesien zusätzlich: - sensorische Blockade unterhalb Th 10 und rückläufige motorische Blockade. Diese Empfehlungen haben zwar keine Gesetzeskraft, interpretieren aber den im Fachgebiet einzuhaltenden Standard (§ 630a Abs. 2 BGB) und werden von der Rechtsprechung bei der Beurteilung eines Zwischenfalles regelmäßig herangezogen. Hat der Anästhesist sich davon überzeugt, dass die „Verlegungskriterien“ erfüllt sind, dann kann der Patient aus der anästhesiologischen Überwachung in einen anderen Bereich, z.B. die Normalstation, verlegt werden. Mit der Übergabe des Patienten an die nachbehandelnde Struktur, z.B. die Normalstation, endet dann die Verantwortung des Anästhesisten, es sei denn, es ist ausdrücklich etwas anderes vereinbart (Ziff. 1.4 der Empfehlung, Ziff. 5.3 der Vereinbarung über die Zusammenarbeit bei der operativen Patientenversorgung des Berufsverbandes Deutscher Anästhesisten und des Berufsverbandes der Deutschen Chirurgen [4]). Der Sachverhalt enthält keine Angaben dazu, ob und wie lange der Patient anästhesiologisch überwacht und ob und welche „Verlegungskriterien“ geprüft wurden. Im Grundsatz ist die Abgabe des Patienten an die Normalstation also die Zäsur für die Verantwortung des Anästhesisten. Verantwortlich für die weitere Überwachung und Betreuung des Patienten ist nun das Personal der Normalstation. Ergeben sich auf der Normalstation (anästhesiologische) Komplikationen, ist es Aufgabe des Personals der Normalstation, den Anästhesisten zu rufen. Allerdings setzt diese „Übergabe der Verantwortung“ voraus, dass der Anästhesist bei der Verlegung des Patienten auf die Normalstation seinen Sorgfaltspflichten (s. o.) nachgekommen ist. Denn der Bundesgerichtshof (BGH, Urteil vom 03.10.1989, AHRS 0920/28) hat ausgeführt, dass der Anästhesist „aus seiner Verantwortung noch nicht entlassen (war), so lange noch weiter die Gefahr unerwünschter Nachwirkungen der Narkose bestand … Sache des … (Anästhesisten) … war es dann, etwa erforderliche ärztliche Kontrollen und Beobachtungen des Patienten vorzunehmen oder sicherzustellen. Soweit er nicht selbst tätig werden wollte, hatte er, wenn das zunächst ausreichte, dem Pflegepersonal die erforderlichen Anweisungen zu erteilen und den in der chirurgischen Abteilung tätigen Arzt zu informieren, wenn wegen noch zu befürchtender unerwünschter Narkosenachwirkungen besondere Maßnahme, vor allem auch bei der weiteren Medikation, zu treffen waren …“. Mit anderen Worten: Solange noch unmittelbar mit der Anästhesie „zusammenhängende Komplikationen … zu besorgen sind“ (OLG Naumburg, Urteil vom 14.09.2004, MedR 2005, 232 (233)), bleibt der Anästhesist verantwortlich. Trotz der Übergabe auf die Normalstation ist der Anästhesist „aufgrund der im Hinblick auf seine anästhesistische Tätigkeit bestehende Eigenverantwortung verpflichtet, jede ihm erkennbare Gefahrquelle zu vermeiden“ [5]. In der anästhesiologischen Analyse wird auf die Möglichkeit hingewiesen, dass ein „Überhang“ des Midazolam zur Reanimationspflichtigkeit beigetragen haben könnte. Wäre dies für den Anästhesisten erkennbar gewesen, hätte der Patient entweder nicht auf die Normalstation übergeben werden dürfen, sondern in einer Aufwacheinheit überwacht werden müssen oder es hätte auf der Normalstation für eine adäquate Überwachung des Patienten gesorgt werden müssen. Die anästhesiologische Analyse deutet allerdings auch die Problematik der Multi- bzw. Komedikation an. Es ist dem Sachverhalt nicht zu entnehmen, ob und welche Begleitmedikation des Patienten vom Anästhesisten im Rahmen der Anamnese festgestellt wurde. Häufig fehlen im Rahmen der „Prämedikation“ Daten über die vom Patienten eingenommenen Medikamente, vorhandene Informationen zu Arzneimitteln sind oft von fraglicher Qualität, manchmal in der gebotenen Eile nicht zugänglich, belastbare Medikationspläne fehlen in der Regel, ebenso häufig vollständige Diagnosen. Hier könnte ein einfach zu führender und vom Patienten bei sich getragener „Patientenausweis“ auch im Rahmen der Prämedikation Abhilfe und Sicherheit schaffen [6]. Weiterführende Literatur:
Autoren:
Dr. med. P. Frank, Klinik für Anästhesiologie und Intensivmedizin, Medizinische Hochschule, Hannover
Dr. iur. E. Biermann, Berufsverband Deutscher Anästhesisten, Nürnberg
Prof. Dr. med. A. Schleppers, Berufsverband Deutscher Anästhesisten, Nürnberg
Dipl.-Sozialw. T. Rhaiem, Berufsverband Deutscher Anästhesisten, Nürnberg
|