Fall des Monats Oktober 2014 |
20.11.2014 |
CIRSmedical Anästhesiologie - Berichten und Lernen
Durchführung eines Kaiserschnitts/einer Geburt ohne Hebamme
Der Fall:(Aus Gründen der Anonymität wird im Folgenden bei Personen stets die männliche Bezeichnung verwendet.)
Durchführung eines Kaiserschnitts/einer Geburt ohne Hebamme
Zuständiges Fachgebiet:
Anästhesiologie
Wo ist das Ereignis eingetreten?Krankenhaus – OPTag des berichteten Ereignisses:WochentagVersorgungsart:NotfallASA-Klassifizierung:ASA IPatientenzustand:schwangere PatientinWichtige Begleitumstände:RufbereitschaftFallbeschreibung:
Die Patientin ist bereits mehrere Stunden stationär. Am Abend meldet sie sich mit zunehmender Wehentätigkeit und kürzer werdenden Abständen. Die Betreuung erfolgt ausschließlich durch den gynäkologischen Assistenzarzt im 2. Weiterbildungsjahr. 1,5 h später wird der diensthabende Oberarzt hinzugerufen und die Indikation zur dringlichen Sectio gestellt. OP-Team und Anästhesie werden verständigt. Die Patientin wird eingeschleust, verkabelt und mittels Spinalanästhesie betäubt. Der Zustand der Patientin ist zu jedem Zeitpunkt völlig unauffällig. Nach sterilem Abwaschen und Abdecken wird der Kaiserschnitt begonnen und nach ca. 5 Minuten das Kind entbunden. Nach mutterseitiger Abnabelung wird das Kind an den Springer des OP-Teams übergeben, der dieses dann wortlos dem Anästhesisten überreicht. (Üblicherweise wird das Kind direkt am OP-Tisch von der Hebamme übernommen und anschließend im Einleitungsraum erstuntersucht und versorgt.) Erstaunt über das ungewöhnliche Vorgehen fragt der Anästhesist nach dem Verbleib der Hebamme. Erst jetzt wird ihm mitgeteilt, dass eine Hebamme auf Grund von Verschiebungen im Dienstplan nicht zur Verfügung stehe. Dieses Problem hatte sich bereits am Vortag abgezeichnet und konnte nicht gelöst werden. Das Kind wird vom Anästhesisten erstversorgt und abgenabelt und nach ca. 15 Minuten in völlig stabilem Zustand einer Kinderkrankenpflegekraft von Station übergeben.
Was war besonders gut?Dank der regelmäßigen Schulung des Anästhesiepersonals im Umgang mit kindlichen Notfällen gestaltete sich die Versorgung des Neugeborenen in dieser Konstellation problemlos.Was war besonders ungünstig?Bereits Stunden zuvor war absehbar, dass für eine Entbindung in der Nacht keine Hebamme zur Verfügung stehen würde. Der Assistenzarzt war allein mit der Patientin im Kreißsaal. Während der OP musste der Anästhesist sich über einen längeren Zeitraum um das Neugeborene kümmern und stand somit nur eingeschränkt für die Mutter zur Verfügung.
Eigener Ratschlag (Take-Home-Message)?
Da bereits lange im Voraus abzusehen war, dass keine Hebamme zur Verfügung stehen würde, hätte die Patientin in eine benachbarte Klinik verlegt werden müssen um eine adäquate Versorgung zu gewährleisten. Hier wurde ohne Not die Gesundheit von Mutter und Kind gefährdet. Interessant wäre hier auch die rechtliche Situation, in wie weit eine Geburt überhaupt ohne Hebamme durchgeführt werden darf.
Häufigkeit des Ereignisses?jeden MonatWer berichtet?Ärztin/ArztBerufserfahrung:über 5 JahreDie Analyse aus Sicht des AnästhesistenDie Überraschung des Melders ist sehr gut nachvollziehbar! Üblicherweise sitzt der Anästhesist bei einer Sectio in Spinalanästhesie neben der wachen Patientin und versucht mit Worten statt Midazolam zu beruhigen. Unvermittelt und unangekündigt wird ihm ein neuer Mensch gereicht.- Glücklicherweise ist er erfahren und ausgebildet in der Erstversorgung Neugeborener. - Glücklicherweise ist es ein gesundes Neugeborenes, denn wer soll ihm helfen? - Glücklicherweise ist die Mutter wohlauf, und es gibt keinen Hinweis auf eine Fruchtwasserembolie, keinen ungewöhnlich großen Blutverlust oder ähnlich bedrohliche Umstände. - Glücklicherweise ist eine kompetente Anästhesiepflegkraft anwesend, an die er die Überwachung der Patientin übertragen kann. In dem Fall ging alles gut aus, aber mit etwas weniger Glück… Der psychologische Fachausdruck für das von den Gynäkologen gewählte Vorgehen nennt sich Planungsoptimismus: Es wird schon Alles gut gehen – wir fangen einfach mal an! Aus der Meldung geht hervor, dass es keine überraschende Konstellation war, sondern dass sich das Problem der Personalknappheit im Vorfeld abgezeichnet hatte. Aus der Tatsache, dass sich der Gynäkologe im Rufbereitschaftsdienst befand, leite ich ab, dass es sich um ein Haus der Grund- und Regelversorgung handelte. Wie sehen die Rahmenbedingungen aus, die die Fachgesellschaften vorschreiben?
Im Gesetz über den Beruf der Hebamme und des Entbindungspflegers (Hebammengesetz - HebG) ist im § 4 Abschnitt 1 Folgendes festgelegt: „Zur Leistung von Geburtshilfe sind, abgesehen von Notfällen, außer Ärztinnen und Ärzten nur Personen mit einer Erlaubnis zur Führung der Berufsbezeichnung „Hebamme“ oder „Entbindungspfleger“ sowie Dienstleistungserbringer im Sinne des § 1 Abs. 2 berechtigt. Die Ärztin und der Arzt sind verpflichtet, dafür Sorge zu tragen, dass bei einer Entbindung eine Hebamme oder ein Entbindungspfleger zugezogen wird.“ Weiter ist in der Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG) „Mindestanforderungen an prozessuale, strukturelle und organisatorische Voraussetzungen für geburtshilfliche Abteilungen der Grund- und Regelversorgung“ im Abschnitt 1.1 Personelle Voraussetzungen festgelegt, dass „mindestens eine Hebamme ständig rund um die Uhr im Bereitschaftsdienst verfügbar sein muss“ [1]. Insofern lautet die Antwort auf die Frage des Melders: Die Durchführung einer geplanten Geburt ohne Arzt ist zulässig (z.B. Hausgeburt) – auf die Anwesenheit einer Hebamme kann nicht verzichtet werden. Da auch der Kaiserschnitt eine Geburtsmethode ist, gilt die Anwesenheitspflicht einer Hebamme auch hier. Das Fehlen der Hebamme hatte sich angebahnt und war für die beteiligten Gynäkologen keine Überraschung. Für den Anästhesisten wurde dieser Mangel erst im Rahmen des Kaiserschnitts evident. In der Meldung wird erwähnt, dass bereits im Vorfeld die Betreuung des Kreißsaals nur durch einen gynäkologischen Assistenzarzt und ohne Hebamme erfolgte. In einer solchen Situation ist gynäkologischen Abteilungen dringend zu raten, den Kreißsaal für elektive Geburten abzumelden und die Patientinnen wenn möglich zu verlegen. Verantwortlich hierfür ist der leitende Arzt der Abteilung. Alternativ kann natürlich auch kurzfristig eine Hebamme z.B. auf Honorarbasis rekrutiert oder von einem anderen Krankenhaus ausgeliehen werden. Die meisten Kliniken arbeiten inzwischen im Verbund mit Kooperationspartnern, was eine Verschiebung von Personal erleichtert.
In der Vereinbarung zwischen DGAI/BDA und DGGG über die Zusammenarbeit in der operativen Gynäkologie und in der Geburtshilfe ist festgelegt, dass für die Erstversorgung des Neugeborenen der Geburtshelfer zuständig ist [2]. Dies gilt auch, wenn ein Anästhesist anwesend ist. Der Anästhesist soll allerdings in der Lage sein, bei unvorhergesehenen Notfällen die Erstversorgung bis zum Eintreffen eines Neugeborenen-Notarztes oder Neonatologen durchzuführen [3]. Dies bedeutet, dass die Erstversorgung eines Neugeborenen durch den Anästhesisten nicht die Regel sondern die Ausnahme darstellen darf. Die Verwunderung des Melders, als ihm das Kind überreicht wurde, ist daher mehr als gerechtfertigt. Zusammenfassend haben der Anästhesist und die Anästhesieabteilung alles richtig gemacht. Denn in [3] ist auch empfohlen, dass „den an der geburtshilflichen Versorgung beteiligten Anästhesisten im Rahmen ihrer Weiter- und Fortbildung Gelegenheit gegeben werden soll, […] Kenntnisse in der Erstversorgung, insbesondere vital gefährdeter Neugeborener zu erwerben.“ Der Melder erwähnt regelmäßige Schulungen in seinem Haus. Das gewählte Vorgehen der Abteilung für Gynäkologie und Geburtshilfe hingegen war nicht leitliniengerecht bzw. entsprach nicht den gesetzlichen Vorgaben. Falls die Angabe in der Meldung stimmt, dass dieses Ereignis jeden Monat auftritt, so besteht dringender Handlungsbedarf. Ein letzter Kommentar sei erlaubt: Anästhesisten werden gerne auch als Allgemeinmediziner im Krankenhaus bezeichnet. Auf Grund unserer wechselnden Einsatzorte und -partner erwerben wir oft Expertisen, die außerhalb unseres Fachgebietes liegen. Neu für mich war, dass hierzu anscheinend auch die Kompetenz einer Hebamme bzw. Entbindungspflegers gehört. Die Analyse aus Sicht des JuristenDie dargestellte Problemsituation konnte in der Akutsituation adäquat aufgelöst werden. Gleichwohl besteht dringender Handlungsbedarf, wie bereits unter medizinischen Aspekten ausgeführt. Dabei obliegt allerdings nicht nur der gynäkologisch-geburtshilflichen Abteilung, organisatorisch sicherzustellen, dass sich eine solche Problemsituation nicht nochmals „routinemäßig“ ergibt. Vielmehr ist auch die anästhesiologische Abteilungsleitung gehalten, (nötigenfalls) „zu remonstrieren“. Denn offensichtlich handelt es sich um ein immer wiederkehrendes Ereignis, für dessen Unterbindung alle betroffenen Leitungszuständigen Sorge zu tragen haben. Neben dem Risiko eines Organisationsverschuldens besteht auch das Risiko eines Übernahmeverschuldens.Weiterführende Literatur:
Autoren:
Prof. Dr. med. M. Hübler, Universitätsklinik Carl Gustav Carus Dresden
Rechtsanwalt R.-W. Bock, Rechtsanwälte Ulsenheimer-Friederich, Berlin
Prof. Dr. med. A. Schleppers, Berufsverband Deutscher Anästhesisten, Nürnberg
Dipl.-Sozialw. T. Rhaiem, Berufsverband Deutscher Anästhesisten, Nürnberg
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