Fall des Monats Dezember 2014 |
19.12.2014 |
CIRSmedical Anästhesiologie - Berichten und Lernen
Schwierige Doppellumenintubation
Der Fall:(Aus Gründen der Anonymität wird im Folgenden bei Personen stets die männliche Bezeichnung verwendet.)
Schwierige Doppellumenintubation
Zuständiges Fachgebiet:
Anästhesiologie
Wo ist das Ereignis eingetreten?Krankenhaus – EinleitungTag des berichteten Ereignisses:WochentagVersorgungsart:RoutinebetriebASA-Klassifizierung:ASA IIIFallbeschreibung:
Der Patient sollte mit einem Doppellumentubus intubiert werden. Intubationsrelevante Befunde bei der Prämedikation: Große Zunge, Mallampati III, Morbus Bechterew mit eingeschränkter Beweglichkeit der HWS.
Nach problemloser Maskenbeatmung wurde versucht, den Patienten mit einem Doppellumentubus konventionell, ohne weitere Hilfsmittel, zu intubieren. Es war gerade noch die Spitze der Epiglottis sichtbar, sonst nichts. Somit war der Status Cormack III - IV gegeben. Der konventionelle Intubationsversuch misslang. Weitere Intubationsversuche mit einem McCoy-Spatel und mit einem langen Führungsstab misslangen ebenfalls. Selbstverständlich wurde der Patient immer wieder über die Maske zwischenbeatmet. Letztendlich wurde der Patient fiberoptisch oral mit einem Einlumentubus intubiert, was jedoch ebenfalls nicht einfach war. Daraufhin erfolgte über einen langen Führungsstab der Austausch des Einlumentubus gegen den erforderlichen Doppellumentubus. Dieser wurde zuvor in einem "Warmwasserbad" "weich" gemacht, sonst hätte man es nicht geschafft, den sehr starren Doppellumentubus über die Larynxhinterwand hinwegzuheben. Der Patient konnte am OP-Ende problemlos extubiert werden. Er hat an der gesamten Aktion keinen Schaden genommen. Was war besonders gut?Trotz der teilweise dramatischen Situation, hat das gesamte Anästhesieteam stets zielgerichtet, umsichtig und besonnen gehandelt. Natürlich waren alle Beteiligten sehr angespannt, aber Hektik und übermäßige Aufgeregtheit traten zu keinem Zeitpunkt auf.Eigener Ratschlag (Take-Home-Message)?
Vor dem Hintergrund der oben genannten Befunde in der Prämedikationsvisite, hätte man sich primär zu einer fiberoptischen Wachintubation entschließen müssen. Darüber hätte der Patient von vornherein aufgeklärt werden müssen. Der die Narkose durchführende Anästhesist hätte sich aber auch unabhängig von der Patientenaufklärung von vornherein für die fiberoptische Wachintubation entscheiden müssen.
Möglicherweise hätte der Patient jedoch auch mit anderen Intubationshilfsmitteln problemlos intubiert werden können, z.B. mit dem Hilfsmittel eines Videolaryngoskops. Die Anästhesieabteilung unseres Hauses ist bezüglich der Anschaffung dieses Instrumentes schon seit langem mit der Verwaltung im Gespräch. Leider gibt es dazu bisher noch keine Einwilligung. Häufigkeit des Ereignisses?mehrmals pro JahrWer berichtet?Ärztin/ArztBerufserfahrung:über 5 JahreDie Analyse aus Sicht des AnästhesistenZunächst möchte ich allen Beteiligten (und dem Patienten) gratulieren, dass der Fall letztendlich gut ausgegangen ist! Die Idee, den Doppellumentubus durch Erwärmen weich zu machen, war ungewöhnlich. Trotzdem würde ich vor einer Nachahmung abraten, da die Verletzungsgefahr von Kehlkopf und Trachea bei einem solchen Vorgehen sehr groß ist.Der Patient hatte einen erwarteten schwierigen Atemweg. Für eine solche Situation gibt es klare Empfehlungen fast aller anästhesiologischen Fachgesellschaften weltweit (z.B. [1]). Grundsätzlich kann bei einem solchen Patienten versucht werden, die Intubation nach Einleitung der Anästhesie durchzuführen. Voraussetzungen hierfür sind allerdings, dass eine Maskenbeatmung möglich sein muss (idealerweise bewiesen im Rahmen einer Vornarkose) und dass alles vorbereitet ist, ggf. anderes Equipment zu verwenden (Larynxmaske/-tubus, Fiberoptik, andere optische Intubationshilfen, Tracheotomie-Set, etc.). Unstrittig ist allerdings, dass das sicherste Verfahren die fiberoptische Wachintubation ist. Die Wahl einer anderen Technik kann zu einer Patientengefährdung führen und muss wohlüberlegt sein. Was in der Meldung nicht erwähnt wird, ist die Option, den Patienten wieder aufwachen zu lassen. Auch dies sollte stets mit in Betracht gezogen werden. In dem Fall geht es aber nicht nur um einen erwarteten schwierigen Atemweg, sondern auch um die von den Chirurgen gewünschte Einlungenventilation. Das Standardverfahren hierfür ist die Verwendung eines Doppellumentubus. Dieses Verfahren wurde auch in dem Fall gewählt, aber war es das Richtige angesichts der Atemwegsproblematik? Die Frage impliziert ein Nein! Eine wesentliche Aufgabe der Anästhesie ist es, den Chirurgen optimale Bedingungen für den Eingriff zu liefern. Es gibt aber Situationen, bei denen über Alternativen nachgedacht werden muss. In den Vereinbarungen zwischen den Fachgesellschaften steht [2]: „2.1 Der Anästhesist entscheidet über die Art des Betäubungsverfahrens. Die Wahl steht ihm dabei nur zwischen den Betäubungsverfahren offen, die sich für die Durchführung des geplanten Eingriffsunter Berücksichtigung des beabsichtigten operativen Vorgehens voll eignen. Wenn keine medizinischen Gründe entgegenstehen, sollten Anästhesist und Operateur auf die Wünsche und Vorstellungen des Partners wechselseitig Rücksicht nehmen.“ Medizinische Gründe sprechen gegen das blinde Einführen eines Doppellumentubus. Einen Standard zu verändern, kann immer erforderlich werden. Insbesondere unter Zeitdruck kann dies für alle Beteiligten eine Herausforderung sein. In dem Fall war aber der schwierige Atemweg bekannt, so dass im Vorfeld in Ruhe die Alternativen evaluiert hätten werden können und müssen. Zu nennen sind hier beispielsweise die intermitierende einseitige Intubation oder – besser – die Verwendung eines Bronchusblockers zum Ausschalten einer Lunge. Im Sinne der Patientensicherheit wäre dies die beste Option gewesen - zusammen mit der fiberoptischen Wachintubation. Noch eine Bemerkung zur Einführung des Doppellumentubus über einen langen Führungsstab: Zu diesem Zeitpunkt waren bereits mehrere Intubationsversuche durchgeführt worden. Ein Endotrachealtubus war letztendlich erfolgreich mit Hilfe der Fiberoptik platziert worden. Der Atemweg war gesichert. Im Falle eines erforderlichen Tubuswechsels (nicht auf einen Doppellumen-Tubus) ist es besser, keinen Führungsstab sondern einen Wechselstab zu verwenden, denn es droht in Folge der Rachenmanipulation eine Cannot Ventilate Situation. Eine Oxygenierung über einen Führungsstab ist nicht möglich. Ein weiterer Aspekt wird von dem Melder angesprochen: Er merkt an, dass ein Videolaryngoskop unter Umständen sehr hilfreich gewesen wäre. Es handelt sich in der Tat, um ein sehr wertvolles Tool bei der Beherrschung eines schwierigen Atemwegs. Eine Doppellumen-Intubation unter Verwendung eines Videolaryngoskops erscheint aber experimentell. Nichtsdestotrotz sollte jede Anästhesieabteilung erwägen, ein solches zu ihrer Ausstattung zu zählen. Vielleicht ist es sogar so, dass die Tage der klassischen Laryngoskopie gezählt sind, und wir in absehbarer Zukunft Intubationen nur noch mit Videolaryngoskopen durchführen werden. Eine ähnliche Entwicklung beobachten wir zurzeit bei der ZVK-Anlage oder bei der Regionalanästhesie unter Verwendung von Ultraschall. Die Analyse aus Sicht des JuristenDie Rechtsprechung hat sich stets zum Prinzip der Methoden-, Therapie- und Versuchsfreiheit des Arztes bekannt. Im Grundsatz gibt es keine Einmischung der Rechtsprechung in den Kernbereich diagnostisch-therapeutischen ärztlichen Handelns. Der Arztberuf ist ein „freier Beruf“ (§ 1 Abs. 2 Bundesärzteordnung), das heißt der Arzt entscheidet „höchstpersönlich“, ob überhaupt eine Behandlung begonnen werden soll, kein Arzt darf zu einer seinem Gewissen widersprechenden Maßnahme gezwungen werden und es ist ureigenste ärztliche Aufgabe, die im konkreten Fall geeignet erscheinende Methode auszuwählen. Dabei hat er sich zu orientieren am medizinischen Fortschritt einerseits, an den Besonderheiten des Einzelfalles andererseits unter Berücksichtigung des Willens des Patienten (Patientenautonomie). Die Rechtsprechung stellt es in das Ermessen des Arztes, die Methoden zu wählen, die nach seiner begründeten Überzeugung unter den gegebenen Umständen den größtmöglichen Nutzen erwarten lassen. Hintergrund dieser Erwägung ist allerdings nicht, wie man auf den ersten Blick meinen möchte, eine Privilegierung des Arztes, sondern die Optimierung der Behandlung. Jedoch bewegt sich die Methodenfreiheit nicht im rechtsfreien Raum. Voraussetzung verantwortlicher Therapiewahl sind die genaue und umfassende Befunderhebung/Diagnose, das Vorhandensein adäquater Fachkenntnisse und Fertigkeiten („Facharztstandard“) und die Beachtung der Patientenautonomie. Methodenfreiheit bedeutet auch, dass derjenige, der sich auf sie beruft, genaue Kenntnis von den im jeweiligen Fachgebiet gebotenen Sorgfaltspflichten haben muss. Wenn der Arzt dann vom „Standard“ im Fachgebiet abweichen will, so ist dies unter dem Aspekt der Therapie-/Methodenfreiheit möglich, der Betreffende muss aber die Abweichung gut begründen können. Denn nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes ist die Sicherheit des Patienten oberstes Gebot, der anwendbare Sorgfaltsmaßstab ist der eines vorsichtigen Arztes, insbesondere dann, wenn der Standard verlassen oder Neuland betreten werden soll. Nun will der Patient Befreiung von der Krankheit, nicht unbedingt immer die größtmögliche Sicherheit. Aber ein höheres Risiko muss in den Sachzwängen des Falles oder in günstigeren Heilungschancen seine Rechtfertigung finden. Je gesicherter die medizinische Erkenntnis, umso gravierender müssen die Gründe für das Abweichen sein.In der Analyse aus Sicht des Anästhesisten wird festgehalten, dass das sicherste Verfahren bei einem wie im vorliegenden Fall erwarteten schwierigen Atemweg die fiberoptische Wachintubation unter Erhaltung der Spontanatmung ist. Wird davon abgewichen und geht damit ein erhöhtes Risiko für den Patienten einher, dann muss dieses höhere Risiko in den Sachzwängen des Falles oder in einem deutlich günstigeren Outcome für den Patienten seine Rechtfertigung finden. In der Sachverhaltsschilderung wird nicht mitgeteilt, warum der Doppellumentubus gewählt wurde. Die Analyse des Anästhesisten geht davon aus, dass es um eine vom Chirurgen gewünschte Einlungenventilation ging. Der Wunsch des Operateurs nach einem bestimmten Verfahren ersetzt aber nicht die vom Anästhesisten zu verantwortende Prüfung, ob das gewünschte Verfahren aus anästhesiologischer Sicht zumindest vertretbar ist vor dem Hintergrund der dem Patienten geschuldeten Sicherheit – nach der Rechtsprechung oberstes Gebot. War bei bekannt schwierigem Atemweg die gewünschte Methode nicht die Methode der Wahl und aus anästhesiologischer Sicht unvertretbar, dann hätte dies Anlass geben müssen, mit den Operateuren über deren Wünsche und das aus anästhesiologischer Sicht Notwendige und Mögliche rechtzeitig zu sprechen. Zur Frage der Aufklärung: Unter dem Aspekt der Alternativaufklärung ist der Patient über Alternativen zur Maßnahme hinzuweisen, allerdings nur dann, wenn es mehrere medizinisch gleichermaßen indizierte und übliche Methoden gibt, die aber zu wesentlich unterschiedlichen Belastungen, Risiken oder Heilungschancen führen können (§ 630e Abs. 1 Satz 3 BGB „Patientenrechtegesetz“). Nur dann also, wenn es im konkreten Fall mehrere gleichermaßen geeignete Methoden und Verfahren gibt, die aber jeweils mit unterschiedlichen Belastungen und/oder Risiken verbunden sind, besteht die Pflicht, den Patienten in den Entscheidungsprozess einzubinden. Bei völlig gleichartigen Alternativen bleibt es bei der Methodenfreiheit des Arztes. Es wäre ein Missverständnis, zu meinen, jedwede Abweichung oder gar Unterschreitung des Standards könne im Wege der Aufklärung über diesen Umstand in die Verantwortung des Patienten verlagert werden. Insbesondere eine Aufklärung über Umstände, die einen Behandlungsfehler begründen würden, kann nicht zur Entlastung der behandelnden Ärzte führen. Der Hinweis am Ende der anästhesiologischen Analyse auf den Einsatz des Videolaryngoskops macht die Dynamik des Standardbegriffs deutlich. Auch wenn bestimmte Methoden und Verfahren noch nicht in Leitlinien, Empfehlungen oder sonstigen Verlautbarungen der Fachgebiete als essentiell gefordert werden, kann ihr Einsatz ab einem gewissen Zeitpunkt zum Standard im Fachgebiet gehören, nämlich dann, wenn die Maßnahme nach wissenschaftlicher Erkenntnis geeignet ist, sich in der Praxis bewährt hat und von der überwiegenden Zahl aller Fachvertreter eingesetzt wird. Ob die – offenbar mit vertretbarem wirtschaftlichem Aufwand mögliche – Videolaryngoskopie schon zum anästhesiologischen Standard bei erwartetem schwierigem Atemweg gehört, ist allerdings eine Frage, die nach dem oben Ausgeführten nicht vom Juristen zu entscheiden ist. Weiterführende Literatur:
Autoren:
Prof. Dr. med. M. Hübler, Universitätsklinik Carl Gustav Carus Dresden
Dr. iur. E. Biermann, Berufsverband Deutscher Anästhesisten, Nürnberg
Prof. Dr. med. A. Schleppers, Berufsverband Deutscher Anästhesisten, Nürnberg
Dipl.-Sozialw. T. Rhaiem, Berufsverband Deutscher Anästhesisten, Nürnberg
|