Fall des Monats Januar 2015 |
05.02.2015 |
CIRSmedical Anästhesiologie - Berichten und Lernen
Asystolie bei einer Einleitung zur Implantation eines Herzschrittmachers
Der Fall:(Aus Gründen der Anonymität wird im Folgenden bei Personen stets die männliche Bezeichnung verwendet.)
Asystolie bei einer Einleitung zur Implantation eines Herzschrittmachers
Zuständiges Fachgebiet:
Anästhesiologie
Wo ist das Ereignis eingetreten?Krankenhaus – Funktions-/DiagnostikraumTag des berichteten Ereignisses:WochentagVersorgungsart:RoutinebetriebASA-Klassifizierung:ASA IIIPatientenzustand:Der Patient war vor dem Ereignis klinisch unauffällig, außer dass wegen rezidivierenden Synkopen Bettruhe angeordnet war. Die Herzfrequenz betrug seit Tagen 25-30/min., die EF war 55%. Eine Vornarkose vor 4 Wochen war unauffällig.Fallbeschreibung:
Es soll eine elektive Implantation eines Dreikammerschrittmachers aufgrund AV-Block III. Grades durchgeführt werden.
Die Einleitung im Herzkatheter-Interventionsraum erfolgt mit Remifentanil und Propofol. Der Patient wird asystol. Umgehend wird mit der Herzdruckmassage begonnen. Nach ca. 5 Minuten und Gabe von Orciprenalin und Adrenalin hat er wieder einen eigenen Kreislauf. Zwei Minuten später zeigt sich erneut eine Asystolie. Notfallmäßig wird ein temporärer, peripherer Schrittmacher implantiert. Im Verlauf war der Blutdruck unter Noradrenalin stabil. Im Anschluss erfolgte die problemlose Implantation des permanenten Schrittmachers. Die Ausleitung der Anästhesie war ohne Besonderheiten. Was war besonders gut?Das Team des Herzkatheterlabors und der zuständige Kardiologe unterstützten umgehend die Reanimation. Der Kardiologe übernahm die Rolle des Teamleaders und gab klar strukturierte Anweisungen. Das Team des Herzkatheterlabors "hilft" mit entscheidenden Medikamenten dem Anästhesieteam aus.Was war besonders ungünstig?Vorbereitung der Anästhesie war nicht dem Krankheitsbild des Patienten angemessen. Die Notfallmedikamente waren nicht vor Ort bzw. nicht zur unmittelbaren Applikation aufgezogen. Orciprenalin war nicht vorhanden. Adrenalin nicht unmittelbar verfügbar. Es erfolgte keine arterielle Drucküberwachung vor Narkoseeinleitung. Es war nur ein bedingt laufender 20 G Venenzugang vorhanden.Eigener Ratschlag (Take-Home-Message)?
Das Team der Anästhesie hätte vor Narkosebeginn ein kurzes "Briefing" abhalten müssen, was für Medikamente evtl. benötigt werden und welche Monitorüberwachung zwingend erforderlich ist. Die Medikamente hätten aufgezogen zur Applikation bereit liegen müssen. Beginn der Narkose erst wenn die Vorbereitungen vollständig abgeschlossen sind.
Die Herzfrequenz hätte vor der Einleitung medikamentös angehoben werden können. Evtl. Einleitung mit Remifentanil und Midazolam, kein Propofol. Häufigkeit des Ereignisses?jeden MonatWer berichtet?PflegekraftBerufserfahrung:über 5 JahreDie Analyse aus Sicht des AnästhesistenDieser Fall ist aus verschiedener Sicht interessant:Interdisziplinäre Zusammenarbeit, Team Aspekte und Teamführung lassen die Komplikation gut ausgehen, die Asystolie wird erfolgreich behandelt. Im Bericht heißt es „die Ausleitung der Anästhesie war ohne Besonderheiten“: das soll wohl heißen, dass der Patient in gutem Zustand nach der erfolgreichen Schrittmacherimplantation aufwachte. Vom Einsender wird hervorgehoben, dass der Kardiologe die Teamführung übernahm und klare Ansagen machte – eine solche eindeutige Führungsrolle ist bei allen Komplikationen, erst recht im Reanimationsfall, oft entscheidend für das Outcome. Vom Einsender werden auch einige kritische Punkte angesprochen. Die Vorbereitung der Anästhesie sei nicht dem Krankheitsbild angemessen gewesen. Das lässt ein wenig darauf schließen, dass der betreffende Arbeitsplatz im Herzkatheter-Interventionsraum nicht adäquat ausgestattet bzw. aufgerüstet war. Es ist sicher nicht erforderlich, dass alle Notfallmedikamente aufgezogen sein müssen; die unmittelbare Bereitstellung reicht im Prinzip aus. Die Ausstattung des Anästhesiearbeitsplatzes ist in vielen Publikationen und Empfehlungen von DGAI und BDA immer wieder aktualisiert worden [1]. Den dort getroffenen Empfehlungen ist nichts hinzuzufügen und sie sollten in der betreffenden Abteilung auch für den kardiologischen Arbeitsplatz umgesetzt werden. Aus organisatorischen und auch rechtlichen Gründen kann man sich nicht darauf verlassen, dass bestimmte Notfallmedikamente von der Fremdabteilung (hier der Kardiologie) vorgehalten werden. Ferner regt der Melder an, vor Beginn der Anästhesie ein kurzes Briefing abzuhalten und sich so auf alle Eventualitäten besser vorzubereiten. Dies kann man nur unterstützen. Sicheres Arbeiten bedeutet genau das: man ist bereits im Vorfeld auf Besonderheiten der Anästhesie eingestellt und kann entsprechende Vorbereitungen treffen. Da es eine „kleine Anästhesie“ nicht gibt, sollte ein solches Briefing immer – auch vor einer Routine-Anästhesie – durchgeführt werden (wenn es sich um eine Routineanästhesie bei ASA I handelt, so reicht genau dieser eine Satz). Dieses Briefing findet primär zwischen Anästhesist und Pflegekraft statt, später sollte es noch einmal unter dem Stichwort „Team-Time-Out“ gemeinsam mit dem kompletten Team vor Beginn des Eingriffes wiederholt werden. Vom Patienten war bekannt, dass er mehrfach rezidivierende Synkopen hatte und seit Tagen eine Herzfrequenz von 25-30/min aufwies. Die Indikation zur Schrittmacherimplantation lautete „AV-Block III“. Somit könnte man beim Briefing Anästhesist/Pflegekraft ansprechen, dass der Patient eine instabile Bradykardie aufweist. Primär empfohlenes Medikament nach ERC ist Atropin 0,5 mg (evtl. auch mehrfach), Adrenalin 2-10 µg/min und die Anwendung eines (im Notfall externen) Schrittmachers. Die unmittelbare drohende Gefahr ist eine akut auftretende Asystolie. Dies gesagt, hätte die Pflegekraft vielleicht vorgeschlagen, Atropin aufzuziehen, Adrenalin in einer Verdünnung von 1:100 bereitzulegen (Bereitstellung einer 100 ml NaCl Flasche und einer Ampulle Adrenalin) und den Defibrillator auf die Möglichkeit eines externen Pacings zu überprüfen bzw. bereitzustellen. Der Einsender erwähnt, dass nur „ein bedingt laufender 20G Venenzugang“ vorhanden war. Diesen hatte der Patient sicher schon einige Tage und jeder Anästhesist und jede Pflegekraft kennt die Problematik. In diesem Punkt sollte man keinen Kompromiss eingehen: ein einwandfrei laufender Venenzugang ist eine Grundvoraussetzung für die sichere Durchführung von Anästhesie und Eingriff. Nun kann man verstehen, dass man den Patienten nicht unnötig durch eine erneute Punktion belasten wollte. Dies sollte vielleicht nach Einleitung der Anästhesie geschehen. Ein durchaus häufig anzutreffender Gedanke. In diesem speziellen Fall muss man natürlich auf für diese scheinbar kleine Entscheidung eine Risikoanalyse vornehmen: die Belastung des Patienten gegen das Risiko, bei einer Asystolie nicht unmittelbar Notfallmedikamente applizieren zu können. Der Einsender wünscht sich eine arterielle Druckmessung vor Einleitung der Anästhesie. Auch hier gilt der gleiche Grundsatz, der bereits oben erwähnt wurde: Es gibt keine „kleine“ Anästhesie, sondern das Monitoring wird entscheidend auch von dem Krankheitszustand der Patienten bestimmt. Es muss sich um eine individuelle Entscheidung handeln. Routinemäßig wird man zur Schrittmacherimplantation keine arterielle Drucküberwachung fordern. Abschließend sei der Versuch gestattet auf einige medizinische Aspekte der Narkoseführung und der Reanimation einzugehen. Naturgemäß wollen wir an dieser Stelle nicht belehren oder gar urteilen. Dafür reicht die Information eines CIRS Berichtes nicht aus. Einige Aspekte sollen hervorgehoben werden. Aus dem Bericht geht leider nicht hervor, wann genau die Asystolie eintrat. Vermuten darf man, dass zwei Zeitpunkte in Frage kommen: direkt nach Applikation der Induktionsdosis oder bei der Platzierung eines Luftweges. Die Anästhesie wurde mit Propofol und Remifentanil eingeleitet. Beide Medikamente führen unabhängig voneinander und erst recht in ihrer Kombination auch beim Gesunden zu einer deutlichen Abnahme der Herzfrequenz. Gelegentlich sind auch beim Gesunden Herzfrequenz-steigernde Maßnahmen erforderlich. Über eine Alternative zu Remifentanil könnte man nachdenken: Sufentanil oder Fentanyl weisen geringere negativ chronotrope Nebenwirkungen als Alfentanil und Remifentanil auf. Zu Propofol gäbe es die Alternative Etomidat, wobei das nicht unumstritten ist. In jedem Fall ist es sinnvoll sich vorher auf die Möglichkeit einer solchen Nebenwirkung vorzubereiten, evtl. Atropin unmittelbar bereitzuhalten. In der ERC Leitlinie zu instabilen Bradykardien [2] wird eine initiale Dosierung von 0,5 mg empfohlen, evtl. zu steigern bis zur Höchstdosis von 3 mg. Aus dem Bericht ist nicht ersichtlich, welche Form einer Luftwegsicherung genutzt wurde. Unabhängig davon können bei Einlegen eines supraglottischen Luftwegs oder einer endotrachealen Intubation vagale Reflexe ausgelöst werden, die gelegentlich auch beim Gesunden erhebliche Bradykardien verursachen. Im vorliegenden Fall muss man bei bestehendem AV Block III ganz besonders damit rechnen. Im Zusammenhang mit der Reanimation erwähnt der Melder, dass unmittelbar nach Eintreten der Asystolie mit Thoraxkompressionen begonnen wurde. Das war eine gute erste Maßnahme. Im weiteren Verlauf werden die Medikamente Adrenalin, Orciprenalin (Alupent®) und Noradrenalin genannt. Medikamentös konnte zwischenzeitlich ein Rhythmus erreicht werden, die endgültige Stabilisierung des Patienten gelang durch einen transvenösen temporären Schrittmacher, den der Kardiologe platzierte. Zu Orciprenalin sei erwähnt, dass diese Substanz keine Indikation mehr im Bereich der Reanimation hat, auch in der ERC Leitlinie für die instabile Bradykardie nicht empfohlen wird. Somit wurde dieses Medikament außerhalb gängiger Indikationen genutzt. Grund für die Indikationseinschränkung sind hauptsächlich das erhebliche Nebenwirkungsspektrum von Orciprenalin, die zahlreichen Kontraindikationen und die Tatsache, dass Orciprenalin den diastolischen Druck senkt, somit die Reanimationsmaßnahmen beeinträchtigt. In der ERC Leitlinie wird neben Adrenalin noch Isoprenalin genannt: diese Substanz ist in Deutschland nicht verfügbar. Im Wiederholungsfall sollte man dringend überlegen, ob bei dieser speziellen Konstellation nicht unmittelbar ein transkutaner (externer) Schrittmacher mit Klebepads etabliert und das Problem temporär bis zum Einbringen eines transvenösen Schrittmachers so behoben wird. An dieser Stelle sei noch eine kurze Zusammenfassung der Leitlinie ERC 2010 zur instabilen Bradykardie gegeben [1]. Bei Eintreten einer therapiebedürftigen Bradykardie soll initial Atropin 0,5 mg iv gegeben werden. Bei Nichtansprechen zügig wiederholen, bis zur Höchstdosis von 3 mg. Mit einer externen Stimulation soll gleichzeitig zügig begonnen werden. Medikamentös empfiehlt die Leitlinie neben dem Atropin noch Adrenalin (2-10 µg/min), Dopamin (2-10 µg/kg/min) und (das in Deutschland nicht verfügbare) Isoprenalin. Schwierig zu entscheiden ist schließlich folgende Frage: Solange eine instabile Bradykardie vorliegt, gilt die obige Empfehlung (z.B. mit niedrig dosiertem Adrenalin). Tritt eine Asystolie ein, so wird man vielleicht auf den Reanimationsalgorithmus bei Asystolie umschwenken, bei dem zeitnah 1 mg Adrenalin empfohlen wird. Dieses Vorgehen muss individuell in der Situation entschieden werden. Wahrscheinlich wäre der externe Schrittmacher ein „Königsweg“ gewesen, zumal sich der Patient zu dem Zeitpunkt gesichert in Allgemeinanästhesie befand. Zum Schluss sei noch die Angabe des Melders erwähnt, dass ein Ereignis dieser Art jeden Monat in der betreffenden Klinik auftritt. Damit ist wohl gemeint, dass jeden Monat eine Schrittmacherimplantation bei Patienten mit Bradykardie verschiedener Genese durchgeführt wird. Nimmt man die Lehren aus dem vorliegendem Fall mit in diese Routineanwendungen, so sollte es der Abteilung möglich sein, diese Eingriffe künftig in einer (noch) besseren Qualität respektive Sicherheit für die anvertrauten Patienten durchzuführen. Weiterführende Literatur:
Autoren:
Prof. Dr. med. W. Heinrichs, AQAI GmbH, Mainz
Prof. Dr. med. A. Schleppers, Berufsverband Deutscher Anästhesisten, Nürnberg
Dipl.-Sozialw. T. Rhaiem, Berufsverband Deutscher Anästhesisten, Nürnberg
|