Fall des Monats März 2016 |
04.04.2016 |
CIRSmedical Anästhesiologie - Berichten und Lernen
Patient wird in Bauchlage zu früh wach und fällt vom OP-Tisch
Der Fall:(Aus Gründen der Anonymität wird im Folgenden bei Personen stets die männliche Bezeichnung verwendet.)
Patient wird in Bauchlage zu früh wach und fällt vom OP-Tisch
Zuständiges Fachgebiet:
Orthopädie
Wo ist das Ereignis eingetreten?Krankenhaus - OPTag des berichteten Ereignisses:WochentagVersorgungsart:RoutinebetriebASA-Klassifizierung:ASA IIIPatientenzustand:Adipöser Patient (ca. 160 kg) mit elektiver OperationWichtige Begleitumstände:OP in BauchlageFallbeschreibung:
OP gegen Ende. Bei Hautnaht zeigte der Patient schon Aufsteh-Tendenzen und "buckelte". Bei Herbeiholen des Wenzel-Tisches durch den Operateur buckelte der Patient so heftig, dass er seitlich vom OP-Tisch rutschte und rücklings auf den Boden neben den OP-Tisch fiel (Fallhöhe 90-100 cm).
Der Patient konnte auf dem Boden liegend extubiert werden und mit Hilfe zum Lagerungstisch geführt werden. Ein orientierender Body-Check und eine neurologische Untersuchung zeigten keine Auffälligkeiten. Was war besonders ungünstig?- Der Patient wurde zu früh wach.- Beim Herbeiholen des Wenzeltisches war keine Aufsicht an der Patientenseite vorhanden (lediglich der Anästhesist befand sich am Kopfende). - Zum Umlagern waren die Anästhesie- und OP-Pflege mit anderen Aufgaben beschäftigt. - Zum Umlagern war kein Assistenzarzt (chirurgisch) mehr anwesend. - Das OP-Ende lag bereits außerhalb der Regelarbeitszeit, sodass von der Anästhesie-Pflege der benachbarte Vorbereitungsraum mitbetreut werden musste. - Der zur OP angelegte Sicherungsgurt war bereits gelöst worden. Eigener Ratschlag (Take-Home-Message)?- Insbesondere bei peradipösen Patienten ist eine sichere Narkose bis zur Umlagerung erforderlich.- Bei Umlagerung bzw. Vorbereitung sind zur Patientensicherung eine Person am Kopfende und mindestens eine Person seitlich zu jeder Zeit notwendig. - Bei OPs, deren Ende in die Spät-/Bereitschaftsdienstzeit fällt, ist dennoch ein ausreichender Personalschlüssel erforderlich (Operateure, Anästhesie- und OP-Pflege). Häufigkeit des Ereignisses?nur dieses malWer berichtet?Ärztin/ArztBerufserfahrung:über 5 JahreDie Analyse aus Sicht des AnästhesistenVorab dürfen wir uns bei dem Melder für diesen interessanten, wichtigen und vor allem praxisrelevanten Fall herzlich bedanken.Operationen in Bauchlagerung geben aus verschiedenen Gründen immer wieder Anlass zu Überlegungen und weisen einige spezifische Besonderheiten auf. Schwerpunkte bilden dabei die Art des Luftweges (z.B. kann/darf man einen supraglottischen Luftweg in Bauchlagerung verwenden?), der Einleitung (z.B. kann der Patient zuerst auf den Bauch gedreht werden und dann eingeleitet werden?) oder der Ausleitung (z.B. kann der Patient in Bauchlagerung ausgeleitet werden, kann der Luftweg in Bauchlagerung entfernt werden, so dass sich der wache Patient danach aktiv auf den Rücken drehen kann?). Einige Beiträge auf unseren Kongressen haben diese Themen in Form von Fall- und Erfahrungsberichten aufgegriffen. Eine systematische und prospektive Analyse dieser Situation ist mir nicht bekannt. Somit sei es gestattet, dass ich eine eher konservative Sichtweise der anästhesiologischen Versorgung in Bauchlage bevorzuge, die sich in erster Linie an der Patientensicherheit orientiert. Im vorliegenden Fall wird sie besonders dadurch gerechtfertigt, dass der Patient deutlich übergewichtig war und der ASA Risikogruppe III zugeordnet wurde. Der Melder berichtet, dass der Patient bereits gegen Ende der Operation spontane Bewegungen aufwies, die nach Beendigung der Operation letztendlich so heftig wurden, dass er seitlich vom OP-Tisch herunterrutschte. Somit kann man festhalten, dass gegen Ende der Operation eine ausreichende Wirkung der Allgemeinanästhesie nicht mehr gegeben war. Offenbar hat der Anästhesist dieses auch so geplant, um eine optimal kurze Aufwachzeit zu generieren, so dass der Patient sich möglicherweise aktiv an der Umlagerung beteiligen sollte. Vielleicht war es auch ungewollt, hierüber sagt der Bericht nicht eindeutig etwas aus. Jedenfalls war diese Phase für den Patienten gefährlich und stressig, möglicherweise unnötigerweise schmerzhaft. Wie bei den meisten kritischen Ereignissen waren auch hier mehrere Faktoren beteiligt, die einzeln für sich genommen wahrscheinlich keine Auswirkungen hatten, in der Summe aber sehr wohl: Sicherungsgurt war bereits gelöst, Anästhesie- und OP-Pflege waren mit anderen Dingen beschäftigt, Ende der Regelarbeitszeit, zu flache Narkose. Ich möchte zwar keine Plattitüden wiederholen, aber es ist anästhesiologisches Allgemeingut, dass die Ausleitungsphase unsere volle Aufmerksamkeit benötigt. Aus unterschiedlichen Gründen streben wir oft an, eine Allgemeinanästhesie möglichst zeitnah nach dem Schnitt zu beenden. Hierbei darf aber nicht vergessen werden, dass die Patientensicherheit an erster Stelle stehen muss. Gerade bei Patienten, die in Bauchlage operiert werden – auch wenn sie nicht adipös sind – kann ein zu frühes Beenden der Anästhetikazufuhr fatale Folgen haben. Auf Grund einer zu späten Extubation ist so gut wie noch nie ein Patient zu Schaden gekommen und vor einem falschen Ehrgeiz ist deshalb zu warnen. Der Fall ging glücklicherweise ohne Schaden für den Patienten aus. Die Analyse aus Sicht des JuristenMan kann wohl davon ausgehen, dass der eigentliche Sturz nach Beendigung der Operation – unmittelbar vor der geplanten Umlagerung – stattfand. In einer Vereinbarung des Berufsverbandes Deutscher Anästhesisten und des Berufsverbandes der Deutschen Chirurgen [1] zur „Verantwortung für die prä-, intra- und postoperative Lagerung des Patienten ist unter Ziff. 5 Folgendes geregelt:„Die Verantwortung für die Lagerung einschließlich der Umlagerung des Patienten nach Beendigung der Operation bis zur Beendigung der postanästhesiologischen Überwachung trägt der Anästhesist, soweit nicht besondere Umstände die Mitwirkung des Operateurs bei der Umlagerung erfordern.“ In der Meldung wird erwähnt, dass es sich um einen adipösen Patienten in Bauchlage auf dem OP-Tisch handelte. Beides, Adipositas wie Bauchlage, sind Gründe, die für ein Mitwirken des Operateurs bei der Umlagerung sprechen. Dennoch bleibt es, soweit vor Ort nichts anderes abgesprochen ist, bei dem Grundsatz der Vereinbarung, dass die Verantwortung insoweit beim Anästhesisten liegt, der die Aktionen koordinieren muss. Ein ähnlicher Fall hat bereits die Gerichte beschäftigt. Hier darf Bock, Rolf-Werner in Ulsenheimer, Klaus: Arztstrafrecht in der Praxis, 5. Auflage 2015, RN 229 zitiert werden: „Bei einer ambulant durchgeführten Operation wegen eines Postdissektomie-Syndroms wurde der Patient nicht auf dem Operationstisch fixiert und nur in einen Dämmerschlaf versetzt. Gegen Ende der Operation trat der Anästhesist vom Tisch ab, um im Nebenraum ein Medikament zur Blutdrucksenkung zu holen. Gleichzeitig trat der Operateur zur Seite, um den Bildwandler zu bedienen, und zeitgleich verließ auch die OP-Schwester den Patienten, um etwas zu holen. Genau in diesem Augenblick bäumte sich der noch unzurechnungsfähige Patient auf und fiel vom Tisch. Dabei zog er sich eine Schädelfraktur mit einem subduralen Hämatom und zusätzlich einen Hirninfarkt zu, in dessen Folge er ein Jahr später starb. Nach Einholung eines fachanästhesiologischen Gutachtens, das vor allem eine fehlende schriftliche Absprache zwischen Operateur und Anästhesist bezüglich der Überwachung des Patienten gerügt hatte, erwirkte die Staatsanwaltschaft gegen den Anästhesisten wegen fahrlässiger Tötung einen Strafbefehl, da er für eine lückenlose Beaufsichtigung des Patienten durch die beteiligten Personen bei der Operation hätte sorgen müssen. Als Anästhesist habe er „die übergeordnete Aufsichtspflicht über den anästhesierten Patienten“ gehabt und deshalb die Pflicht, die Kontrolle während seiner Abwesenheit sicherzustellen (AG München v. 09.01.2003, Az. 824 Cs 125 Js 10463/01). Die Verfahren gegen den Operateur und die OP-Schwester wurden nach § 153a StPO eingestellt.“ Im Ergebnis bleibt für den vorliegenden Fall festzuhalten, dass unabhängig davon, ob das frühe Aufwachen geplant war oder nicht, in dieser Phase jedenfalls für die Patientensicherheit dadurch gesorgt werden muss, dass der Patient so intensiv beobachtet wird, dass ein rechtzeitiges und unmittelbares Eingreifen zur Sturzprophylaxe jederzeit möglich ist. Eine adäquate Sturzprophylaxe wird bei einem adipösen Patienten u.U. besondere Sicherungsmaßnahmen (Fixierung?) erfordern. Erst recht ist besondere Aufmerksamkeit geboten, wenn der Patient schon zuvor und frühzeitig Aufstehtendenzen erkennen ließ. Darüber hinaus ist der Patient über die Tatsache, dass er vom OP-Tisch gestürzt ist und die daraus abzuleitenden Konsequenzen (evtl. weitere Untersuchungen, Hinweis, an wen er sich wann bei Problemen zu wenden hat) zu informieren. So sieht nun auch die durch das Patientenrechtegesetz in das Bürgerliche Gesetzbuch eingefügte Vorschrift des § 630c Abs. 2 Satz 2 BGB vor, dass der Patient zur Abwendung gesundheitlicher Gefahren über die Umstände zu informieren ist, die die Annahme eines Behandlungsfehlers begründen; im Übrigen dann, wenn der Patient nachfragt. Weiterführende Literatur:
Autoren:
Prof. Dr. med. W. Heinrichs, AQAI GmbH, Mainz
Dr. iur. E. Biermann, Berufsverband Deutscher Anästhesisten, Nürnberg Prof. Dr. med. A. Schleppers, Berufsverband Deutscher Anästhesisten, Nürnberg
Dipl.-Sozialw. T. Rhaiem, Berufsverband Deutscher Anästhesisten, Nürnberg
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