Fall des Monats April 2016 |
23.05.2016 |
CIRSmedical Anästhesiologie - Berichten und Lernen
Probleme bei Reanimation im fahrenden RTW
Der Fall:(Aus Gründen der Anonymität wird im Folgenden bei Personen stets die männliche Bezeichnung verwendet.)
Probleme bei Reanimation im fahrenden RTW
Zuständiges Fachgebiet:
Anästhesiologie
Wo ist das Ereignis eingetreten?Notarztdienst - TransportVersorgungsart:NotfallPatientenzustand:Reanimationspflichtige Herz-KreislaufstillständeWichtige Begleitumstände:Transporte unter Reanimation im RettungswagenFallbeschreibung:
Immer wieder erscheinen im Notarztdienst Transporte im Rettungswagen unter Reanimationsbedingungen geboten. Abgesehen von den extrem ungünstigen Umständen für suffizient durchgeführte manuelle Thoraxkompressionen bergen solche Situationen ein erhebliches Unfallrisiko für alle Beteiligten, wie nachfolgender Fall aus dem Kollegenkreis sowie einige selbst erlebte Beinahe-Unfälle zeigen.
Im Rahmen der Reanimation eines jüngeren Mannes führt das Team eine präklinische Lyse durch, die jedoch keine Verbesserung des Patientenzustandes erbringt. Daraufhin entschließt man sich zum Transport in die Klinik unter Fortführen der manuellen Herzdruckmassage. Auf dem Transport mit Sonderrechten muss der RTW-Fahrer wegen eines anderen Verkehrsteilnehmers abrupt scharf bremsen. Dadurch kommen Rettungsassistent und Notarzt zu Fall. Der Rettungsassistent zieht sich bei der heftigen Kollision mit dem Medikamentenschrank erhebliche Prellungen des Thorax und Unterarmes zu und ist für den Rest des Einsatzes schmerzbedingt handlungsunfähig. Da er keiner weiteren Akutversorgung bedarf, versucht der Notarzt die Reanimation bis zur Klinik alleine weiter aufrecht zu erhalten. Mechanische Reanimationshilfen stehen im betroffenen Rettungsdienstbereich in den Kliniken, nicht aber in Rettungsmitteln zur Verfügung. Eigene Erfahrungen mit Transporten mit Reanimationshilfe zeigen, dass solche Transporte mit durchgehend effektiver Thoraxkompression für die Helfer gefahrlos angeschnallt sitzend durchführbar sind (ohne hiermit unkritisch den mechanischen Reanimationshilfen das Wort reden oder bestimmte Produkte propagieren zu wollen). Solche immer wiederkehrenden Situationen werfen einige grundsätzliche Fragen auf: 1. Ist eine Reanimation während des Transportes ohne mechanische Unterstützung überhaupt effektiv, sinnvoll und zielführend? Die Arbeitshöhe (Ladetisch mit Trage) ist völlig unergonomisch, die Position zum Patienten für eine leitliniengerechte Thoraxkompression mehr als ungünstig. Permanent wirken auf die Helfer Fliehkräfte in Kurven, Kreisverkehren sowie bei Brems- und Beschleunigungsvorgängen ein, die ein Ausbalancieren des Körperschwerpunktes erfordern. Völlig unbefriedigend sind Reanimationen im RTW mit Teammitgliedern von kleiner Körpergröße. 2. Was sagen Studien und Leitlinien zum Transport unter Reanimation? Olasveengen et al. (Resuscitation 76, 2008) sehen zwar keinen Unterschied zwischen manueller und mechanischer Thoraxkompression unter prähospitalen Bedingungen, aber zumindest für den Transport muss das aufgrund oben genannter Rahmenbedingungen stark bezweifelt werden. 3. Gibt es Sicherungsmöglichkeiten für stehendes Arbeiten an der Patiententrage? 4. Sollte ein langsamer und „unauffällig“-gefahrloser Transport ohne Sonderrechte erwogen werden, um eine bessere CPR und sichereres Arbeiten zu gewährleisten? 5. Könnten mechanische Reanimationshilfen aus der Klinik für präklinische Einsätze aus logistischen und rechtlichen Gründen überlassen und zugebracht werden? Was war besonders gut?Leitliniengerechtes Ausschöpfen aller Optionen inklusive präklinischer Lyse und Fortführen der Reanimation für 60-90 Minuten, konsequenterweise Verbringen des Patienten in eine Klinik zur weiteren Diagnostik und ggf. einer kausalen interventionellen Therapie. Die Fahrt mit Sonderrechten erscheint angemessen. Der Notarzt hat nach kurzem Check des verletzten Sanitäters die Reanimation aufrechterhalten und fortgeführt.Was war besonders ungünstig?Helfer sind bei Herzdruckmassage im fahrenden Rettungswagen freistehend und ungesichert und müssen ständig Fliehkräfte und Richtungsänderungen mit dem Körper ausgleichen, um nicht zu fallen.Die von den Leitlinien geforderte hohe CPR-Qualität ist in solchen Momenten mit Sicherheit nicht gewährleistet, sondern eher als völlig ineffektiv und für den Patienten nicht hilfreich einzustufen. Viele Transportphasen (Umlagern auf Trage, Ein-/Ausladen RTW, Kurven, Bremsmanöver etc.) dürften de facto einer no-flow-time entsprechen. Schon bei einem akut verletzten Teammitglied steckt der verbleibende Kollege im Dilemma, wem er hilft: dem verletzten Kollegen oder dem Patienten? Soll er die Reanimation ab- bzw. unterbrechen? Eine Ein-Helfer-Reanimation erfüllt sicher nicht die Leitlinien bezüglich Einhalten der Zeitintervalle, Medikamentengabe, Monitoring etc.. Unterbricht der RTW die Fahrt, damit der Fahrer die Reanimation unterstützt, verzögert sich die Klinikankunft weiter. Eigener Ratschlag (Take-Home-Message)?Es besteht bei Reanimationstransporten ein hohes Gefahrenpotential für während der Fahrt ungesichert an der Trage stehend arbeitendes Rettungspersonal.Wenn möglich mechanische Reanimationshilfen einsetzen. Transportindikation kritisch prüfen und Abbruchkriterien für Reanimation vor Ort kritisch abchecken. Häufigkeit des Ereignisses?mehrmals pro JahrWer berichtet?Ärztin/ArztBerufserfahrung:über 5 JahreDie Analyse aus Sicht des AnästhesistenVielen Dank für diesen schön und ausführlich geschilderten Fall. Er stellt einen vermutlich seltenen, aber doch typischen Zwischenfall aus der präklinischen Notfallmedizin dar: Die Teammitglieder werden im Rahmen einer Wiederbelebung unter Transport durch ein scharfes Bremsmanöver durch das Fahrzeug geschleudert und verletzt.Dass sich Teammitglieder während der Fahrt unzureichend gesichert im Patientenraum aufhalten, ist für jeden Praktiker leider tägliche Realität. Dem Autor selbst sind Verletzungsfolgen bis hin zur Wirbelfraktur bekannt. Der allgemeine Umstand der fehlenden Sicherung muss insofern herausgestellt werden, da er nicht nur die Herzdruckmassage während der Fahrt betrifft: Ungesichertes Personal im Patientenraum ist nach Kräften zu vermeiden. Kurze Phasen mit fehlender Sicherung eines Teammitglieds sind trotzdem zur Abwendung von Lebensgefahr nicht immer gänzlich zu vermeiden. Insofern gilt – wie vom Melder schon richtig bemerkt –, dass situationsangepasste Sicherheitsmaßnahmen wie vorausschauendes Fahren und ggf. auch Geschwindigkeitsreduktion bis zum Stand geboten und geeignet sind. Der Verzicht auf die Nutzung des Sondersignals kann jedoch weitere Probleme mit sich bringen – hier möchte ich auf den juristischen Kommentar verweisen. Zur Frage des Melders: Es sind dem Autor keine geeigneten Sicherungssysteme für stehendes Personal bei der Herzdruckmassage bekannt. Ohne auf die Zulässigkeit und Rechtsicherheit fehlender Personalsicherung hier genauer einzugehen, bleibt dennoch die Frage nach einer praktischen Lösung für Herzdruckmassage in der Transportsituation. Der neutralen und sachlichen Darstellung des Melders verdanken wir hier schon viele Hinweise und die richtige Fragestellung. In der Tat ist in der rettungsdienstlichen Praxis die Herzdruckmassage am Tragentisch während der Fahrt qualitativ absehbar inkonstanter als die Anwendung eines mechanischen Reanimationssystems. Wie vom Melder schon treffend bemerkt, sind weder die Ergonomie optimal noch der Stand des Helfers sicher. Eine vergleichende Untersuchung von Gässler et al. [1] konnte diese Inkonstanz im Vergleich zu mechanischen Reanimationssystemen zeigen – allerdings nur in einer Manikin-Studie und damit ohne Beweiskraft für eine klinische Relevanz. Eine katastrophal schlechte Performance der manuellen Herzdruckmassage konnte dort jedoch – wie auch in anderen Studien – nicht gefunden werden [2]. Allerdings gibt es eine Vielzahl von häufigen Einsatzsituationen wie beispielsweise den Treppentransport, die eine manuelle Herzdruckmassage definitiv unmöglich machen. Dies ist eine durch mechanische Herzdruckmassage vermeidbare no-flow-Phase. Deshalb wird in verschiedenen Empfehlungen [3], [4] und den aktuellen ERC-Leitlinien die Transportindikation genannt [5]. Im Original lautet die Empfehlung [5]: „The routine use of mechanical chest compression devices is not recommended, but they are a reasonable alternative in situations where sustained high-quality manual chest compressions are impractical or compromise provider safety.“ Sofern ein Transport unter Wiederbelebung tatsächlich indiziert erscheint, ist ein mechanisches Reanimationssystem die geeignete technische Lösung zur Sicherheit des Helfers und zur Vermeidung von no-flow-Phasen. Die mittlerweile häufige Verfügbarkeit dieser Geräte führt – wie in der ERC-Aussage antizipiert – zu neuen Problemen. Oftmals werden die Geräte primär eingesetzt – und ihre Verfügbarkeit verleitet in der Praxis zur Verlagerung einer Entscheidungsfindung in die Klinik. Diese Probleme bestanden im geschilderten Fall nicht. Der Melder schildert einen offensichtlich indizierten Fall einer prolongierten Wiederbelebung mit Transport in die Klinik nach Durchführung einer präklinischen Lyse. Idealerweise würde der Transport dann unter der Vorstellung einer weiterführenden oder kausalen innerklinischen Therapie (von der PCI bis zur extrakorporalen Wiederbelebung) durchgeführt werden. Im geschilderten Fall fehlte schlicht die Möglichkeit, einen Transport sicher – d.h. unter Anwendung eines mechanischen Reanimationssystems – durchzuführen. Der Melder führt aus, dass die mechanischen Reanimationssysteme in der Klinik, aber nicht in der Präklinik vorgehalten werden – mit den in diesem Fall sichtbaren Folgen. Diese Analyse soll – im Einklang mit dem Melder – nicht „unkritisch den mechanischen Reanimationshilfen“ das Wort reden. Aber: Eine kurzfristige Verfügbarkeit der Systeme ist für den geschilderten Fall eines Transports zu fordern. Ob einsatztaktisch eine zeitgerechte Zuführung aus der Klinik jederzeit gelingen kann, ist zwar allgemein nicht zu klären. Hierzu müssten allerdings die Geräte von der Klinik zur Verfügung gestellt werden, eine Einweisung aller Rettungsdienstmitarbeiter vorliegen (Betreiberverantwortung: Klinik) und die Zuführung tatsächlich jederzeit sichergestellt sein. Eine jederzeit zeitgerechte Verfügbarkeit der Geräte ist wohl nur mit den Mitteln des Rettungsdienstes selbst sicherzustellen (2), beispielsweise bei einer Mitführung auf Notarzteinsatzfahrzeugen. Die bloße Bereitstellung und Einweisung integriert kein neues Gerät ausreichend in den komplexen Vorgang der Wiederbelebung – und es schafft keine qualitativ hochwertige Teamleistung. Zusätzlich unumgänglich ist somit ein geschlossenes Konzept zur leitliniengerechten Schulung aller Helfer und SOP’s zur Indikationsstellung. Es darf dabei nicht nicht außer Acht gelassen werden, das grundsätzliche medizinische Fragen zur Anwendung der Geräte noch ungeklärt sind. Hier sind die Fragen des geeigneten Beatmungsmusters und der Effektivität der Verwendung supraglottischer Atemwege zu nennen. Was hätte der Melder noch beitragen können, um die Situation zu verbessern? Nach der vorliegenden Schilderung wohl wenig. Er hatte die Indikation zum Transport geprüft und gestellt. Insofern ist dem Rettungsdienstträger oder Durchführenden des Rettungsdienstes dringend anzuraten, eine – vor allem auf die Indikation Transport ausgerichtete – zeitgerechte Vorhaltung eines mechanischen Reanimationssystems sicherzustellen. Die Analyse aus Sicht des JuristenDer dargestellte Fall impliziert auf den ersten Blick eine Reihe „praktischer Problemstellungen“. Bei näherer Betrachtung stößt man auch auf juristisch relevante Aspekte.Offenbar unterliegen Reanimationsmaßnahmen während der notfallmäßigen Verlegung von Patienten im Rettungswagen immer wieder „extrem ungünstigen Umständen“, welche die Suffizienz der Behandlungsmaßnahmen infrage stellen. Dies betrifft insbesondere
Unter juristischen Aspekten muss hier im Ausgangspunkt unterstellt werden, dass das einzusetzende Transportmittel (RTW) allen Normungsanforderungen entspricht und gemäß einzuhaltendem medizinischem Standard ausgestattet ist. Zudem ist Prämisse, dass die Mitglieder des Rettungsteams gehörig qualifiziert sind, geltenden rettungsdienstlichen bzw. notärztlichen Standard zur Reanimationsbehandlung einzuhalten. Sämtliche genannten Kriterien resultieren im Eigentlichen aus – im engeren oder weiteren Sinne – medizinischen Anforderungen, welche zur Ausbildung entsprechender aktuell geltender „Standards“ geführt haben. Deren Nichteinhaltung impliziert haftungs- und strafrechtliche Risiken, nicht zuletzt auch unter dem Aspekt des Organisations- und Übernahmeverschuldens. Auf dieser Grundlage, aber davon auch zu unterscheiden, stellt sich die Frage nach der Möglichkeit einer Durchführung von Behandlungsmaßnahmen im Einzelfall. Dies betrifft das Spannungsverhältnis zwischen einerseits Erforderlichkeit und andererseits Zumutbarkeit einer Hilfeleistung im Sinne des § 323c StGB („Unterlassene Hilfeleistung“). Dabei begründet diese Norm keine Sonderpflichten oder erweiterten Berufspflichten für (z. B.) Notärzte, sie gilt vielmehr „auch für den Arzt im Einzelfalle nur unter denselben Voraussetzungen wie für Jedermann“ (RGSt 75, 68 (73)). Allerdings folgt aus der Natur der Sache und liegt auf der Hand, dass einem professionellen Mitarbeiter des Rettungsdienstes „mehr“ an Hilfeleistung zumutbar ist als einem Laien, Gleiches gilt beispielsweise im Verhältnis von Bergrettung und straßengebundenem Rettungsdienst. Hinsichtlich der „Zumutbarkeit“ der Hilfeleistung ist eine objektive Beurteilung unter Einstellung aller konkreten Umstände des Einzelfalls vorzunehmen, wobei im Ausgangspunkt die Verpflichtung zu „bestmöglicher Hilfe“ besteht. Vor diesem Hintergrund stellt sich initial die Frage nach der Indikationsstellung für Reanimationsmaßnahmen, insbesondere während einer Verlegungsphase. Eventuell ist vorgängig „indiziert“, die Verlegung des Patienten im Anschluss an Reanimationsmaßnahmen zu beginnen. Eventuell ist während der Verlegung die Transportfahrt zu unterbrechen, um effektive Reanimationsmaßnahmen zu ermöglichen. Auch dafür kann die Wahrnehmung von „Sonderrechten“ gemäß § 35 StVO (vgl. insbesondere Abs. 5a) dienen; sei es eventuell auch zur Vermeidung einer Selbstgefährdung von Mitgliedern des Rettungsteams. So bedeutet die Wahrnehmung von Sonderrechten ohnehin nicht, dass die Verlegungsfahrt notwendigerweise in „halsbrecherischer“ Art und Weise durchzuführen ist. Das heißt im Ergebnis, dass das Rettungsverhalten sich nach Maßgabe der Gegebenheiten im Einzelfall bestimmen muss, was auch eine Triage impliziert. Dies betrifft zudem den etwaigen Einsatz eines mechanischen Reanimationssystems, wie es „mittlerweile häufig“ zur Verfügung stehen soll (vgl. dazu die o. a. medizinische Analyse). Handelt es sich dabei nicht um standardgemäß mitzuführendes Equipment, ist im Einzelfall zu prüfen, ob es der einzuhaltenden Sorgfalt entspricht, es zum Einsatz mitzunehmen bzw. nachfolgend noch zuzuführen. Jenseits der vorangehenden Ausführungen stellt sich selbstverständlich die grundlegende Frage, welche Normungsvorgaben und – als Standard – Ausstattungsergänzungen anzustreben sind, um die Einhaltung medizinischer Reanimationsstandards (noch besser) gewährleisten zu können. Weiterführende Literatur:
Autoren:
PD Dr. med. T. Birkholz, Anästhesiologische Klinik, Universitätsklinikum Erlangen
Rechtsanwalt R.-W. Bock, Ulsenheimer - Friederich Rechtsanwälte, Berlin Prof. Dr. med. A. Schleppers, Berufsverband Deutscher Anästhesisten, Nürnberg
Dipl.-Sozialw. T. Rhaiem, Berufsverband Deutscher Anästhesisten, Nürnberg
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