Fall des Monats Juni 2016 |
25.07.2016 |
CIRSmedical Anästhesiologie - Berichten und Lernen
Lagerungsschaden am Arm nach langer Operationsdauer
Der Fall:(Aus Gründen der Anonymität wird im Folgenden bei Personen stets die männliche Bezeichnung verwendet.)
Lagerungsschaden am Arm nach langer Operationsdauer
Zuständiges Fachgebiet:
Anästhesiologie
Wo ist das Ereignis eingetreten?Krankenhaus - OPTag des berichteten Ereignisses:WochentagVersorgungsart:RoutinebetriebASA-Klassifizierung:ASA IIFallbeschreibung:
Bei einem adipösen Patienten betrug die OP-Zeit ungefähr 11 Stunden. Während dieser Zeit befand sich der Patient ausschließlich in Rückenlage. Beide Arme waren ausgelagert und während der OP zugänglich gewesen. Nach Ausschleusen aus dem OP wurde der Patient im Bett gelagert. Dabei fiel am linken Ellenbogen ein massiv ausgeprägter Dekubitus 2°-3° mit einer Größe von ca. 3 x 4 cm auf, der vor der OP nicht beschrieben/nicht vorhanden war.
Was war besonders ungünstig?- Augenscheinlich ineffiziente Lagerung des Patienten- Augenscheinlich fehlende/ineffiziente Lagerungskontrollen Eigener Ratschlag (Take-Home-Message)?Nutzen der bereitgestellten Weichlagerungsmaterialien sowie regelmäßige Lagerungskontrollen an den zugänglichen Stellen.Häufigkeit des Ereignisses?mehrmals pro JahrDie Analyse aus Sicht des AnästhesistenNach einer sehr langen Operation wird bei einem Patienten, der sich die gesamte Operationsdauer hindurch in Rückenlage befand, ein großer Lagerungsschaden im Sinne eines Hautdefektes festgestellt.Lagerungsschäden jeglicher Couleur, seien es Schürfwunden, Druckstellen, bleibende Nervenschäden oder cerebrale Insulte durch ungünstige Lagerung des Kopfes, weisen dementsprechend eine große Bandbreite vom Bagatellschaden bis hin zur Invalidisierung oder gar Tod auf. Im Jahr 2007 wertete Herr Schaffartzik entschädigungspflichtige Schadensfälle der Jahre 2001 - 2005 aus, die in der Schlichtungsstelle für Arzthaftungsfragen der norddeutschen Ärztekammern in Hannover behandelt wurden und unsere Fachgebiete Anästhesie, Intensivmedizin, Notfallmedizin und Schmerztherapie betrafen. Von den 435 entschädigungspftichtigen Fällen dieses Zeitraumes waren 10% auf Lagerungsschäden zurückzuführen [1]. Die reale Zahl der in diesem Zeitraum aufgetretenen Lagerungsschäden dürfte wohl deutlich höher liegen. Häufig durch Lagerungsschäden in Mitleidenschaft gezogen, sind die Nerven der unteren Extremität. Mit einer Häufigkeit von 1:75 sind hier Parästhesien zu beobachten [2] sowie motorische Ausfälle mit einer Häufigkeit von 1:3600 [3]. Dies bevorzugt bei Operationen in Regionalanästhesie (SPA, PDA). Während einer Allgemeinanästhesie sind vor allem Nerven der oberen Extremität gefährdet, hier besonders der N. ulnaris (1:200) [4]. Die fachgerechte Lagerung der Patienten ist keine banale Tätigkeit. In vielen Kliniken gab es einmal eigenes Pflegepersonal, das sich als Lagerungspfleger im OP auf eben diese patienten- und eingriffsgerechte ordentliche Lagerung besonders gut verstand. Im Zuge des zunehmenden wirtschaftlichen Druckes wurden viele dieser Stellen mittlerweile wegrationalisiert. Somit auch wertvolles Wissen und jahrelange Erfahrung. Generell ist aber noch auf die alte, bekannte und immer noch gültige Vereinbarung des Berufsverbandes Deutscher Anästhesisten und des Berufsverbandes der Deutschen Chirurgen über die Verantwortung für die prä-, intra- und postoperative Lagerung des Patienten [5] hinzuweisen. Hier wird die jeweilige Verantwortlichkeit im Rahmen der Lagerung des Patienten behandelt. Unter anderem wird hierzu folgendes ausgeführt: "Der Anästhesist ist verantwortlich für die Lagerung der Extremitäten, die er für die Narkoseüberwachung sowie für die Applikation von Narkosemitteln und Infusionen benötigt. Er hat die spezifischen Sicherungsmaßnahmen zu treffen, die sich aus der Lagerung des Patienten für die Überwachung und Aufrechterhaltung der Vitalfunktionen ergeben." Und weiter unten wird erneut hingewiesen: "Dem Anästhesisten obliegt die intraoperative Kontrolle hinsichtlich der Extremitäten, die er für die Überwachung und die Infusion benötigt." Besonders bei langen Operationen steigt das Dekubitus- bzw. Lagerungsrisiko für die Patienten. Auch Verbrennungen z.B. durch feuchte Kontaktstellen und den Einsatz der Elektrokauter sind zu befürchten. Eine regelmäßige Kontrolle der Auflagestellen der im Verantwortungsbereich des Anästhesisten liegenden Körperpartien ist zwingend. Die erhobenen Befunde (auch negative) sollten aus medikolegaler Sicht entsprechend im Narkoseprotokoll dokumentiert werden. Der Einsatz und das Vorhalten ausreichender, geeigneter Lagerungsmaterialien (Gelkissen etc.) zur Dekubitusprophylaxe sind obligat. Wenn dennoch ein größerer Lagerungsschaden auftritt, wie hier geschildert, sollte eine großzügige Dokumentation des Defektes (Fotos!) und umgehende Information z.B. eines Wundmanagementteams etc. erfolgen. Bitte denken Sie daran, evtl. in Absprache mit Ihren Klinikjustitiaren, auch den Patienten in einem persönlichen Gespräch über die Situation und das weitere Procedere zu informieren. Die Analyse aus Sicht des JuristenDas OLG Köln [6] meint, dass die Anästhesisten „für die Beibehaltung einer für den Patienten schadlosen Lagerung während der Operation…“ zuständig sind und beruft sich dabei auf die interdisziplinären Vereinbarungen. Dabei hat das OLG Köln allerdings das oben schon zitierte Lagerungsabkommen mit den Chirurgen übersehen. Danach ist in der präoperativen Phase der Anästhesist für die Lagerung zur Einleitung des Anästhesieverfahrens zuständig, eingesetzte Assistenzkräfte unterstehen insoweit seiner Verantwortung. Für die Lagerung zur Operation ist hingegen der Operateur verantwortlich, eingesetzte Assistenzkräfte werden unter seiner Verantwortung tätig. Erkennt der Anästhesist Kontraindikationen gegen die Lagerung, dann wird er diese dem Operateur mitteilen. Der Anästhesist ist für die Lagerung des „Infusionsarmes“ zuständig.Die Lagerung auf dem Operationstisch fällt grundsätzlich in die Verantwortung des Operateurs, dazu gehören auch planmäßige intraoperative Lageveränderungen. Der Anästhesist muss prüfen, welche Bedeutung diese Maßnahmen für sein anästhesiologisches Regime haben. Erkennt der Anästhesist unwillkürliche Lagerungsveränderungen, dann wird er den Operateur darauf hinweisen. Er muss aber nicht ständig die intraoperative Lagerung überprüfen [7]. In der postoperativen Phase kommt es darauf an, in wessen Verantwortung der Patient steht. In der Aufwacheinheit ist der Anästhesist für die Lagerung zuständig, auf der Normalstation das Personal dieser Einheit und auf der Intensivstation der für die Intensiveinheit verantwortliche Arzt. Eine sorgfältige Lagerung setzt auch voraus, dass Voruntersuchungen zur Abklärung körperlicher Besonderheiten, die das Risiko von Lagerungsschäden erhöhen können, durchgeführt wurden. Allerdings berücksichtigt die Rechtsprechung hier ausnahmsweise auch einmal den mit der Abklärung von Besonderheiten verbundenen Aufwand und verlangt nicht, dass auch nach seltenen und mit vertretbarem Aufwand nicht vorab nicht aufdeckbaren Anomalien zu forschen ist [8]. Wenn davon auszugehen ist, dass Schäden durch Lagerung auch bei Einhaltung der gebotenen Sorgfalt nicht stets sicher auszuschließen sind [9], dann gehört die Aufklärung zumindest über das Risiko einer möglichen Dauerschädigung wichtiger Nerven infolge der Lagerung zu den aufklärungspflichtigen Umständen [10]. Jedoch muss ein Patient, dem die Risiken bekannt sind, über diese nicht mehr (erneut) aufgeklärt werden. So hat das OLG Koblenz [11] geurteilt, dass ein „jahrzehntelang als Unfallchirurg tätiger Arzt nicht über die Gefahr eines Lagerungsschadens aufgeklärt werden (muss), weil er diese Gefahr aus seinem Berufsalltag kennt…“. Zur Vermeidung von Beweisnachteilen sind medizinisch gebotene wesentliche Maßnahmen aufzuzeichnen (siehe § 630h Abs. 3 BGB). Zur der Lagerung ist aber nicht stets ein detaillierter Bericht erforderlich. Nach dem BGH [12] genügt es vielmehr „die Lagerung technisch schlagwortartig zu beschreiben (oder durch ein zeichnerisches Symbol zu kennzeichnen), sodass für den Fachmann erkennbar wurde, nach welcher Methode gelagert oder operiert worden ist…“ Steht die Art der Lagerung des Patienten während der Operation allgemein fest, ergibt sich die technische Durchführung der Lagerung aus den allgemein anerkannten, dabei einzuhaltenden medizinischen Regeln. Diese brauchen nicht jedes Mal schriftlich fixiert zu werden. Anders wäre es nur, wenn im Einzelfall von der Norm abgewichen werden soll oder wenn es während der Operation zu nicht ganz unbedeutenden Korrekturen kommt… Ebenso brauchen solche Routinemaßnahmen wie die Kontrolle der ordnungsgemäßen Lagerung des Patienten nicht jedes Mal besonders dokumentiert werden.“ Dennoch ist bezüglich der Dokumentation der Lagerung und ihrer Kontrolle Vorsicht geboten. Zwar schließt die Rechtsprechung nicht ohne weiteres aus einem Lagerungsschaden im Wege des Anscheinsbeweises auf einen ärztlichen Behandlungsfehler. Hierzu das OLG Oldenburg [13]…Schließlich folgt auch aus dem Entstehen der Drucknekrose nicht, dass der Kläger falsch gelagert worden ist. Dies wäre nur dann der Fall, wenn es sich bei Lagerungsschäden dieser Art um vollständig beherrschbare Komplikationen handeln würde, deren Entstehung zwingend auf einen Behandlungsfehler hindeuten würde. Dies ist aber nach den Ausführungen des Sachverständigen nicht der Fall. Danach gibt es zwar angesichts der Seltenheit von druckbedingten Nekrosen nach einer Operation keine statistischen Veröffentlichungen, jedoch Einzelfallberichte darüber, dass ein Lagerungsschaden ohne besondere bekannte Risikofaktoren und ohne Hinweis auf eine fehlerhafte Lagerung entstanden ist. Insbesondere bei älteren Patienten … lässt sich das aus der weniger günstigen Durchblutung der Haut und des Fettgewebes erklären…“. Nach dem Bundesgerichtshof [14] und nunmehr auch dem Patientenrechtegesetz droht eine Beweislastumkehr zum Nachteil der Ärzte und des Krankenhauses bei an sich „voll beherrschbaren“ Risiken (§ 630h Abs. 1 BGB). Zur Lagerungsproblematik führt der BGH aus, dass es sich bei der Lagerung um organisatorisch beherrschbare Risiken handelt, woraus eine Fehler- und Verschuldensvermutung zu Lasten der Ärzte abzuleiten sei. Zu den beherrschbaren Risiken gehören „Organisation und Koordination des Behandlungsgeschehens“ und „Zustand der dazu benötigten Geräte und Materialien“. Der BGH: „Deshalb hat der erkennende Senat dem Krankenhausträger und seinen Ärzten die Beweislast für die Gewähr einwandfreier Voraussetzungen für eine sachgemäße und erfahrene Behandlung zugewiesen, wenn es etwa um Fragen ging wie den ordnungsgemäßen Zustand eines verwendeten Tubus…die Funktionstüchtigkeit des eingesetzten Narkosegerätes…, die Reinheit des benutzten Desinfektionsmittels…oder die Sterilität der verabreichten Infusionsflüssigkeit…Dasselbe gilt für die unbemerkt gebliebene Entkopplung eines Infusionssystems…, dass Zurückbleiben eines Tupfers im Operationsgebiet…oder die richtige Lagerung des Patienten auf dem Operationstisch…“. Ebenso zählt das OLG Jena [15] die Lagerung zu den organisatorisch beherrschbaren Risiken mit der Folge einer Fehler- und Verschuldensvermutung zu Lasten der Ärzte und des Krankenhauses: „…Grundsätzlich ist es Sache des Patienten, einen Behandlungsfehler des Arztes sowie dessen Ursächlichkeit für den bei ihm aufgetretenen Gesundheitsschaden darzulegen und zu beweisen. Ausnahmsweise kann der Patient Beweiserleichterungen - bis hin zur Beweislastumkehr - für sich in Anspruch nehmen. Von einer solchen Umkehr der Beweislast ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs dann auszugehen, wenn der Gesundheitsschaden des Patienten sich in einem Bereich ereignet hat, dessen Gefahren vom Klinikpersonal vollbeherrscht werden können und müssen…Dazu ist insbesondere auch die ordnungsgemäße Lagerung des Patienten auf dem Operationstisch und deren Überprüfung während der Operation zur Vermeidung von Lagerungsschäden zu zählen. Es obliegt dann grundsätzlich dem in Anspruch genommenen Krankenhausträger der Beweis dafür, dass ein Lagerungsschaden nicht durch eine falsche Lagerung während der Operation verursacht worden ist…“[16] Deutlich der BGH[17] „…Grundsätzlich obliegt dem in Anspruch genommen Krankenhausträger der Beweis dafür, dass ein Lagerungsschaden nicht durch eine falsche Lagerung während der Operation oder ein Versagen technischer Geräte entstanden ist…Die Beweislastumkehr bei Lagerungsschäden beruht darauf, dass bei der Lagerung des Patienten während der Operation auch Risikofaktoren, die sich aus seiner körperlichen Konstitution ergeben, ärztlicherseits eingeplant und dementsprechend ausgeschaltet werden können und es deshalb Sache der Behandlungsseite ist, zu erklären, warum es gleichwohl zu einem Lagerungsschaden gekommen ist.“. Da die Rechtsprechung zumindest unterschwellig weiterhin davon ausgehen wird, dass Lagerungsmaßnahmen mehr oder weniger beherrschbar und ein Lagerungsschaden ein Indiz für einen Behandlungsfehler ist, empfiehlt es sich dringend, bei der Voruntersuchung auf mögliche körperliche Anomalien zu achten, die die Lagerung erschweren könnten, Lagerungsmaßnahmen ordnungsgemäß vorzunehmen und vorsichtshalber auch die Lagerungskontrolle sorgfältig zu dokumentieren. Weiterführende Literatur:
Autoren:
Dr. med. P. Frank, Klinik für Anästhesiologie und Intensivmedizin, Medizinische Hochschule Hannover
Dr. iur. E. Biermann, Berufsverband Deutscher Anästhesisten, Nürnberg Prof. Dr. med. A. Schleppers, Berufsverband Deutscher Anästhesisten, Nürnberg
Dipl.-Sozialw. T. Rhaiem, Berufsverband Deutscher Anästhesisten, Nürnberg
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