Fall des Monats Dezember 2016 |
24.01.2017 |
CIRSmedical Anästhesiologie - Berichten und Lernen
Traumaversorgung nicht möglich wegen Arbeitsüberlastung und Personalmangel
Der Fall:(Aus Gründen der Anonymität wird im Folgenden bei Personen stets die männliche Bezeichnung verwendet.)
Traumaversorgung nicht möglich wegen Arbeitsüberlastung und Personalmangel
Zuständiges Fachgebiet:
Anästhesiologie
Wo ist das Ereignis eingetreten?Krankenhaus – OPTag des berichteten Ereignisses:Wochenende/FeiertagVersorgungsart:NotfallPatientenzustand:KritischFallbeschreibung:
Ausgewiesenes Traumazentrum ist personell nicht in der Lage Schwerstverletzte zu versorgen.
Die Wochenend-OP-Programme sind so ausgeweitet worden, dass keine adäquate Notfallversorgung möglich ist. Konkret: 2 OP-Säle laufen, Aufwachraum mit mehreren Patienten belegt. Intensivstation unterbesetzt und überfüllt. 3 Anästhesieteams (auch für Herzalarm und Notsectio zuständig). 1 schweres Polytrauma angekündigt, keine freien personellen Valenzen. Nach 10 Minuten weiteres SHT angekündigt. Was war besonders ungünstig?- Anästhesie besitzt keinen Hintergrund-Rufdienst- Anästhesiepersonal und Intensivstation stehen am Limit - Klinik ist neuerdings überregionales Polytraumazentrum für die max. Versorgung von 2 Traumapatienten - Tagesrestprogramme (keine direkten Notfälle) laufen rund um die Uhr - Patienten im OP/Intensivstation unterversorgt, da Personal abgezogen werden musste Eigener Ratschlag (Take-Home-Message)?Wie soll das funktionieren mehr Notfälle, mehr Operationen bei gleichzeitigem Personalabbau? (Stichwort: Organisationsverschulden)Häufigkeit des Ereignisses?jede WocheWer berichtet?Ärztin/ArztBerufserfahrung:bis 5 JahreDie Analyse aus Sicht des AnästhesistenIm dargestellten Fall treten zwei vital bedrohliche Notfälle unmittelbar nacheinander auf, und die anästhesiologische Versorgung konnte zunächst nicht sichergestellt werden. Es ist nicht bekannt, ob die Patienten entsprechend der Erfordernisse zeitgerecht versorgt wurden. Der Fall bietet zwar wenig konkrete Angaben, lässt jedoch damit viel Raum für die Darstellung des bestehenden Empfehlungs- und Vereinbarungsrahmens und möglichen Lösungen.Neben der Sachebene hat dieser Fall auch eine emotional beklagende Ebene in Bezug auf Personalabbau, Leistungsverdichtung durch verschiebbare Operationen und folgende Überlastung in Anästhesie und Intensivmedizin. Hier wird der Rechtsbegriff „Organisationsverschulden“ und ein stetiges Auftreten der Problematik („jede Woche“) in den Raum gestellt, denen sich die juristische Analyse mit zuwenden muss. Medizinisch-organisatorisches Oberthema für die ärztliche Analyse ist die Planung und Inanspruchnahme anästhesiologischer Ressourcen außerhalb der regulären Dienstzeiten. Personalanforderung überregionales Traumazentrum Der Fallschilderung nach wurde der Engpass durch zwei gleichzeitig zu versorgende, traumatologische Schockraumpatienten verursacht. Die Einrichtung ist ein überregionales Traumazentrum und damit verpflichtet, zu jeder Zeit die Versorgung von bis zu zwei Polytraumen sicherzustellen. Die Zertifizierungskriterien für Traumazentren machen Minimalvorgaben zur Personalstärke des Präsenzdienstes. Es muss Facharztstandard im Präsenzdienst für die Fächer Orthopädie/Unfallchirurgie oder Chirurgie (WBO 93), Anästhesie und Radiologie gewährleistet sein. Zusätzlich ist die zeitliche Verfügbarkeit verschiedener Kompetenzen im Oberarztrang innerhalb dreißig Minuten sicherzustellen: Spezielle Unfallchirurgie, Viszeral‐, Allgemeinchirurgie, Neurochirurgie, Anästhesie, Radiologie, Gefäßchirurgie, Thorax‐oder Herzchirurgie oder Viszeralchirurgie mit thoraxchirurgischer Kompetenz sowie Augenheilkunde, Urologie und HNO/MKG ggf. in Kooperationsverträgen [1]. Anästhesiologische Personalanforderung Perinatalmedizin In der Einrichtung wird zusätzlich Geburtshilfe auf einer unbekannten Versorgungsstufe betrieben. Die für die Perinatalmedizin gültige Vereinbarung der Fachgesellschaften sieht vor, dass der Krankenhausträger die Verfügbarkeit eines Anästhesieteams innerhalb von 10 Minuten sicherstellen muss: „Die anzustrebende volle anästhesiologische Versorgung der geburtshilflichen Fachabteilung erfordert einen 24-stündigen Anästhesie-Bereitschaftsdienst an sieben Tagen in der Woche. Der hierfür benötigte, besonders auszuweisende Personalbedarf hängt von der jährlichen Geburtenzahl und dem Anteil der Anästhesieleistungen ab. Unabhängig von der Frequenz muss gewährleistet sein, dass bedarfsweise ein Anästhesist innerhalb von zehn Minuten zur Verfügung steht. Die vertragschließenden Berufsverbände und wissenschaftlichen Gesellschaften betonen nachdrücklich, dass der Krankenhausträger aufgrund seiner Organisationspflicht für eine ausreichende anästhesiologische Versorgung der Geburtshilfe sorgen muss.“[2] Weiterhin ist für eine Notsectio auf allen Versorgungsstufen eine Entscheidungs-Entbindungszeit von unter 20 Minuten vorgesehen [2]. Für zeitgleiche Notfälle ist in einem Perinatalzentrum Level I und II diese Versorgung in gleicher Weise zu gewährleisten. Die Grundanforderung für die Notsectio ist in der S1-Leitlinie so formuliert: „Jede geburtshilfliche Klinik muss zudem sicherstellen, dass die für die Sicherheit von Mutter und Kind Entscheidungs-Entbindungszeit („E-E-Zeit“) unter 20 Minuten jederzeit einzuhalten ist. Hierfür muss im Bereich der Geburtshilfe eine anästhesiologische ärztliche 24-Stunden-Bereitschaftsdienstleistung (inklusive anästhesiologischer Pflegekraft) gewährleistet sein. Ein Bereitschaftsdienst reicht dafür aus, da im Unterschied zur neonatologischen Betreuung der Intensivstation ein vergleichbar kontinuierlicher anästhesiologischer Bedarf in der Geburtshilfe nicht besteht. Der anwesende Anästhesist muss in geburtshilflichen Analgesie- und Anästhesieverfahren geschult und erfahren sein. Ist er kein Facharzt, so bedarf es eines fachärztlichen Rufdienstes.“[3] Für Perinatalzentren Level I und II ist – vermutlich im Hinblick auf die weitere Versorgung –zudem eine Expertise in Kinderanästhesie gefordert. Zusammengefasst muss mindestens ein geburtshilflich qualifiziertes Anästhesieteam innerhalb 10 Minuten zur Verfügung stehen, und bei einer höheren Versorgungsstufe auch die Möglichkeit, weitere Teams zeitgerecht zuzuführen. Innerklinische Notfallmedizin Nach den Aussagen des Melders sind die drei Anästhesieteams auch für innerklinische Notfallversorgung zuständig („Herzalarm“). Zur innerklinischen Notfallversorgung sind Vorgaben aus dem Weißbuch „Reanimationsversorgung“ zu berücksichtigen [4]. Faktisch ist für diese Fälle auch ein Team in unmittelbarer Bereitschaft zur Verfügung zu stellen. Es erscheint ungewöhnlich, dass diese Aufgabe den Anästhesieteams und nicht der Intensivstation zufällt und steht möglicherweise in Zusammenhang mit der geschilderten Überlastung in der Intensivmedizin. Personalplanung: Ausreichende Ressourcen oder Potemkinsche Dörfer? Für die Notfallversorgung sind ausreichende Personalressourcen und eine belastbare Organisationsstruktur erforderlich. Andererseits muss die Personalressource im Einzelfall angemessen eingesetzt werden. Dies gelingt nur durch gute Planung bei der Aufgabenzuweisung und ein gleichermaßen an der Patientensicherheit orientiertes Verhalten der anästhesiologischen Verantwortungsträger und der operativen Partner. Letztlich ist die wahrhaftige und vertrauensvolle interdisziplinäre Zusammenarbeit von entscheidender Bedeutung. Die Einrichtung muss sich als Gesamteinheit bei der Aufgabe der sicheren Patientenversorgung wahrnehmen. Durch eine formell ausreichende, aber den tatsächlichen Anforderungen nicht entsprechende Vorhaltung würden Potemkinsche Dörfer mit entsprechend erhöhten Risiken für Patient, Personal und Strukturverantwortliche errichtet werden. So geht aus der Fallschilderung hervor, dass lediglich drei Anästhesieteams zur Verfügung standen und bei Eintritt der Notfälle zwei durch Operationen unbekannter Dringlichkeit gebunden waren. Es waren keine Rufbereitschaftsdienste verfügbar, um eine Spitzenabdeckung zu gewährleisten. Wie lässt sich die Personalvorhaltung im konkreten Fall bewerten? Sicher ist, dass zu dem geschilderten Zeitpunkt die Patientensicherheit in Gefahr war. Vordergründig sind die wie geschildert vorgehaltenen Ressourcen als reine Notfallvorhaltung nicht zu beanstanden. Es kann ein traumatologischer Notfall mit Belegung des Schockraums, ein gleichzeitiger geburtshilflicher Notfall und ein innerklinischer Notfall bewältigt werden. Wenn man die Selbstverpflichtung und formellen Aufgaben der Anästhesieteams rechnerisch betrachtet, sind allerdings keine Ressourcen für zwei Schockraumversorgungen und noch zwei gleichzeitige Notfälle im Haus und in der Geburtshilfe vorhanden. Somit muss die Vorhaltung als formal unterdimensioniert gelten. Es fehlt mindestens ein Anästhesieteam. Selbst wenn man davon ausgeht, dass bei geringer bis moderater gemeinsamer Eintrittswahrscheinlichkeit eines innerklinischen Notfalls, einer Schockraumversorgung und einer Notsectio ggf. zwei Teams in Bereitstellung ausreichen, darf trotzdem nicht mehr als eine Operation stattfinden. Dies war nicht der Fall und spricht nicht für eine ausreichende Vorhaltung. Nur bei extrem geringer gleichzeitiger Eintrittswahrscheinlichkeit aller genannten Notfallsituationen kann vielleicht auch ein Team als Notfallbereitstellung ausreichen, sofern weitere in Rufbereitschaft stehen. Davon ist in einem überregionalen Traumazentrum nicht auszugehen. Wie viele Teams im Bereitschaftsdienst zur Sicherstellung der Notfallversorgung im Einzelfall zurückgehalten werden müssen, liegt zudem nicht allein im Ermessen des Strukturverantwortlichen, sondern muss sich auch an der aktuellen Eintrittswahrscheinlichkeit (z.B. Kreißsaal stark belegt, Tag- oder Nachtzeit, hohes erwartetes Notfallaufkommen) orientieren. Diesen Entscheidungsspielraum sollte der ranghöchste diensthabende Anästhesist haben. Sobald eine relevante Zahl von Operationen mit teils längerer Bindung der Teams (z.B. Herzchirurgie, große Viszeralchirurgie, Hand- und plastische Chirurgie) regelmäßig im Bereitschaftsdienst stattfinden, ist die im konkreten Fall geschilderte Vorhaltung stark unterdimensioniert. Hier müssen weitere Anästhesieressourcen, z.B. aus einem Rufdienst, hinzugezogen werden können. Nicht außer Acht gelassen werden darf, dass zusätzlich ausreichend Pflegekräfte zur Verfügung stehen müssen. Pflegerische Bereitschaftsdienste sind mitunter so organisiert, dass in der Summe weniger Pflegekräfte als Ärzte zur Verfügung stehen. Zusammengefasst ist zu sagen, dass eine Personalvorhaltung von drei Anästhesieteams für den bestehenden Aufgabenumfang in jedem Fall zu gering ist. Wie lässt sich die Personalvorhaltung im Bereitschaftsdienst planen? Zur faktenorientierten Planung bietet es sich für die Strukturverantwortlichen an, eine differenzierte Erfassung der Personalbindung zu erheben (Leistungsdokumentation mit Zeiträumen, Tätigkeiten und Darstellung paralleler Tätigkeit als Analyse über einen repräsentativen Zeitraum von z.B. drei Monaten). Hieraus kann es bei starker Auslastung allerdings notwendig werden, einen Volldienst einzurichten. Solche Erfassungen sind auch zur Dokumentation der Einhaltung arbeitsrechtlicher Vorschriften, wie z.B. Pausenregelungen, sinnvoll und bieten in jeder Hinsicht Argumentationsgrundlagen. Weitere Planungsaspekte wären – unter Berücksichtigung der gewöhnlichen Expertise der Diensthabenden – spezielle Versorgungssituationen (z.B. Operationen mit Erfordernis spezieller anästhesiologischer Expertise und extreme Altersgruppen, wie z.B. Kinderherzchirurgie oder Transplantationen). Die regelhafte Einplanung von Ärzten der Intensivstation ist kritisch zu betrachten, da ggf. mit einer Beeinträchtigung der Patientenversorgung zu rechnen ist. Sobald im Rahmen der Betriebsorganisation die Anzahl der Bereitschaftsdienste und das Dienstmodell festgelegt ist, kann der Personalbedarf im Bereitschaftsdienst, z.B. mit dem Personalbedarfskalkulationstool der DGAI abgeschätzt werden. Hier werden nicht-saalbezogene Leistungen (z.B. auch die Koordination der Tätigkeiten im Bereitschaftsdienst, Prämedikation) und die saalbezogenen Leistungen (Saallaufzeiten im Regeldienst, aufsichtführende Anästhesisten) als Bestandteile der Betriebsorganisation berücksichtigt [5]. Ökonomische Aspekte Schwierig ist es, wenn ein in die Arbeitsebene transportierter ökonomischer Druck die medizinisch Handelnden vor Konflikte stellt. Nicht der Krankenhausvorstand muss entscheiden, ob eine im Grundsatz verschiebbare Operation durchgeführt wird, sondern die im Bereitschaftsdienst tätigen Kollegen, denen aber ökonomische Grundvorgaben mitgegeben wurden. Eine Nutzung des Bereitschaftsdienstes als einfach verfügbare und kostengünstige Ressource zur Abarbeitung des Tagesrestprogramms („ist ja sowieso da“) ist im Sinne der Patientensicherheit eine überaus kritisch zu betrachtende Praxis. Operative Indikationsstellungen und anästhesiologische Ressourcenfreigabe Einen großen Stellenwert hat der verantwortliche und wahrhaftige Umgang der operativen Disziplinen mit der Indikationsstellung und Dringlichkeitsangabe zu einer Operation. Damit einher geht die Verantwortung der anästhesiologischen Diensthabenden, Operationswünschen nur im Rahmen der Sicherstellung der Notfallversorgung stattzugeben. Auf die Verantwortungsübernahme für eine Inanspruchnahme von Anästhesieleistungen und eine resultierend fehlende Sicherstellung der Notfallversorgung wird noch im juristischen Teil eingegangen. Die Grenze der Verantwortbarkeit aus medizinisch-organisatorischer und fachlich anästhesiologischer Sicht ist konkret dann erreicht, wenn eine Inanspruchnahme durch verschiebbare Eingriffe die erforderliche Notfallversorgung unmöglich macht. Schicksalhafte Situationen, bei denen trotz sorgfältig geplanter und im weit überwiegenden Regelfall ausreichender Vorhaltung die Zahl der tatsächlichen Notfälle die Versorgung weiterer Notfälle nicht mehr ermöglicht, entziehen sich allerdings dem Einfluss der Vorausplanung. Für Engpässe mit einer relevanten Eintrittswahrscheinlichkeit und/oder einem hohen Patientenrisiko ist durch weitere (Ruf-) Dienste Sorge zu tragen. Hier sind möglicherweise mehrere zusätzliche Dienste einzurichten, damit die nominelle Zahl von Anästhesieteams für alle Aufgaben in der Notfallversorgung ausreicht. Für die zugrunde zu legende Eintrittswahrscheinlichkeit besteht jedoch leider keine vernünftige Bemessungsgrundlage. Zusammenfassung: Es erscheint im geschilderten Fall aufgrund der Verpflichtung zur Versorgung von zwei Polytraumen, der Geburtshilfe und innerklinischer Notfälle allein zahlenmäßig nicht statthaft, mit nur drei verfügbaren Teams zu arbeiten. Hier würde sich – je nach zusätzlichen Verpflichtungen in der Geburtshilfe – mindestens eine Lösung mit einem oder zwei weiteren Teams im Rufdienst aufdrängen. Die Analyse aus Sicht des JuristenBereits im Fall des Monats Juli 2016 wurde das Urteil des Bundesverwaltungsgerichtes (Urteil vom 25.03.1993, Az. 3 C 69/90, NJW 1993, 3008) zitiert. Das Bundesverwaltungsgericht hat ausgeführt, dass ein Krankenhaus leistungsfähig ist, wenn es „den Anforderungen entspricht die nach dem Stand der Wissenschaft an ein Krankenhaus dieser Art zu stellen sind… der Begriff der Leistungsfähigkeit schließt mit ein, dass die nach dem Stand der Wissenschaft ein Krankenhaus dieser Art zu stellenden Anforderungen auf Dauer gewährleistet sein müssen. Die sachliche und personelle Ausstattung eines Krankenhauses muss daher auf Dauer so angelegt sein, dass die Leistungsfähigkeit konstant erhalten bleibt… sowohl für den ärztlichen Bereich als auch bezüglich des pflegerischen Bereiches (muss) die personelle Ausstattung so beschaffen sein, dass die Klinik den Anforderungen, die nach dem Stand der Wissenschaft an ein Krankenhaus dieser Art zu stellen sind, auf Dauer entspricht… .“Mit anderen Worten: Die Ausstattung des Krankenhauses, die räumlich-apparative, insbesondere aber auch personelle Infrastruktur hat sich nach den Leistungen zu richten, die das Krankenhaus verspricht. Bietet das Krankenhaus bestimmte Leistungen an, dann erweckt es damit die berechtigte Erwartung, dass die versprochenen Leistungen auch sorgfaltsgerecht, den Standards des jeweiligen Fachgebietes entsprechend, erbracht werden. Wer für sich als überregionales Traumazentrum wirbt, muss auch gewährleisten, dass die damit verbundenen Anforderungen in räumlich-apparativer und personeller Hinsicht gewährleistet sind. Dass die entsprechenden Anforderungen nicht in einem Gesetz oder einer dem Gesetz gleichkommenden Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses niedergelegt, sondern in Verlautbarungen der Fachgebiete enthalten sind, heißt nicht, dass solche Empfehlungen unverbindlich seien. Im Gegenteil: § 630a Abs. 2 Bürgerlichens Gesetzbuch (BGB) gewährt dem Patienten einen Anspruch auf eine Versorgung, die jederzeit den zum Zeitpunkt der Behandlung allgemein anerkannten fachlichen Standards zu genügen hat. Die Bundesregierung hat in der Begründung zum Gesetzentwurf [6] ausdrücklich darauf hingewiesen, dass es den jeweiligen Fachgebieten obliegt, ihre Standards zu definieren. Auch wenn die Bundesregierung insoweit auf „Leitlinien, die von den wissenschaftlichen Fachgesellschaften vorgegeben werden“ hinweist, so beschränkt sich die Definition der Standards aber nicht auf diese. Auch andere fachliche Empfehlungen oder Vereinbarungen definieren fachliche Standards und erhalten damit über § 630a Abs. 2 BGB unmittelbar rechtliche Bedeutung. Das gilt etwa für die Anforderungen an den anästhesiologischen Arbeitsplatz, die Personalausstattung in Anästhesieabteilungen, aber auch für die Forderungen, die die Geburtshelfer zur Organisation der Geburtshilfe aufstellen oder für die fachlichen Festlegungen zur Traumaversorgung. Um es zu wiederholen: Wer als Krankenhausträger – für den Inhaber einer Praxis gilt im Ergebnis aber das Gleiche – Leistungen gegenüber dem „Publikum“ anbietet, hat dafür geradezustehen, dass das damit erweckte Vertrauen in eine sachgerechte Ausstattung und Organisation der Abläufe nicht enttäuscht wird, mit anderen Worten, er hat die Versorgung unter Beachtung der fachlichen Standards zu organisieren. Weicht der Krankenhausträger von den fachlichen Standards ab, wird er sich nach einem Zwischenfall vor dem Hintergrund des Verdachts eines Organisationsverschuldens/einer Organisationsfahrlässigkeit rechtfertigen müssen, warum er trotzdem meinte, eine sichere Patientenversorgung gewährleisten zu können. Das Abweichen vom fachlich Gebotenen, ohne auf andere Weise die Qualität der Behandlung und die Sicherheit der Patienten zu gewährleisten, erhöht das Risiko für den Krankenhausträger und für diejenigen, die für die Organisation der Versorgung zuständig sind, sich in zivil- aber vor allem auch strafrechtlicher Hinsicht einem Organisationsverschulden ausgesetzt zu sehen. Diejenigen, die im Bewusstsein der Mängel – von echten Notfällen abgesehen – an der Versorgung mitwirken, droht der Vorwurf des Übernahmeverschuldens/der Übernahmefahrlässigkeit. Mit Urteil von 1985 schrieb der Bundesgerichtshof [7] dem Krankenhausträger „ins Gebetbuch“, dieser sei verpflichtet dafür Sorge zu tragen, dass in jedem Fall eine ordnungsgemäße Behandlung gewährleistet war und „zu diesem Zweck eine ausreichende Anzahl von Stellen für die Anästhesie bereitzustellen und zu besetzen“ hatte. Dies gilt gleichermaßen für die gesamte ärztliche, aber auch pflegerische Versorgung im Krankenhaus in den verschiedenen Fachabteilungen. Nicht nur unter haftungsrechtlichen Gesichtspunkten, sondern auch vor dem Hintergrund des Arbeitsrechtes ist der Krankenhausträger verpflichtet, die Fachabteilungen personell adäquat auszustatten, sodass mit dem zur Verfügung gestellten Personal dem Patienten die versprochene Versorgung – sei es in der Geburtshilfe, sei es in der Traumaversorgung, sei es in der Anästhesiologie – nach „allgemein anerkanntem Stand“ der medizinischen Erkenntnisse und „in der fachlich gebotenen Qualität“ (siehe § 70 Abs. 1 SGB V) erbracht werden kann. So hat das Arbeitsgericht Wilhelmshaven [8] den Krankenhausträger für verpflichtet gehalten, die Fachabteilung – im konkreten Fall war es Anästhesieabteilung – so auszustatten, dass mit dem vorhandenen Personal, die dem Patienten versprochene Leistung auch erbracht werden konnte. Das Landesarbeitsgericht Baden Württemberg [9] hat dem Krankenhausträger aufgegeben, die zur Erfüllung der Dienstaufgaben eines Chefarztes notwendige Personalausstattung auch zu stellen und sah den betroffenen Chefarzt als berechtigt an, dass Arbeitsverhältnis außerordentlich zu kündigen, als der Krankenhausträger seine Verpflichtungen nicht erfüllte. Auch hier gilt aber, dass das Mittel der Wahl nicht der Rückzug aus der fach- und sachgerechten Patientenversorgung sein kann, sondern dass eine adäquate Ausstattung in räumlich-apparativer wie personeller Ausstattung zu den Pflichten des Krankenhausträgers gehört. Was ist mit angeblichen oder wirklichen wirtschaftlichen Zwängen? Im Spannungsverhältnis zwischen Wirtschaftlichkeitserwägungen und Sorgfaltspflichten räumt die Rechtsprechung im Zivil- und Strafrecht nach wie vor den Sorgfaltspflichten Vorrang ein. Anhand der wenigen mitgeteilten Daten ist eine konkrete rechtliche Würdigung des Sachverhaltes nicht möglich. Letztlich muss unter Berücksichtigung der dargestellten fachlichen und rechtlichen Grundsätze jedes Krankenhaus, aber auch jede Fachabteilung selbstständig prüfen, ob die vorhandene Infrastruktur in räumlich-apparativer wie personeller Hinsicht ausreicht, um die Patientenversorgung standardgerecht sicherzustellen. Weiterführende Literatur:
Autoren:
PD Dr. med. T. Birkholz, Anästhesiologische Klinik, Universitätsklinikum Erlangen
Dr. iur. E. Biermann, Berufsverband Deutscher Anästhesisten, Nürnberg Prof. Dr. med. A. Schleppers, Berufsverband Deutscher Anästhesisten, Nürnberg
Dipl.-Sozialw. T. Rhaiem, Berufsverband Deutscher Anästhesisten, Nürnberg
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