Fall des Monats Februar 2017 |
21.03.2017 |
CIRSmedical Anästhesiologie - Berichten und Lernen
Versehentliche Anlage eines PDK trotz ausdrücklicher Ablehnung durch die Eltern des Patienten
Der Fall:(Aus Gründen der Anonymität wird im Folgenden bei Personen stets die männliche Bezeichnung verwendet.)
Versehentliche Anlage eines PDK trotz ausdrücklicher Ablehnung durch die Eltern des Patienten
Zuständiges Fachgebiet:
Anästhesiologie
Wo ist das Ereignis eingetreten?Krankenhaus – OPTag des berichteten Ereignisses:WochentagVersorgungsart:RoutinebetriebASA-Klassifizierung:ASA IIWichtige Begleitumstände:Komplexe orthopädische Operation an der unteren Extremität beim Kind.Fallbeschreibung:
Ausführliche Aufklärung der Eltern über Narkose in der Sprechstunde. Im Rahmen der Aufklärung wird den Eltern zur Schmerztherapie eine lumbale Periduralanästhesie angeboten. Dies wird von den Eltern ausdrücklich aufgrund negativer Erfahrungen in der Familie abgelehnt. Diese Tatsache wird ausführlich auf dem Aufklärungsbogen dokumentiert. Der aufklärende Anästhesist vertut sich aber und kreuzt, aus Versehen, auf dem Narkoseprotokoll PDK ein.
Die elektive OP erfolgt zwei Wochen später. Bei der Übernahme in den OP wird die WHO-Checkliste von der Pflegekraft durchgeführt. Hierbei werden alle Unterschriften auf den Aufklärungsbögen kontrolliert, Zeit der Nüchternheit, Allergien usw. abgefragt. Der durchführende Anästhesist kontrolliert noch einmal das Narkoseprotokoll und leitet problemlos die Vollnarkose ein. Anschließend wird das Kind für eine PDK-Anlage auf die Seite gelagert. Der durchführende Anästhesist bittet einen Oberarzt um Hilfe. Es erfolgt zunächst eine problemlose PDK-Anlage. Erst postoperativ wird festgestellt, dass eine ausdrückliche Ablehnung zur PDK der Eltern vorliegt. Diese Tatsache wird mit den Eltern unmittelbar postoperativ besprochen und anschließend wird der PD-Katheter für zwei Tage zur Schmerztherapie benutzt. Nach zwei Tagen wurde der PDK entfernt und 24 Stunden später ein Neuro-Check durchgeführt. Es traten keine Komplikationen auf. Häufigkeit des Ereignisses?nur dieses malWer berichtet?Ärztin/ArztBerufserfahrung:über 5 JahreDie Analyse aus Sicht des AnästhesistenMittlerweile ist es in Zeiten der Prozessoptimierung und Prämedikationsambulanzen fast eine Seltenheit geworden, dass der prämedizierende Anästhesist auch die Narkose durchführt. Rechtlich gesehen gilt der sogenannte Vertrauensgrundsatz, d.h. wir dürfen uns auf die ordnungsgemäße Durchführung der Prämedikation verlassen, so lange der Anästhesist die entsprechende fachliche Qualifikation hat. Gleichzeitig gilt aber auch, dass viele medizinische Handlungen ohne Einwilligung der Patienten/ Erziehungsberechtigten/ Betreuer Körperverletzungen sind. In der Verantwortung ist hierbei nicht nur der aufklärende Kollege, sondern auch derjenige, der die Maßnahme durchführt. Deshalb muss letzterer immer die individualisierte Aufklärung sorgfältig lesen und darf sich nicht ausschließlich auf die Angaben auf dem Anästhesieprotokoll verlassen. Besonders wichtig ist dies, wenn auf Grund der medikamentösen Prämedikation oder auf Grund von Patientenfaktoren (Erkrankung mit Intelligenz- oder Vigilanzstörung, Alter, etc.) eine sinnvolle Kommunikation mit dem Patienten nicht (mehr) möglich ist.Bei dem im Fall versehentlich gelegten PDK handelte es sich wahrscheinlich um das übliche Standardverfahren für den geplanten Eingriff. Gerade standardisierte Prozesse bergen die Gefahr, dass sie nicht mehr hinterfragt werden. Interessanterweise erfolgte dies in dem Fall gleich mehrfach: Durch die Pflegekraft, den Assistenzarzt sowie durch den hinzugerufenen Oberarzt. In der Analyse aus Sicht des Juristen wird auf die Verantwortlichkeit der beteiligten Ärzte näher eingegangen, denn das Hinzuziehen eines Kollegen bei technischen Problemen oder zur Ausbildung ist eine täglich häufig wiederkehrende Situation. Das Überprüfen der Einwilligung durch den Hinzugerufenen aber unüblich. Der Fall verdeutlicht aber auch noch ein weiteres Problem: Es wird erwähnt, dass die Pflegekraft im Vorfeld die WHO-Checkliste durchgeht. Vor der allgemeinen Einführung dieser Checkliste war es üblich, dass sich der Anästhesist persönlich um die Überprüfung wichtiger Items kümmerte (z.B. vorbestehende Antikoagulation, Laborparameter, Durchsicht während der Prämedikation angeordneter zusätzlicher Untersuchungen/ Tests, etc.). Es ist zu beobachten, dass das bereits durchgeführte (und dokumentierte) Überprüfen eine vermeintliche Sicherheit und gewisse Nachlässigkeit erzeugt. Neben den Aspekten der nicht-vorhandenen Aufklärung ist der Fall auch Anlass über das Vorgehen nachzudenken, dass gewählt werden sollte, wenn das Kind bereits in den Brunnen gefallen ist. Aus Sicht der Außenstehenden handelte es sich um einen Fall von grober Fahrlässigkeit. In der Regel greifen die Leistungen von Haftpflichtversicherungen auch hier. Eine wichtige Voraussetzung ist allerdings, dass der Versicherer unverzüglich von dem Ereignis in Kenntnis gesetzt wird. Der zweite Aspekt ist die Planung des Gespräches mit den Betroffenen – in dem Fall den Eltern. Nur die wenigsten haben hierzu eine Ausbildung erhalten und (hoffentlich) nur geringe Erfahrung mit solchen Gesprächen. Grundsätzlich empfiehlt es sich, dass sich die Krankenhausleitung hierüber Gedanken macht und die Mitarbeiter entsprechend schult. Unabhängig davon sind im Folgenden ein paar allgemeine Gedanken und Tipps ohne Anspruch auf Vollständigkeit aufgeführt, die unter Umständen hilfreich sein können (ausführliche Hinweise siehe [1]):
Die Analyse aus Sicht des JuristenDie Falldarstellung betrifft die – auch rechtspraktisch – bedeutsame Schnittstelle zwischen der präoperativen Patientenbehandlung und dem späteren „Ansetzen“ zur Aufnahme operativer Behandlung - hier unter anästhesiologischen Aspekten. Dabei geht es nicht nur um den Aspekt, dass bei einem Kind entgegen der Einwilligungserklärung seiner Eltern eine PDK-Anlage erfolgte. Tatsächlich steht weitergehend das Problem einer adäquaten und insbesondere umfassenden Berücksichtigung der dokumentierten präoperativen Behandlung durch den operativ anästhesieführenden Arzt in Rede.So war angeblich die Ablehnung der Anlage eines PDK doch „ausführlich auf dem Aufklärungsbogen dokumentiert“. Nur die durchzuführende Maßnahme wurde präoperativ falsch „angekreuzt“. Allerdings soll der durchführende Anästhesist lediglich „noch einmal das Narkoseprotokoll (kontrolliert)“ haben. Infolgedessen ist ihm die Aufklärungs- und Einwilligungsdokumentation offenbar entgangen. Zur Abarbeitung der WHO-Checkliste wurde von einer Pflegekraft geprüft, ob „alle Unterschriften auf den Aufklärungsbögen“ vorhanden sind. Dies bildet als eine Prüfungsmaßnahme (lediglich) zur Vollständigkeit der Aufklärungs- und Einwilligungsdokumentation eine geeignete organisatorische Vorgabe. Wie gerade vorliegender Fall belegt, ist dergestalt allerdings nicht gewährleistet, dass schließlich eine Eingriffsdurchführung gemäß dem tatsächlichen Patientenwillen erfolgt. Zudem: Forensisch beweist das Vorhandensein einer „Unterschrift“ auf dem Einwilligungsformular nicht notwendigerweise, dass diese aus einem adäquaten Aufklärungsgespräch resultierte; ist die schriftliche Einwilligungserklärung mit vorgefertigten aufklärenden Informationen zur Eingriffsdurchführung verbunden, belegt dies nicht notwendigerweise, dass ein Aufklärungsgespräch mit entsprechendem Inhalt stattgefunden hat. Und (ohne die Falldarstellung angesichts ihrer Knappheit insoweit überstrapazieren zu wollen): Hat sich lediglich die Pflegekraft zum aktuellen Befundbild des Kindes („Zeit der Nüchternheit“) informiert? Hat sich (auch) der Anästhesist zu etwaigen „Allergien usw.“ kundig gemacht? Beinhaltete das so bezeichnete „Narkoseprotokoll“ tatsächlich auch umfänglich die Prämedikationsdokumentation (mit eventuellen Anordnungen zu weiteren präoperativen Befunderhebungen, etwaigen Hinweisen auf „Besonderheiten“ und eventuell einer „Cave“-Spezifikation)? Dem anästhesieführenden Arzt obliegt es, unmittelbar präoperativ zu überprüfen, ob die beabsichtigte Behandlung tatsächlich „starten“ kann. Mit der folgenden anästhesiologischen Behandlung greift er in die körperliche Integrität des Patienten ein. Dafür bedarf er dessen rechtfertigender Einwilligung auf der Grundlage insoweit adäquater Aufklärung. Hier war offensichtlich eine gehörige Aufklärung der Eltern des Kindes erfolgt, woraufhin diese die Einwilligung zur Anlage eines PDK explizit verweigert hatten. Mithin erfolgte diese Behandlungsmaßnahme rechtswidrig. Bei rechtswidriger Eingriffsdurchführung kann eine – grundsätzlich eingreifende – Haftung des „behandelnden Arztes“ entfallen, wenn ihn kein „Verschulden“ trifft. Dafür ist Voraussetzung, dass sein „Irrtum“ zur Wirksamkeit der Einwilligung nicht auf Fahrlässigkeit beruht. Solche wird bei einer Übertragung der Aufklärung auf einen anderen Arzt – wie hier – „nur dann zu verneinen sein, wenn der nicht selbst aufklärende Arzt durch geeignete organisatorische Maßnahmen und Kontrollen sichergestellt hat, dass eine ordnungsgemäße Aufklärung durch den damit betrauten Arzt gewährleistet ist“, wie der BGH in einem Urteil vom 7. November 2006 formuliert hat (Az: VI ZR 206/05). Der angesprochene Organisationsaspekt betrifft eher die Chefarztfunktion; „zu den Pflichten eines Chefarztes gehört es nämlich, für eine ordnungsgemäße Aufklärung der Patienten seiner Klinik zu sorgen“ (BGH, a.a.O.). Unbeschadet dessen obliegt auch jedenfalls dem den Eingriff durchführenden Arzt, dass „er sich etwa in einem Gespräch mit dem Patienten (hier: den Eltern des Kindes) über dessen ordnungsgemäße Aufklärung und/oder durch einen Blick in die Krankenakte vom Vorhandensein einer von Patient und aufklärendem Arzt unterzeichneten Einverständniserklärung vergewissert hat, dass eine für einen medizinischen Laien verständliche Aufklärung unter Hinweis auf die spezifischen Risiken des vorgesehenen Eingriffs erfolgt ist“ (BGH, a.a.O.). Bei Aufklärungs- bzw. Einwilligungsmängeln droht eine Haftung – nicht nur der Klinik, sondern - sowohl von aufklärendem als auch von behandelndem Arzt im Hinblick auf aus der rechtswidrigen Eingriffsdurchführung resultierende körperliche Beeinträchtigungen des Patienten samt eventueller Folgeschäden. Vorliegend dürfte gegen den zwischenzeitlich punktuell hinzugetretenen Oberarzt kein Vorwurf zu erheben sein. Denn diesem oblag – laut Falldarstellung – lediglich punktuell eine technische Hilfestellung, nicht jedoch die unmittelbar laufende (und dabei anleitende) Beaufsichtigung des anästhesieführenden Arztes (zur Mitverantwortung eines Oberarztes, der einem Assistenzarzt bei dessen chirurgischer Behandlung des Patienten „assistierte“, vgl. OLG Karlsruhe, VersR 1998, 718). Realisiert sich ein planwidriger bzw. komplikativer Behandlungsverlauf, wie vorliegend, eventuell auch mit – über die invasive Behandlung als solche hinaus – Schädigung des Patienten, bedarf es der adäquaten Reaktion, was im Ausgangspunkt auch eine adäquate Kommunikation mit der Patientenseite (Patient, Angehörige) anlangt. Insofern ist auf die in rechtspraktischen Zusammenhängen ausgeführten Empfehlungen in der Publikation „Der juristische Notfallkoffer®“ Bezug zu nehmen (Anästh. Intensivmed. 2013, 54:585 bis 599; vgl. dazu auch die Publikation auf der Homepage des BDA). Weiterführende Literatur:
Autoren:
Prof. Dr. med. M. Hübler, Klinik für Anästhesiologie, Universitätsklinik Carl Gustav Carus, Dresden
Rechtsanwalt R.-W. Bock, Ulsenheimer – Friederich Rechtsanwälte, Berlin Prof. Dr. med. A. Schleppers, Berufsverband Deutscher Anästhesisten, Nürnberg
Dipl.-Sozialw. T. Rhaiem, Berufsverband Deutscher Anästhesisten, Nürnberg
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