Fall des Monats August 2017 |
17.08.2017 |
CIRSmedical Anästhesiologie - Berichten und Lernen
Probleme mit dem Standort der neuen Neugeborenen-Reanimationseinheit
Der Fall:(Aus Gründen der Anonymität wird im Folgenden bei Personen stets die männliche Bezeichnung verwendet.)
Probleme mit dem Standort der neuen neuen Neugeborenen-Reanimationseinheit
Zuständiges Fachgebiet:
Anästhesiologie
Wo ist das Ereignis eingetreten?Krankenhaus – OPTag des berichteten Ereignisses:Wochenende/FeiertagVersorgungsart:NotfallWichtige Begleitumstände:- Es wurde ein neuer Standort für die Neugeborenen-Reanimationseinheit festgelegt. Diese war früher im Vorraum zum Sectio-OP und befindet sich jetzt innerhalb des Sectio-OP.Was ist passiert?
Im Rahmen einer Sectio wird das Neugeborene reanimationspflichtig. Die Reanimationseinheit ist nicht von allen Seiten zugänglich, und es ist nur für eine Person Platz zum Arbeiten. Es gibt keine Ablagemöglichkeit für den Reanimations-Koffer, er musste auf dem Boden geöffnet werden. Es herrschte ein hoher Geräuschpegel (OP-Sauger und Gespräche), sodass es Schwierigkeiten bei der Auskultation und der Kommunikation während der Reanimation gab. Trotz Wärmestrahler und -bett kam es aufgrund der Zugluft der Klimaanlage im OP zu einem Auskühlen des Neugeborenen. Die erforderliche Übernahme durch die Kinderklinik erfolgte während laufender OP ohne vorheriges Umkleiden.
Was war besonders gut?- Die erfolgreiche Reanimation.Wo sehen Sie die Gründe für dieses Ereignis und wie hätte es vermieden werden können?- Es sollte ein anderer Standort für die Neugeborenen-Reanimationseinheit gewählt werden.Häufigkeit des Ereignisses?nicht anwendbarWer berichtet?Arzt / Ärztin, Psychotherapeut/inDie Analyse aus Sicht des AnästhesistenDie klinische Relevanz der abgegebenen Meldung ist für den Leser selbsterklärend. Aus Gründen, die in dem CIRS-Bericht nicht näher erläutert werden, wird der Neugeborenen-Reanimationseinheit ein neuer Platz innerhalb des Sectio-OPs zugeordnet, ohne dass vorab mit den handelnden Personen geklärt wurde, ob auch unter diesen neuen Rahmenbedingungen sichereres Arbeiten möglich ist. Der geschilderte Vorfall zeigt, dass die Arbeitsbedingungen in ihrer neuen Ausprägung einer Modifikation bedürfen. Wie diese tatsächlich aussehen sollte, kann nur vor Ort von den Beteiligten entschieden werden. Hierzu ist es erforderlich, dass alle Fachabteilungen bei dem Modifikationsprozess beteiligt werden (Gynäkologie, Anästhesie, Hebammen, Kinderärzte). Federführend/koordinierend sollte die Abteilung für Gynäkologie und Geburtshilfe sein. Da sich diese Erkenntnis erst nach der Versorgung eines realen Patienten unter erschwerten Bedingungen ergeben hat, stellt sich die Frage, ob es nicht Möglichkeiten gibt, fehlergenerierende Bedingungen bereits im Vorfeld zu identifizieren, bevor Änderungen bei der Versorgung eines Patienten wirksam werden. Eine solche Herangehensweise setzt zwei Bedingungen voraus:1. Es muss ein Problembewusstsein dafür existieren, dass auch vermeintlich geringe Veränderungen wie die Neupositionierung eines ansonsten gleich belassenen NG-Reanimationstisches („Lasst uns die Reanimationseinheit doch einmal von X nach Y verschieben!“) relevante Auswirkungen auf Versorgungsprozesse haben kann. Nur im Bewusstsein möglicher neu geschaffener Probleme wird man nach Möglichkeiten suchen, die Veränderung einem „Probelauf“ zu unterziehen. 2. Für dieses Probehandeln und für die daraus resultierende Detektion von neuen Schwachstellen im System existiert seit einigen Jahren die Möglichkeit einer „in situ“-Simulation [1, 2, 3, 4]. Darunter versteht man die Durchführung einer Patientensimulation (hier: mit Hilfe eines Neugeborenen- bzw. Säuglingsmannekins) direkt am klinischen Einsatzort und nicht in den Räumlichkeiten eines Simulationszentrums fernab der klinischen Versorgung. Viele der neueren Simulatoren kommen ohne Versorgungsleitungen für Strom, Gas und Steuerung aus, sodass ein solcher Einsatz problemlos möglich geworden ist. Für den vorliegenden Fall ist dabei keinesfalls ein high-fidelity Mannekin notwendig; bereits ein einfaches Neugeborenenreanimationsmannekin erlaubt es dem behandelnden Team, alle wesentlichen Therapieschritte zu simulieren. Mit Hilfe einer simulierten Neugeborenenreanimation lassen sich strukturelle Defizite (z.B. beschränkte Zugangsmöglichkeiten zum Kind, fehlender Ablageplatz für Reanimationskoffer) bereits im Vorfeld identifizieren. Andere Probleme (hoher Geräuschpegel), die sich durch die im gleichen Raum stattfindende Sectio-OP ergeben, wären dabei jedoch vermutlich nicht erkannt worden. Der Arbeitsaufwand für eine Testung durch „in-situ“-Simulation ist überschaubar; die dabei gewonnene Information unter Umständen jedoch erheblich. Die vorliegende Meldung kann somit den Leser dazu anregen, auch in seiner eigenen Abteilung bzw. Klinik nach Veränderungen Ausschau zu halten, deren mögliche Auswirkungen sich im Vorfeld durch eine in-situ-Simulation erfassen lassen. Weiterführende Literatur:
Autoren:
Dr. med. M. St.Pierre, Anästhesiologische Klinik, Universitätsklinikum Erlangen
Prof. Dr. med. M. Hübler, Klinik für Anästhesiologie, Universitätsklinik Carl Gustav Carus, Dresden Prof. Dr. med. A. Schleppers, Berufsverband Deutscher Anästhesisten, Nürnberg
Dipl.-Sozialw. T. Rhaiem, Berufsverband Deutscher Anästhesisten, Nürnberg
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