Fall des Monats Oktober 2017 |
01.12.2017 |
CIRSmedical Anästhesiologie - Berichten und Lernen
Bei einem konventionell nicht zu intubierenden Patienten kommt es nach Extubation zu einer Atemwegsverlegung und einem hypoxischen Herzkreislaufstillstand
Der Fall:(Aus Gründen der Anonymität wird im Folgenden bei Personen stets die männliche Bezeichnung verwendet.)
Bei einem konventionell nicht zu intubierenden Patienten kommt es nach Extubation zu einer Atemwegsverlegung und einem hypoxischen Herzkreislaufstillstand
Zuständiges Fachgebiet:
Anästhesiologie
Wo ist das Ereignis eingetreten?Krankenhaus – ITS / IMCTag des berichteten Ereignisses:Wochenende/FeiertagVersorgungsart:NotfallASA-Klassifizierung:ASA IIIPatientenzustand:Patient katecholaminpflichtig, kurz zuvor extubiertWichtige Begleitumstände:Z.n. dorsaler Spondylodese im HWS-BereichFallbeschreibung:
Der Patient hatte die oben genannte OP in Concorde-Lagerung erhalten. Die Intubation zur OP war fiberoptisch wach in Rücksprache mit der operativen Abteilung erfolgt. Am OP-Ende wurde der Patient intubiert auf die Intensivstation gelegt. Auf der aufnehmenden Intensivstation hat kein Anästhesist regelhaft Dienst, es sind nur operativ tätige Kollegen im Dienstteam. Am nächsten Morgen wurde der Patient dort bei fehlender Tubustoleranz und wohl negativem Cuff-Leak-Test extubiert. Neben der Tatsache dass kein Anästhesist über die Extubation informiert war, geschah dies zudem auch noch an einem Feiertag mit entsprechender Dienstbesetzung. Bereits kurz nach Extubation kam es zu einem Stridor mit beginnender Atemwegsverlegung bei dem Patienten. Zu diesem Zeitpunkt erfolgte neben der Gabe von abschwellenden Medikamenten die erstmalige Info an den diensthabenden Facharzt für Anästhesie mit der Bitte, sich den Patienten anzuschauen. In diesem Anruf kam allerdings nicht die eigentlich vorhandene Dringlichkeit zur Sprache. Bereits wenige Minuten später erfolgte ein zweiter Anruf in dem die Dringlichkeit erstmals kommuniziert wurde. Zu diesem Zeitpunkt befand sich der diensthabende Anästhesiefacharzt bereits fast auf der entsprechenden Intensivstation. Bei Eintreffen war der Patient hypoxisch mit einer nicht messbaren peripheren Sättigung und einer Bradykardie, welche kurz danach in einen agonalen Rhythmus überging. Sowohl das operative ärztliche Personal als auch das pflegerische Personal versuchten derweil den Patienten mit Hilfe einer assistierten Maskenbeatmung zu oxygenieren. Der eintreffende Facharzt für Anästhesie ordnete den direkten Beginn der Reanimation an und übernahm die Oxygenierungsversuche. Zu diesem Zeitpunkt war weder Material für eine konventionelle Reintubation noch für einen schwierigen Atemweg gerichtet. Der Anästhesist übernahm die Maskenbeatmung. Diese blieb insuffizient, da sich viel Sekret im Rachen des Patienten befand, welches sich nur schwer bergen lies. Der Versuch einer konventionellen Intubation misslang aufgrund der fehlenden Reklinationsmöglichkeit bei Z.n. dorsaler Spondylodese. Bei eingeschränktem Equipment (keine Fiberoptik), persistierender Hypoxie und eingeschränkter Reklination mit Schwellung im Orophyryngbereich wurde die Indikation zur Koniotomie gestellt und der Dienstarzt der HNO alarmiert. Aufgrund der fehlenden Reklination und der Halsschwellung war eine Punktion mittels Koniotomieset nicht erfolgreich, so dass eine operative Koniotomie durch den Dienstarzt der HNO erfolgte. Damit konnte eine ausreichende Oxygenierung des Patienten und ein ROSC erreicht werden. Im Anschluss erfolgte die Umwandlung der Koniotomie in eine plastische Tracheotomie.
Was war besonders gut?- Frühzeitige Indikation zur Koniotomie bei nicht möglicher konventioneller Atemwegsicherung.- Schnelle Anwesenheit des Dienstarztes für HNO nach Alarmierung. Was war besonders ungünstig?- Extubation des Patienten ohne Materialvorbereitung zur Reintubation bei vorbekanntem schwierigem Atemweg.- Fehlende Info an Anästhesie über geplante Extubation und mangelnde Infos an Anästhesie bei erstem Anruf. Eigener Ratschlag (Take-Home-Message):- Extubation eines Patienten mit vorbekanntem schwierigem Atemweg nur nach Materialvorbereitung und Info an entsprechenden Facharzt.- Klare Kommunikation der klinischen Problematik, um Zeitverzögerung zu vermeiden. Häufigkeit des Ereignisses:seltenWer berichtet?Arzt / ÄrztinBerufserfahrung:über 5 JahreDie Analyse aus Sicht des AnästhesistenDer Fall ist sehr ausführlich und plastisch geschildert, so dass der Leser sich sehr gut in die Position der Beteiligten hineinversetzen kann. Man muss dem Melder dankbar sein, dass er diesen Fall so ausführlich eingegeben hat. Seine Schlussfolgerungen sind ohne Frage richtig. Der Fall wurde von uns zum Fall des Monats gewählt, weil wir denken, dass sich Vergleichbares auch auf anderen Intensivstationen ereignen kann.Medizinisch handelt es sich um einen klassischen Fall eines (fast) missglückten „Difficult Airway Maneuver“ (DAM): Can’t ventilate/ Can’t intubate. Weder eine konventionelle Intubation noch eine suffiziente Beatmung über eine Maske waren initial erfolgreich. Wenn es in dieser Situation zur Hypoxämie mit nachfolgendem Kreislaufstillstand kommt, so sind beim Erwachsenen alle internen Sauerstoffspeicher aufgebraucht. Dies betrifft vor allem das Gehirn, so dass in den meisten Fällen selbst bei nachfolgend erfolgreicher Reanimation das neurologische Outcome der Patienten fatal ist. Hierrüber wird im vorliegenden Fall nicht berichtet. Die besondere Wichtigkeit dieses Falles und die Notwendigkeit, diese negative Eskalation so weit wie möglich zu vermeiden, ergibt sich aus der großen Gefahr neurologischer Schäden für den betroffenen Patienten. Intubationen im OP-Saal finden unter optimalen Bedingungen statt. Auf Intensivstationen sieht dies anders aus. Die Patienten sind oft aspirationsgefährdet, die Lagerung ist meist schwieriger und das Team ist häufig nicht eingespielt, so dass die einzelnen Arbeitsschritte nicht automatisch ablaufen, sondern angesagt werden müssen. Hinzu kommen nicht selten Zeitdruck und die Vorerkrankungen der Patienten. Diese haben oft anatomische Veränderungen, die die Intubation erschweren, und die Apnoetoleranz einschränken. Zusätzlich ist ein schwieriger Atemweg oft der Grund gewesen, weshalb der Patient auf eine Intensivstation verlegt wurde. Dies alles führt dazu, dass schwierige Intubationen auf Intensivstationen viel häufiger sind als im OP-Saal [1]. Das Outcome für den Patienten kann fatal sein und ein Eskalationsalgorithmus ist in einer solchen Situation eine wichtige Gedankenstütze. Alle anästhesiologischen Fachgesellschaften haben inzwischen Empfehlungen für einen Algorithmus "Schwieriger Atemweg" veröffentlicht. Die intensivmedizinischen Fachgesellschaften sind hier noch im Zugzwang. Eine Adaptierung ist unbedingt erforderlich, denn die von den Anästhesiegesellschaften empfohlene wach-fiberoptische Intubation bei einem anzunehmenden schwierigen Atemweg ist nicht immer eine Option. Sinnvoll wäre sogar die Erstellung einer eigenen Extubationsleitlinie für Intensivstationen. Wie so oft, war es nicht (nur) eine einzelne fehlerhafte Handlung, sondern die Summation vieler vermeidbarer Probleme. Im Folgenden seien die wichtigsten Aspekte herausgegriffen, bei denen am dringlichsten Handlungsbedarf besteht:
Jede Intensivstation benötigt einen Notfallwagen „Airway“ (oder etwas Vergleichbares) mit einer Ausrüstung für die schwierige Intubation. Neben einem Laryngoskop mit verschieden großen Spateln und einem Tubussortiment gilt als Mindeststandard ein Sortiment verschiedener alternativer Luftwege (z.B. Larynxtubus in verschiedenen Größen), ein Videolaryngoskop, eine Fiberoptik, Cook-Stäbe, ein Notkoniotomieset und das medizinische Kleinmaterial.
Es gibt Sets für eine transtracheale Oxygenierung, mit denen auch (sehr eingeschränkt) beatmet werden kann. So wird zumindest Zeit für die chirurgische Tracheotomie gewonnen. Wenn ein solches Set nicht zur Verfügung steht, so kann man immer noch eine dicke Venenverweilkanüle in die Trachea transkutan einführen, eine 10 ml Spritze ohne Stempel aufsetzen, in die offene Spritze den vorbereiteten Endotrachealtubus schieben, blocken und mit dem Beatmungsbeutel vorsichtig Sauerstoff in die Trachea insufflieren. Entscheidend ist, dass der Patient auf diese Weise Sauerstoff zugeführt bekommt und eine apnoische Oxygenierung durchaus in der Lage ist, eine Sättigung zwischen 70 und 80 % zu halten.
Erschwerend zu diesen erwähnten Aspekten kam noch der Umstand, dass das Ereignis nicht an einem Regelarbeitstag mit optimaler personeller Besetzung stattfand. Aber das war nur ein weiterer Faktor, der vielleicht noch am wenigsten vermeidbar war. Zusammenfassend handelte es sich um ein dramatisches Ereignis, das schonungslos zahlreiche Schwachstellen aufdeckte. Die organisatorisch Verantwortlichen (i.d.R. Chefarzt/Oberarzt der Intensivstation) sind in der Verantwortung, eine mögliche Wiederholung weniger wahrscheinlich zu machen. Die Analyse aus Sicht des JuristenNach § 630a Abs. 2 BGB hat die Behandlung des Patienten nach den zum Zeitpunkt der Behandlung bestehenden, allgemein anerkannten fachlichen Standards zu erfolgen. Es obliegt, soweit nicht ausnahmsweise gesetzliche Regelungen hierzu vorliegen, den Fachgebieten, die Standards zu definieren. Gemeint sind nicht nur Behandlungsstandards im engeren Sinn, sondern auch etwa Empfehlungen zur räumlich-apparativen und personellen Ausstattung der ärztlichen Arbeitsplätze.Zu Struktur und Ausstattung von Intensivstationen hat sich die Deutsche interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) mit einer Empfehlung vom 30.11.2010 geäußert. Zur zwingend erforderlichen Grundstrukturen und Grundausstattung gehört danach u.a. das Instrumentarium zum Atemwegsmanagement (Laryngoskop, Tuben, alternativer Atemweg, chirurgischer Atemweg …, Beatmungsbeutel). Diese Geräte müssen auf der Intensivstation einsatzbereit vorhanden sein, so die Empfehlungen der DIVI (S. 30). Wie der Hinweis auf § 630a Abs. 2 BGB zeigt, handelt es sich bei diesen Empfehlungen – erst Recht gilt dies für Leitlinien – der Fachgebiete nicht um „unverbindliche Vorschläge“, sondern um die Definition des jeweiligen Standards, hier bezogen auf die apparative Ausstattung. Wer Intensivstationen einrichtet und betreibt, hat dieses standardgerecht zu tun und muss sich also an den Sorgfaltspflichten des respektive der Fachgebiete orientieren. Wer von den Personal- und Strukturempfehlungen der Fachgebiete abweicht, wird sich spätestens nach einem Zwischenfall vor Gericht rechtfertigen müssen, wie er trotz der Abweichung von den fachlichen Standards eine sichere Patientenversorgung gewährleistet hat. Entspricht die personelle und räumlich-apparative Ausstattung nicht den Vorgaben des Fachgebietes, werden sich insbesondere nach einem Zwischenfall die Verantwortlichen des Krankenhauses wie aber auch die für die Organisation der Fachabteilung zuständigen leitenden Ärzte dem Vorwurf eines Organisationsverschuldens ausgesetzt sehen. Die Rechtsprechung stellt in den Bereichen, in denen organisatorisch für die Patientensicherheit vorgesorgt werden könnte, hohe Anforderungen an die Sorgfaltspflichten. Sorgfaltsmängel im organisatorischen Bereich, also auch bezüglich der apparativen Ausstattung, stellen Behandlungsfehler dar und können zum Vorwurf eines groben Behandlungsfehlers führen. Von einem groben Behandlungsfehler spricht die Rechtsprechung, wenn ein eindeutiger Verstoß gegen bewährte medizinische Behandlungsregeln oder gesicherte medizinische Erkenntnisse vorliegt, der aus objektiver Sicht nicht mehr verständlich erscheint, weil solche Sorgfaltspflichtverstöße schlechterdings nicht unterlaufen dürfen [3]. Natürlich führen nicht nur schwere Mängel im räumlichen-apparativen, also organisatorischen Bereich zur Annahme eines groben Behandlungsfehlers. Auch Verstöße gegen elementare Regeln des Fachgebietes bei Diagnostik und Therapie können als grober Behandlungsfehler gewertet werden. Ein grober Behandlungsfehler verschiebt die an sich den Patienten treffende Beweislast zulasten von Ärzten und Krankenhausträgern. Beweislast tragen heißt, den (prozessrechtlichen) Nachteil davon zu tragen, dass eine entscheidungserhebliche Tatsache nicht erwiesen werden kann. Bleibt etwa unklar, ob ein Ausstattungsmangel oder ein sonstiger Sorgfaltspflichtverstoß ursächlich für den beim Patienten eingetretenen Schaden war, dann verliert derjenige den zivilrechtlichen Haftungsprozess, der die Beweislast trägt. Im Strafverfahren gibt es allerdings keine Verschiebung der Beweislast zum Nachteil des Beschuldigten/Angeklagten. Auch mehrere „kleinere“, für sich genommen nicht grobe Behandlungsfehler können im Ergebnis dazu führen, dass die Rechtsprechung von einem groben Behandlungsfehler ausgeht. Insbesondere die Kombination von fachlich nicht vertretbarem Verhalten (in der anästhesiologischen Analyse wird die vorzeitige Extubation bei schwierigem Atemweg als problematisch bezeichnet) in Kombination mit mangelhafter Ausstattung der Station kann dazu führen, dass Gutachter und ihnen folgend Gerichte darin einen aus objektiver Sicht nicht mehr verständlichen Verstoß gegen bewährte medizinische Regeln/gesicherte medizinische Erkenntnis mit den gerade geschilderten Konsequenzen sehen. Weiterführende Literatur:
Autoren:
Prof. Dr. med. W. Heinrichs, AQAI GmbH, Mainz
Prof. Dr. med. M. Hübler, Klinik für Anästhesiologie, Universitätsklinik Carl Gustav Carus, Dresden Dr. iur. E. Biermann, Berufsverband Deutscher Anästhesisten, Nürnberg Prof. Dr. med. A. Schleppers, Berufsverband Deutscher Anästhesisten, Nürnberg
Dipl.-Sozialw. T. Rhaiem, Berufsverband Deutscher Anästhesisten, Nürnberg
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