Fall des Monats April 2018 |
05.07.2018 |
CIRSmedical Anästhesiologie - Berichten und Lernen
Eine Anästhesistin wird zu Beginn ihrer Schwangerschaft in der Endphase einer HIPEC-OP eingesetzt
Der Fall:(Aus Gründen der Anonymität wird im Folgenden bei Personen stets die männliche Bezeichnung verwendet.)
Eine Anästhesistin wird zu Beginn ihrer Schwangerschaft in der Endphase einer HIPEC-OP eingesetzt
Zuständiges Fachgebiet:
Anästhesiologie
Wo ist das Ereignis eingetreten?Krankenhaus – OPTag des berichteten Ereignisses:WochentagVersorgungsart:RoutinebetriebPatientenzustand:In NarkoseFallbeschreibung:
Eine Anästhesistin, die nur vermutete aber noch nicht genau wusste, ob sie schwanger ist, wird in der Endphase einer HIPEC-OP eingesetzt. Gerade in der Endphase nach Bauchdeckenverschluss werden Zytostatika eingesetzt.
Was war besonders ungünstig?Eine Anästhesistin ohne abgeschlossene Familienplanung wird in der Zytostasephase bei einer HIPEC-OP eingesetzt. Wenige Tage danach wird eine Schwangerschaft festgestellt.Eigener Ratschlag (Take-Home-Message)?Bei HIPEC-OPs in der Zytostasephase Einsatz nur von Mitarbeiter/Innen mit abgeschlossener Familienplanung.Häufigkeit des Ereignisses?nicht anwendbarWer berichtet?Arzt / Ärztin, Psychotherapeut/inDie Analyse aus Sicht des AnästhesistenDie HIPEC-Therapie (hypertherme intraperitoneale Chemoperfusion) wird in den letzten Jahren zunehmend bei Patienten mit Peritonealkarzinose durchgeführt. Normalerweise wird sie unmittelbar nach der chirurgischen Entfernung der sichtbaren Tumormassen in der gleichen OP-Sitzung durchgeführt. Man versucht auf diesem Weg den chirurgischen Therapieansatz mit Hilfe von Zytostatika und Hyperthermie zu verbessern.Es gibt offene, geschlossene und halboffene Verfahren. Beim offenen Verfahren greift der Chirurg mit behandschuhten Händen intraoperativ in die offene Peritonealhöhle des Patienten hinein und verteilt manuell und kontinuierlich die auf 41 - 43 ° C erwärmte Zytostatika-Spüllösung, die über Zu- und Ablaufschläuche eingebracht bzw. entfernt wird. Für die geschlossene Methode werden intraoperativ die Zu- und Ablaufschläuche in das Abdomen eingelegt, das Abdomen dann chirurgisch verschlossen (durch Naht) und die Spülkatheter an das HIPEC-Gerät angeschlossen. Die Zytostatika-Lösung wird mittels Perfusorspritze oder Infusionsbeutel in den Zulaufschlauch eingebracht. Je nach Primarius werden als Zytostatikum Cisplatin, Doxorubicin, Mitomycin, Irinotecan und Oxaliplatin eingesetzt. Dies alles sind Substanzen mit Zellzyklus - unabhängiger Wirkung, die sich im Vergleich zu ihrer intravenösen Gabe pharmakokinetisch vorteilhaft verhalten, wenn sie direkt in die Peritonealhöhle eingebracht werden und deren zytotoxische Effekte durch Wärme verstärkt werden. Die Hyperthermie (41-43°C) hat verschiedene Effekte. Sie erhöht die Penetration der Zytostatika ins Gewebe, erhöht die Zytotoxizität der Chemotherapeutika und besitzt selbst einen zytotoxischen Effekt. Temperaturen unter dem angegebenen Bereich schwächen die beschriebenen Effekte ab, Temperaturen über 45°C können zu Koagulationsnekrosen und Dünndarmleckagen führen. Viele Zytostatika zählen zu den sogenannten CMR-Arzneimitteln (carcinogen, mutagen, reproduktionstoxisch) und ein Grenzwert für potentielle Schädigungen kann somit nicht festgelegt werden. Cisplatin wird von der International Agency for Research on Cancer (IARC) als „wahrscheinlich kanzerogen“ (Gruppe 2A) eingeordnet mit mutagenen Effekten in vitro und teratogenen und karzinogenen Effekten im Tierversuch. Üblicherweise wird mit solchen zytotoxischen Lösungen in Bereichen gearbeitet, in denen strenge Sicherheitsvorschriften im Umgang mit zytotoxischen Substanzen eingehalten werden. Mit Einführung der HIPEC verlagert sich der Umgang mit Zytostatika in den Operationssaal, in dem solch strenge Sicherheitsvorkehrungen während des HIPEC-Verfahrens nicht in dem Maße eingehalten werden können (wie z.B. durch Sicherheitswerkbänke und spezielle Schutzkleidung). Dadurch stellt sich natürlich die Frage, welche Schutzmaßnahmen bei den beteiligten Personen durchgeführt werden müssen und wer in diesem Bereich eingesetzt werden kann. Auch muss zwischen den unterschiedlichen Verfahren (offen, geschlossen) und den einzelnen Personengruppen (chirurgisches Personal, Perfusionist, Anästhesiepersonal, Reinigungspersonal) unterschieden werden, da sie in unterschiedlichem Maße mit den Zytostatika „in Kontakt“ kommen. Bei dem geschlossenen Verfahren werden am Ende der Operation Zu- und Ablaufkatheter im Bauchraum positioniert und das Abdomen dann verschlossen. Der Vorteil ist, dass das OP-Personal keinen direkten Kontakt zu den Zytostatika bekommt (weder dermal, noch über Aerosole). Nachteilig ist, dass die Verteilung im Bauchraum evtl. nicht gleichmäßig ist und eine Neupositionierung der Katheter nach Beginn der Perfusion nur sehr schwierig ist. Bei dem offenen Verfahren verteilt der Chirurg das Zytostatikum mit seinen behandschuhten Händen kontinuierlich im gesamten Abdomen. Dies führt zwar zu einer gleichmäßigen Verteilung des Zytostatikums, jedoch bedingt es ein deutlich erhöhtes Expositionsrisiko. Zum einen könnte es durch die Handschuhe zu einer dermalen Aufnahme kommen, zum anderen können entstandene Aerosole eingeatmet werden. Die offene Methode wird daher in zunehmend weniger Zentren noch angewendet. Bei der halboffenen Methode bleibt zwar das Abdomen offen, es wird jedoch um eine sogenannte „Glove-box“ verlängert. Eine transparente Abdeckhaube soll das Austreten von Aerosolen verhindern, enthält aber eine Öffnung für die Hand des Chirurgen. So soll eine bessere Verteilung des Zytostatikums gewährleistet sein, aber das Expositionsrisiko minimiert werden. Die meisten Empfehlungen bezüglich Schutzmaßnahmen gibt es für das chirurgische Personal und dem Perfusionisten, da beide Gruppen in engeren Kontakt zu den Zytostatika kommen, als das Anästhesiepersonal: Während der Durchführung der HIPEC sind für das chirurgische Personal sog. Zytostatika-Handschuhe mit einer erhöhten Wanddicke empfohlen. Bei Manipulation im Bauchraum sollen zwei Paar Handschuhe getragen werden, da dies die Schutzwirkung erhöht. Außerdem sollten gefärbte Handschuhe verwendet werden, um schneller Beschädigungen der Handschuhe erkennen zu können. Zusätzlich sollen Schutzkittel aus wasserabweisendem Material und Schutzbrillen getragen werden. Bei der offenen HIPEC werden partikelfiltrierende Masken empfohlen. Zusätzlich soll über dem Operationsgebiet eine Absaughaube mit Luftabzug installiert werden, um die Belastung mit Aerosolen möglichst gering zu halten. Sollte es zu Leckagen am HIPEC-System kommen, sollen Verunreinigungen an Arbeitsflächen und Boden mit Einmaltüchern entfernt werden und die Flächen schnellstmöglich sorgfältig mit Wasser gereinigt werden, um eine Verschleppung zu vermeiden. Alle verwendeten Einmalmaterialien sollen über spezielle Zytostatika-Abfallbehälter entsorgt werden. Konkrete Empfehlungen zu speziellen Schutzmaßnahmen im Rahmen einer HIPEC für das Anästhesiepersonal sind in der Literatur nahezu nicht zu finden. Das liegt wohl daran, dass das Risiko für diese Personengruppe als sehr gering eingestuft wird. In einer Pilotstudie der Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege (BGW) zu „Umgebungs- und Biomonitoring von Platin-Zytostatika während Operationen mit dem HIPEC-Verfahren“ wurden Wischproben von Handschuhen, der Geräte und des Bodens, sowohl Luft-, als auch Urinproben analysiert. Hier zeigten sich zwar erhöhte Werte an einigen Stellen am HIPEC-Gerät und den äußeren Handschuhen der Chirurgen, jedoch niedrige bis sehr niedrige Werte am inneren Handschuhpaar und in der Luft. Da das Anästhesiepersonal unter normalen Bedingungen keinen direkten Kontakt zu den Zytostatika haben sollte, erscheint vor allem die Luftanalyse für die Anästhesie wichtig. Hier zeigten sich sowohl bei den offenen, als auch bei den geschlossenen Verfahren so niedrige Werte, dass aktuell von keinem Inhalationsrisiko für das Personal ausgegangen werden kann. Dies konnte auch durch andere Studien gezeigt werden (z.B. Guerbet et al., 2007). Im vorliegenden Fall handelte es sich um eine Anästhesistin, die bereits vermutete, dass sie schwanger sein könnte und sich dies tatsächlich kurz danach bestätigt hat. Es ist zu vermuten, dass sie die Möglichkeit einer Schwangerschaft ihren Vorgesetzen, die sie dort eingeteilt haben, nicht mitgeteilt hat. Der Melder des Falles schlägt vor, nur noch Mitarbeiter mit abgeschlossener Familienplanung bei Operationen mit einer HIPEC einzuteilen. Da, wie oben erläutert, nach aktuellem Kenntnisstand für das OP-Personal bei Einhaltung der empfohlenen Schutzmaßnahmen kein erhöhtes Risiko besteht und gerade das Anästhesiepersonal keinen direkten Kontakt mit dem Chemotherapeutikum haben dürften, erscheint dieser Vorschlag unverhältnismäßig und nicht begründbar. Dann nämlich müsste man für diese Gruppe auch einen Einsatz in einem OP mit Röntgen/Durchleuchtung kritisch hinterfragen. Anders stellt sich die Sachlage dar, wenn die Kollegin schwanger ist. Dann darf die Kollegin nach §11 des Mutterschutzgesetzes, in dem es um „unzulässige Tätigkeiten und Arbeitsbedingungen für schwangere Frauen“ geht, nicht in diesem Bereich eingesetzt werden. Laut diesem Paragrafen liegt eine unverantwortbare Gefährdung der Schwangeren vor, wenn die Frau Tätigkeiten ausübt oder Arbeitsbedingungen ausgesetzt ist, bei denen sie krebserzeugenden, fruchtschädigenden oder erbgutverändernden Gefahrenstoffen ausgesetzt ist oder sein kann, zu denen Chemotherapeutika gehören. Dies setzt jedoch voraus, dass der Arbeitgeber oder zumindest der Vorgesetze über die Schwangerschaft in Kenntnis gesetzt wurde. Nach §15 des Mutterschutzgesetztes „soll“ die werdende Mutter den Arbeitgeber über die Schwangerschaft informieren, sobald sie weiß, dass sie schwanger ist. Die Mitteilung ist somit keine zwingende Rechtspflicht, aber nur dann können die im Mutterschutzgesetz festgelegten Schutzrechte geltend gemacht werden. Zusammenfassend bedeutet dies, dass ein generelles Beschäftigungsverbot für Mitarbeiter ohne abgeschlossene Familienplanung im Rahmen einer HIPEC-Therapie nach aktueller Datenlage nicht begründbar ist. „Schwangere Mitarbeiterinnen dürfen in diesem OP-Saal nicht eingesetzt werden. Hat die Mitarbeiterin den Verdacht, schwanger zu sein, sollte sie ebenfalls mit dem Vorgesetzten sprechen, damit ihr Einsatz in diesem OP-Saal möglichst vermieden wird.“ Die Analyse aus Sicht des JuristenAus Gründen äußerster Vorsicht mag der Ratschlag des Melders, bei HIPEC-OP nur Anästhesistinnen mit abgeschlossener Familienplanung einzusetzen, nachvollziehbar sein. Rechtlich zwingend notwendig ist dieses Vorgehen nicht.Nach § 15 Abs. 1Mutterschutzgesetz (MuSchG) „soll“ die werdende Mutter dem Arbeitgeber Ihre Schwangerschaft und den voraussichtlichen Tag der Entbindung mitteilen, sobald Sie weiß, dass Sie schwanger ist. Die Mitteilung ist somit keine zwingende Rechtspflicht für die werdende Mutter. Aber nur dann, wenn der Arbeitgeber Kenntnis von der Schwangerschaft hat, können die besonderen Schutzrechte des Mutterschutzgesetzes (unter anderem arbeitszeitlicher/betrieblicher/ärztlicher Gesundheitsschutz) geltend gemacht werden. Mit der Novellierung des Mutterschutzrechts sind seit dem 01.01.2018 die bisherigen Bestimmungen der Verordnung zum Schutze der Mütter am Arbeitsplatz (MuSchArbV) in das Mutterschutzgesetz integriert und die Pflichten im Rahmen des betrieblichen Gesundheitsschutzes für den Arbeitgeber erweitert (§ 9-15 MuSchG). Nach § 10 Abs. 1 MuSchG besteht für den Arbeitgeber die Pflicht, im Rahmen des § 5 ArbSchG die besonderen Gefährdungen für die Schwangere zu beurteilen. Anhand dieser Ergebnisse ist zu ermitteln, ob Schutzmaßnahmen erforderlich sind, eine Umgestaltung der Arbeitsbedingungen notwendig ist oder eine Fortführung der Tätigkeit an diesem Arbeitsplatz für die Mitarbeiterin nicht möglich sein wird. Unzulässige Tätigkeit und Arbeitsbedingungen für Schwangere sind im § 11 MuSchG normiert: Dies betrifft neben körperlichen Belastungen und physikalischen Einwirkungen auch den Umgang mit Gefahrstoffen sowie Biostoffen. So darf der Arbeitgeber „eine schwangere Frau keine Tätigkeiten ausüben lassen und Sie keinen Arbeitsbedingungen aussetzen, bei denen Sie in einem Maß Gefahrstoffen ausgesetzt ist oder sein kann, dass dies für sie oder für ihr Kind eine unverantwortbare Gefährdung darstellt“. Eine unverantwortbare Gefährdung liegt nach der gesetzlichen Regelung insbesondere vor, wenn die Schwangere Gefahrstoffen ausgesetzt ist oder sein kann, die als reproduktionstoxisch, keimzellmutagen, karzinogen, spezifisch zielorgantoxisch oder als akuttoxisch eingestuft sind. Dazu zählen auch Zytostatika (siehe DGUV, Zytostatika im Gesundheitsdienst). Letztendlich entscheidet die zuständige Aufsichtsbehörde, ob und wie die Schwangere weiter eingesetzt werden kann. Die Aufsichtsbehörde muss der Arbeitgeber ohnehin „unverzüglich“ benachrichtigen, sobald die Frau ihm die Schwangerschaft mitgeteilt hat (§ 27 Abs. 1 MuSchG). Benachrichtigt der Arbeitgeber die Aufsichtsbehörde nicht, nicht richtig oder nicht rechtzeitig, dann droht ihm eine Geldbuße von bis zu 5.000 € (§ 32 Abs. 1 Nr. 11 MuSchG). Weiterführende Literatur:
Autoren:
Dr. med. S. Rieß, Anästhesiologische Klinik, Universitätsklinikum Erlangen
Ass. iur. E. Weis, Berufsverband Deutscher Anästhesisten, Nürnberg Prof. Dr. med. A. Schleppers, Berufsverband Deutscher Anästhesisten, Nürnberg
Dipl.-Sozialw. T. Rhaiem, Berufsverband Deutscher Anästhesisten, Nürnberg
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