Fall des Monats September 2018 |
06.11.2018 |
CIRSmedical Anästhesiologie - Berichten und Lernen
Operateur hält grundlegende Hygienestandards nicht ein
Der Fall:(Aus Gründen der Anonymität wird im Folgenden bei Personen stets die männliche Bezeichnung verwendet.)
Operateur hält grundlegende Hygienestandards nicht ein
Zuständiges Fachgebiet:
Anästhesiologie
Wo ist das Ereignis eingetreten?PraxisTag des berichteten Ereignisses:WochentagVersorgungsart:RoutinebetriebASA-Klassifizierung:ASA IIFallbeschreibung:
Der Patient kommt zur ambulanten augenärztlichen OP. Im Prämedikationsprotokoll unter Vorerkrankungen ist u.a. eine "ausgeheilte Hepatitis C" notiert. Der Assistenzarzt der Anästhesiologie informiert das OP-Team vor der Einleitung der Analgosedierung darüber. Die Operation wird komplikationslos und regelhaft unter Analgosedierung mit Dormicum/Propofol durchgeführt, der Patient hiernach in den Aufwachbereich entlassen.
Der darauf folgende Patient wird in den OP-Saal gebracht und soll mit der gleichen Operation durch den operierenden Augenarzt vorbereitet werden. Der operierende Arzt hat OP-Handschuhe und -Kittel an. Zu Beginn der Operation fällt auf, dass er dasselbe bereits benutzte Instrument verwendet, sowie die ebenfalls bereits benutzten Handschuhe und OP-Kittel trägt. Ebenfalls fällt auf, dass der operierende Arzt mit verschmutzen OP-Handschuhen den nächsten Patienten per Handschlag begrüßt hat sowie seinen OP-Bericht auf seinem Laptop im OP-Saal schreibt. Erst danach kleidet er sich um und führt eine chirurgische Händedesinfektion durch. Was war besonders ungünstig?Trotz Information an das gesamte OP-Team erfolgte weder eine Desinfektion noch ein Ablegen (!) der bereits benutzen Handschuhe vor einem erneuten Patientenkontakt. Dies ist besonders gravierend im Hinblick auf eine mögliche Infektion mit Hepatitis C bei unklarem Infektionsstatus des vorhergehenden Patienten.Eigener Ratschlag (Take-Home-Message)?Klare und unbedingte Einhaltung der hygienischen Vorschriften im OP! Bessere und klare Kommunikation in Bezug auf mögliche Infektionsquellen durch erkrankte Patienten!Häufigkeit des Ereignisses?jede WocheWer berichtet?Arzt / ÄrztinBerufserfahrung:über 5 JahreDie Analyse aus Sicht des Anästhesisten 1Sie haben als zuständiges Fachgebiet Anästhesiologie angegeben – betroffen sind allerdings das OP-Personal und der Operateur. Weiter geben Sie an, dass es sich um ein wöchentlich zu beobachtendes Vorgehen handelt und nicht um einen Ausrutscher, so dass hier dringender Handlungsbedarf besteht. Kurz gesagt: Das beschriebene Vorgehen geht gar nicht!Der vorgehende Patient hatte Hepatitis C – eine Krankheit, die nie ausheilt, aber bei der u.U. die Viruslast so gering sein kann, dass die Ansteckungsgefahr extrem gering ist. Allerdings gilt auch die Regel, dass man den Patienten (und Mitmenschen) meist nicht ansieht, von welchem Erreger sie kolonisiert sind. Aus diesem Grund gibt es Hygienevorschriften und -standards im OP-Saal, die zwingend eingehalten werden müssen. Hiervon abzuweichen gefährdet die Patientensicherheit! Das Gute an der Meldung ist, dass der Anästhesist das Problem angesprochen hat. Dies ist der richtige Weg, denn eine CIRS-Meldung kommt für den betroffenen Patienten zu spät. Viele haben Hemmungen, beobachtete Probleme direkt anzusprechen, aber dies ist ein wichtiger Bestandteil einer guten Fehlerkultur. Doch zurück zu dem hier gemeldeten Problem: Im OP-Saal ist die sterile OP-Pflegekraft verantwortlich für die Einhaltung der Hygiene. Zusätzlich gibt es immer einen Hygienebeauftragten. Diese müssen sich des Problems annehmen und die Abläufe so verändern, dass eine Wiederholung ausgeschlossen wird. Falls es sich um eine bestimmte Person handelt, die regelhaft gegen die Hygienevorschriften verstößt, muss sie direkt angesprochen werden. Die Analyse aus Sicht des Anästhesisten 2Bezugnehmend auf die Analyse meines Vorredners trage ich die meisten Ausführungen mit:
Aus dieser Haltung ergibt sich die Verantwortung jeder im OP beschäftigten Person, gemeinsam mit allen anderen auf die Einhaltung der Hygienevorschriften zu achten. Diese Verantwortung verpflichtet nicht nur, sondern legitimiert auch jeden Protagonisten im OP, unabhängig von Status und Hierarchie zum Hinweis. Reagiert der Angesprochene uneinsichtig, ist die nächsthöhere Instanz zu konsultieren. Problematisch wird dies vor allem im Bereich einer Praxis, weil die wirtschaftliche Abhängigkeit des Anästhesisten von seinem „Kunden“ (Operateur) eine Zurückhaltung einer Kritik diesem gegenüber fördern könnte. Hier ist es wichtig, bereits bei Beginn der Zusammenarbeit die Regeln einer Kooperation auf Augenhöhe zu definieren. Die Aufmerksamkeit des jeweils anderen Kooperationspartners sollte beiden lieb und teuer sein. Keinem seriös operierenden Operateur kann es gleichgültig sein, ob er aufgrund von Hygienemängeln seine Patienten gefährdet. Sollte auch in diesem Kooperationsverhältnis seitens des Operateurs keine Einsichtsfähigkeit vorliegen, sollte der Fortbestand der Kooperation geprüft werden, wenn sich der Anästhesist nicht den Vorwurf gefallen lassen will, mitschuldig an einer etwaigen hygienebedingten Infektion eines Patienten zu sein. Die Analyse aus Sicht des JuristenAufgrund der Falldarstellung und der vorangehenden fachanästhesiologischen Analysen ist vorliegend von hygienisch mangelhaften Handhabungen (Hygienemängeln) auszugehen, welche medizinisch als Behandlungsfehler und rechtlich als Sorgfaltspflichtverletzungen zu charakterisieren sind. Infolgedessen unterliegt das fragliche Behandlungsagieren eklatanten juristischen Risiken.Will ein Patient in einem Arzthaftungsprozess mit Erfolg Schadensersatzansprüche geltend machen, dann muss er grundsätzlich im Wesentlichen das Vorliegen eines Behandlungsfehlers, seinen Schaden und die Kausalität des Fehlers für den Schaden darlegen und beweisen. Allerdings kann zivilprozessual auch eine modifizierte Beweislastverteilung eingreifen (vgl. insbesondere § 630h Abs. 1 und Abs. 5 BGB), was nicht zuletzt im Zusammenhang mit Hygienemängeln gilt. Gerade bei Hygienemängeln hilft die Rechtsprechung dem Patienten wenn sie diese bei bekannter Infektionsquelle als "voll beherrschbare Risiken" einstuft (vgl. dazu z.B. BGH, Beschl. v. 16.08.2016, Az.: VI ZR 634/15). Das bedeutet: Wird im Rahmen der ärztlichen Behandlung gegen geltende Hygienestandards verstoßen und kommt es zu einer vermeidbaren Infektion des Patienten, wird diesem die Durchsetzung seiner Schadensersatzansprüche erheblich erleichtert. Dann reicht es, wenn der Patient vor Gericht darlegen kann, dass die Infektion aus dem Bereich der ärztlichen Behandlung resultiert, dass sie bei Einhaltung der gebotenen hygienischen Sorgfaltsstandards vermeidbar gewesen wäre und dass die gebotenen Hygienestandards nicht eingehalten wurden. Gegebenenfalls müsste die „Behandlerseite“ beweisen, dass derselbe Schaden auch bei sorgfältiger Beachtung der Hygieneregeln eingetreten wäre. Ein solcher Beweis kann in der Regel nicht geführt werden. Dies gilt erst recht bei einem schwerwiegenden Verstoß gegen grundlegende hygienische Standards. Zudem legen die fachanästhesiologischen Analysen nahe anzunehmen, dass das fragliche Agieren tatrichterlich hier als grob behandlungsfehlerhaft zu charakterisieren ist. Bei grundsätzlicher Eignung, die von dem Patienten behauptete körperliche Beeinträchtigung bzw. Schädigung herbeizuführen, wird dann vermutet, dass das Agieren für diese ursächlich war. Der der Behandlerseite obliegende Gegenbeweis wird in der Regel nicht gelingen. Zur Verantwortungsteilung: Grundsätzlich ist, zumindest im Rahmen der horizontalen Arbeitsteilung, also der Kooperation verschiedener Fachvertreter mit – oder nebeneinander, jeder der Spezialisten für seinen Aufgabenbereich fachlich zuständig und damit auch rechtlich verantwortlich. Es gelten in der interdisziplinären Kooperation die Grundsätze der strikten Arbeitsteilung, der Vertrauensgrundsatz, und die Pflicht, die gegenseitigen Maßnahmen aufeinander abzustimmen. Allerdings greift der Vertrauensgrundsatz nicht mehr ein, wenn sich Zweifel an einem sorgfaltspflichtgerechten Agieren des kooperierenden Fachvertreters aufdrängen müssen, wie es vorliegend der Fall ist; dahingehend besteht hier offensichtlich sogar positive Kenntnis. Infolgedessen handelte auch sorgfaltspflichtwidrig, wer sich trotz begründeter Zweifel bzw. positiv erkannter Mängel - sozusagen - „künstlich blind stellt“. Unabdingbar wäre vielmehr, schon akut für Abhilfe Sorge zu tragen und zudem auf eine grundsätzliche Problemlösung hinzuwirken. Unbeschadet zivilrechtlicher Haftung stehen im Falle der Schädigung eines Patienten konkrete Strafbarkeitsrisiken - und zwar für alle Beteiligten - in Rede (vgl. insofern informativ zur Verurteilung eines Anästhesisten: LG Fulda, Urt. v. 29.03.2012, Az.: 16 Js 6742/10-1 Kls). Schließlich dürfen ärztliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowohl berufsordnungsrechtliche als auch approbationsrechtliche Konsequenzen nicht vernachlässigen. Autoren:
J. Karst, Berufsverband Deutscher Anästhesisten, Referat Ambulante und Vertragsärztliche Anästhesie, Berlin
Prof. Dr. med. M. Hübler, Klinik für Anästhesiologie, Universitätsklinik Carl Gustav Carus, Dresden Dr. iur. E. Biermann, Berufsverband Deutscher Anästhesisten, Nürnberg Rechtsanwalt R.-W. Bock, Ulsenheimer - Friederich Rechtsanwälte, Berlin Prof. Dr. med. A. Schleppers, Berufsverband Deutscher Anästhesisten, Nürnberg
Dipl.-Sozialw. T. Rhaiem, Berufsverband Deutscher Anästhesisten, Nürnberg
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