Fall des Monats Oktober 2018 |
30.11.2018 |
CIRSmedical Anästhesiologie - Berichten und Lernen
Besonderheiten einer Trachealkanüle machen im Rahmen einer Bronchoskopie einen notfallmäßigen Trachealkanülenwechsel notwendig
Der Fall:(Aus Gründen der Anonymität wird im Folgenden bei Personen stets die männliche Bezeichnung verwendet.)
Besonderheiten einer Trachealkanüle machen im Rahmen einer Bronchoskopie einen notfallmäßigen Trachealkanülenwechsel notwendig
Wo ist das Ereignis eingetreten?Krankenhaus - ITS / IMCTag des berichteten Ereignisses:WochentagVersorgungsart:NotfallASA-Klassifizierung:ASA IVPatientenzustand:Intensivpatient, tracheotomiert, kontrolliert beatmetWichtige Begleitumstände:akute respiratorische Dekompensation, a.e. bei SekretFallbeschreibung:
Der Intensivpatient hatte in einem auswärtigen Krankenhaus vor wenigen Wochen eine perkutan-dilatative Tracheotomie erhalten. Die verwendete Trachealkanüle wird in unserem Haus nicht routinemäßig verwendet. Insbesondere war nicht bekannt, dass sie eine einliegende dünne und flexible innere Kanüle hatte.
Im Rahmen einer akuten respiratorischen Dekompensation musste eine Bronchoskopie durchgeführt werden. Von einem Wechsel der Trachealkanüle wurde aufgrund des relativ kurzen zeitlichen Abstandes zur Anlage abgesehen. Das Einführen des Bronchoskops gelang problemlos. Das Herausziehen der letzten 10 cm des Bronchoskops aus der Trachealkanüle war am Ende der Prozedur jedoch nicht möglich. Das Bronchoskop ließ sich aber wieder in die Tiefe des Bronchialsystems vorschieben und erneut bis zu den letzten 10 cm zurückziehen. Gleichzeitig war die korrekte Lage des Bronchoskops im Bronchialsystem bzw. in der Trachealkanüle erkennbar. Das Bronchoskop war nicht abgeknickt. Bei zunehmender Oxygenierungsstörung wurde letztlich eine neue Trachelkanüle platziert, nachdem die alte Kanüle zusammen mit dem feststeckenden Bronchoskop entfernt worden war. Was war besonders gut?Der Patient hat keinen Schaden genommen. Der Wechsel der Trachealkanüle erfolgte in der Notfallsituation routiniert und reibungslos.Was war besonders ungünstig?Durch die Unkenntnis über die einliegende Kanüle wurde die schmalkalibrige Innenkanüle nicht entfernt. Ohne die Innenkanüle wäre eine Bronchoskopie problemlos möglich gewesen.Eigener Ratschlag (Take-Home-Message)?Bei Übernahme von Patienten sollten sich das Team über evtl. vorhandene Devices informieren und diese kennen, um in Notfallsituationen entsprechend reagieren zu können.Häufigkeit des Ereignisses?nur dieses MalWer berichtet?Arzt / ÄrztinBerufserfahrung:über 5 JahreDie Analyse aus Sicht des AnästhesistenBei einer Punktionstracheotomie wird ein nicht-epithelisiertes Tracheostoma angelegt, welches im Vergleich zum konventionell chirurgischen Tracheostoma zumeist im Durchmesser kleiner und zunächst instabil ist. Es handelt sich bis zur Granulation des Tracheostomaschachtes um einen nicht sicheren Atemweg! Das Einsetzen/ Wechseln einer Trachealkanüle kann in dieser Phase zu Fehllagen führen, weshalb eine fiberoptische Kontrolle obligat ist. Besser ist es deshalb, so lange auf einen Trachealkanülenwechsel zu verzichten, bis der Tracheostomaschacht ausreichend stabil ist. Das ist meist nach ca. 10 Tagen der Fall.In dem Fall wurde fast alles richtig gemacht: Die Kollegen wussten von der o.g. Gefahr und hatten keinen Trachealkanülenwechsel geplant. Trotzdem kam es zu Problemen, denn das Bronchoskop ließ sich nicht mehr entfernen. Als Grund wurde eine einliegende dünne Kanüle gefunden. Auch wenn es nicht explizit erwähnt ist, wäre es sicher möglich gewesen, diese einliegende Kanüle vor der Bronchoskopie zu entfernen. Schließlich musste die Trachealkanüle entfernt werden und es konnte eine neue eingeführt werden. In der Meldung wird erwähnt, dass die Anlage des Stomas bereits mehrere Wochen zurück lag, so dass der Kanal wahrscheinlich bereits stabil genug war und nicht kollabierte. Probleme im Zusammenhang mit Trachealkanülen bzw. Tracheostomata werden zwar selten aber regelmäßig gemeldet. Die Eingabe des Suchbegriffs „Trachealkanüle“ listet 36 Fallberichte auf, die zu Patientengefährdungen bis hin zu einer Reanimation geführt haben. Die genannten Probleme waren:
Die einzelnen Fallberichte sind oft sehr dramatisch, denn es handelt sich meist um Ereignisse mit kritisch Kranken. Die Patienten sind oft beatmet oder benötigen zumindest eine Druckunterstützung und haben eingeschränkte pulmonale Reserven. Hinzu kommt, dass viele Intensivmediziner und Anästhesisten zumindest bei relativ neu angelegten Tracheostomata eine gewisse Unsicherheit verspüren. In zeitkritischen Situationen, die sich rasch entwickeln können, ist Unsicherheit kein guter Ratgeber. Deshalb ist es wichtig, Maßnahmen zu etablieren, die den Kollegen in solchen Situationen helfen: Anlage des Tracheostoma Ein Tracheostoma kann offen-chirurgisch oder per dilatationem angelegt werden. Es gibt sowohl verschiedene Techniken der Dilatationstracheotomien als auch unterschiedliche chirurgische Methoden. Die meisten konventionell chirurgisch angelegten Tracheostomata werden epithelisiert, in dem die Haut der Halsregion, die den Tracheostomaschacht bedeckt, direkt am Tracheaeingang fixiert wird. Ein Trachealkanülenwechsel ist durch die geringere Länge des Kanals und den Zug der Haut am äußeren Orificium in der Regel problemlos möglich. Gelegentlich wird aber auf die Epithelisierung verzichtet oder sie ist aus anatomischen Gründen nicht möglich. Dann entsteht eine Situation, die einer Anlage per dilatationem ähnelt: Die bis zur Trachea durchdrungenen einzelnen Gewebeschichten sind bis zur vollständigen Granulation des Tracheostomaschachtes palisadenartig verschieblich und können den direkten Zugang zur Trachea verlegen. Die Stabilität des Tracheostomaschachts wird zunächst auch nur durch die liegende Trachealkanüle erreicht. Als Intensivmediziner ist es deshalb wichtig, mit der Übernahme des Patienten genaue Information über das Tracheostoma zu erhalten und nicht auf den fertig diktierten OP-Bericht oder den endgültigen Verlegungsbrief zu warten:
Art der Trachealkanüle Genauso wichtig ist es, die verwendete Trachealkanüle zu kennen, damit eine Situation wie im Fall beschrieben vermieden werden kann:
Training und Plan B Der Umgang mit Trachealkanülen kann entweder über die Zeit und mit zunehmender Erfahrung erlernt werden oder aber man lässt sich schulen. In der Regel sind die HNO-Ärzte sehr hilfsbereit und geben ihr Wissen gerne weiter. Ideal ist es, wenn zusätzlich ein Training an einem Phantom erfolgen kann. Zumindest bei dem ersten Trachealkanülenwechsel muss das ganze Team darauf vorbereitet sein, dass es zu Problemen kommen kann. Gerne wird in einer solchen Situation die einfachste Problemlösung vergessen: Die konventionelle orale Intubation. Die Bereitstellung des erforderlichen Equipments reicht meistens aus, damit es nicht benötigt wird. Zusätzlich beruhigt es ungemein. In dem Zusammenhang ist es natürlich wichtig, sich darüber Gedanken zu machen, ob der Patient evtl. einen schwierigen Atemweg hat. Ein schwieriger Atemweg ist zwar eine Kontraindikation für eine Dilatationstracheotomie, wird aber gelegentlich übersehen. In einem solchen Fall ist es empfehlenswert, dass ein Kollege sich auf eine evtl. erforderliche supraglottische, fiberoptische Intubation vorbereitet und das Bronchoskop vor Entfernung der Trachealkanüle bereits in Position hat. Kontrolle des Tracheostomas Trachealkanülen selbst können zu Problemen führen. Deshalb ist es wichtig, regelmäßige fiberoptische Inspektionen der Trachea z.B. zum Ausschluss von Cuff-bedingten Drucknekrosen durchzuführen [1]. Ein weiterer Trigger ist die Übernahme eines Patienten aus einem anderen Krankenhaus oder einer Reha-Einrichtung. Die Analyse aus Sicht des JuristenTrachealkanülen sind Medizinprodukte im Sinn des Medizinproduktgesetzes und der Medizinproduktebertreiberverordnung. Nach § 4 Abs. 2 Medizinproduktebetreiberverordnung dürfen nur solche Personen Medizinprodukte anwenden, die die dafür erforderliche Ausbildung oder Kenntnis und Erfahrung besitzen. Die Personen müssen zudem in die sichere Anwendung des Medizinproduktes eingewiesen werden (§ 4 Abs. 3 Medizinproduktebetreiberverordnung). Das gilt auch dann, wenn ein Patient mit liegenden Systemen übernommen wird. Die Weiterverwendung dieser Systeme darf nur erfolgen, wenn die Anwender sicher sind im Umgang mit dem Medizinprodukt, d.h., die sachgerechte Anwendung der Hilfsmittel muss sichergestellt sein. Unabhängig von der Verpflichtung des Betreibers, entsprechende Einweisungen sicherzustellen, muss sich jeder Anwender eigenständig darum kümmern, dass er in die von ihm verwendeten Medizinprodukte eingewiesen ist bzw. prüfen, inwieweit Medizinprodukte zum Einsatz kommen, bei denen er die entsprechenden Kenntnisse nicht hat. Hier handelt es sich um eine „Holschuld“ des Anwenders. Im geschilderten Fall waren die Anwender offenbar nicht mit der Trachealkanüle hinreichend vertraut. Insofern haben die Beteiligten „Glück“ gehabt, dass der Patient nicht zu Schaden kam. Denn die Vorschriften der Medizinproduktebertreiberverordnung gelten als Schutzgesetze im Sinn des § 823 Abs. 2 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB). Verstöße gegen die Regelungen der Medizinproduktebetreiberverordnung führen, wenn dadurch ein Patient zu Schaden kommt, über § 823 Abs. 2 BGB zur Haftung auf Schadensersatz. Unabhängig davon kann ein durch die fehlerhafte Anwendung des Medizinproduktes verursachte Gesundheitsschaden für die Beteiligten zur strafrechtlichen Verantwortung wegen fahrlässiger Körperverletzung/Tötung führen.Weiterführende Literatur:
Autoren:
Prof. Dr. med. M. Hübler, Klinik für Anästhesiologie, Universitätsklinik Carl Gustav Carus, Dresden
Dr. iur. E. Biermann, Berufsverband Deutscher Anästhesisten, Nürnberg Prof. Dr. med. A. Schleppers, Berufsverband Deutscher Anästhesisten, Nürnberg
Dipl.-Sozialw. T. Rhaiem, Berufsverband Deutscher Anästhesisten, Nürnberg
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