CIRSmedical Anästhesiologie - Berichten und Lernen
Frühgeborenes wird akzidentell extubiert, weil Tubus durch Pflaster rutscht
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Der Fall:
(Aus Gründen der Anonymität wird im Folgenden bei Personen stets die männliche Bezeichnung verwendet.)
Frühgeborenes wird akzidentell extubiert, weil Tubus durch Pflaster rutscht
Zuständiges Fachgebiet:
Kinder- und Jugendmedizin
Wo ist das Ereignis eingetreten:
Krankenhaus
Versorgungsart:
Routinebetrieb
Fallbeschreibung:
Bei einem intubierten Frühgeborenen war der Tubus durch das Fixierplaster durchgerutscht und das Kind dadurch akzidentell extubiert worden. Das Pflaster klebte aber weiterhin fest am Nasenrücken. Die Fixierung war vor 2 Tagen neu durchgeführt worden. Dabei wurde wohl nur der Nasenrücken, aber nicht der Tubus mit dem stationsüblichen Pflasterlöser gereinigt, da dieser vermeintlich sauber war.
Das extubierte Kind wurde nichtinvasiv mit CPAP versorgt und war seither stabil.
Eigener Ratschlag (take-home-message):
Zum einen die hohe Luftfeuchte im Inkubator, zum anderen kleben die Pflaster "gefühlt" nicht mehr so gut.
In letzter Zeit fand dieses Phänomen häufiger statt. Pflegekräfte haben bei intubierten Kindern immer unterschwellig die Sorge, der Tubus könnte herausrutschen.
Wie häufig tritt ein Ereignis dieser Art in Ihrer Abteilung auf?
jeden Monat
Wer berichtet?
Pflegekraft
Die Analyse aus Sicht des Anästhesisten
In der Meldung geht es um ein Ereignis, dass sich bei einem Neugeborenen ereignete. Aus anatomischen Gründen und auf Grund der sehr vulnerablen Haut sind die Umstände hier besonders. Trotzdem wollen wir das Ereignis zum Anlass nehmen, uns grundsätzlich mit dem Problem der akzidentellen Extubation von Intensivpatienten zu beschäftigen.
Eine einfache Abfrage der CIRS-AINS-Datenbank mit dem Suchbegriff „Extubation“ findet 15 Meldungen, die sich mit dem Thema der akzidentellen Extubation von Intensivpatienten befassen. 4 Patienten hatten gleichzeitig einen schwierigen Atemweg, bei 3 Patienten handelte es sich um Kleinkinder oder Säuglinge und 4 Ereignisse ereigneten sich bei diagnostischen Maßnahmen (CT, Röntgen, Endoskopie).
„Tubes get lost!“ Diesen Spruch findet man in zahlreichen englischsprachigen Lehrbüchern und bringt das Problem auf den Punkt: Es gibt leider keine Maßnahme, die eine akzidentielle Extubation zu 100% verhindert [1]. (Analog gilt dies auch für jede Art von Kathetern.) Die bekannten Risikofaktoren sind [2]:
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Methode der Tubusfixierung,
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Fixierung von Patienten,
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Unruhe/Art der Sedierung der Patienten,
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Manipulationen an dem Tubus zum Zeitpunkt des Ereignisses und
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Durchführung von anderen medizinischen Handlungen am Patienten (z.B. Lagerungsmaßnahmen).
Auf Grund einer Meldung aus unserer Datenbank können wir noch einen weiteren Risikofaktor ergänzen: Das Verschieben des Beatmungsgerätes.
Die erwähnte Fixierung des Tubus ist zwar essentiell, aber es muss jedem auf der Intensivstation Tätigen klar sein, dass Extubationen trotzdem jederzeit stattfinden können. Folgende Aspekte sind bei intubierten Intensivpatienten von wesentlicher Bedeutung:
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Die Beatmung erfolgt in der Regel mit einer reduzierten FiO2, so dass die Apnoetoleranz geringer ist.
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Häufig handelt es sich um kritisch-kranke Patienten, die einen hohen FiO2 und/oder ein entsprechendes PEEP-Niveau zwingend benötigen.
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Der Anteil der Patienten mit einem schwierigen Atemweg ist höher und war gelegentlich auch der Grund für die Verlegung auf die Intensivstation.
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Die Intubationsbedingungen sind schlechter als in einer Anästhesieeinleitung.
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Intubationen auf Intensivstationen sind so selten, dass nicht-Anästhesisten und das Pflegeteam lange Zeit benötigen, um eine entsprechende Expertise für diese Tätigkeit zu erhalten. (Es wird deshalb der großzügige Einsatz von Videolaryngoskopen empfohlen.)
Aus diesen Gründen ist es wichtig, dass das Personal ein entsprechendes Problembewusstsein hat und dass das Team stets vorbereitet ist, ggf. schnell zu handeln. Idealerweise beinhaltet eine solche Vorbereitung ein regelmäßiges Simulationstraining, um die Abläufe zu verinnerlichen. Die gute Nachricht ist, dass Patienten, die sich selbst extubieren, sich häufig in der Weaningphase befinden und Reintubationen nicht immer erforderlich sind [3].
Eine neuere Arbeit hat sich intensiv mit dem Thema akzidentielle Extubation auf pädiatrischen Intensivstationen beschäftigt und insbesondere evaluiert, ob die Etablierung spezieller Qualitätsverbesserungsmaßnahmen effektiv ist [4]. Auch wenn die Untersuchung bei jungen Patienten durchgeführt wurde, sind die Schlussfolgerungen unserer Meinung nach auf die Erwachsenenintensivmedizin übertragbar. Die kurze Antwort lautet: Spezielle qualitätsverbessernde Maßnahmen wirken, das Risiko bleibt aber trotzdem bestehen. Die ausführliche Antwort beschreibt die ggf. zu etablierenden Maßnahmen:
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Eine Standardisierung von Fixierungen ist essentiell.
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Bei Handlungen an Risikopatienten sollten stets 2 kompetente Personen am Bett sein und einer von den beiden sich nur um die Sicherung des Atemwegs kümmern.
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Jedes Ereignis sollte systematisch aufgearbeitet werden, um die Schwachstellen zu identifizieren und bestenfalls zu beseitigen.
Insbesondere letzter Aspekt ist wahrscheinlich nur in den wenigsten Kliniken etabliert. An den in der Untersuchung teilnehmenden Kliniken kam es nach Einführung einer systematischen Aufarbeitung und Analyse zu einer Abnahme von ungewollten Extubationen von ~25%. Der Aufwand scheint sich also zu lohnen.
Zur Erleichterung der Datenerfassung und auch um einen Überblick über die tatsächlichen Häufigkeiten auf der eigenen Intensivstation zu erhalten, bietet sich die systematische Erfassung der Verläufe intubierter Patienten an. Hilfreiche Tipps finden sich auf der Webseite von Airway Safety Movement [5], eine Organisation, die sich u.a. zum Ziel gesetzt hat, die Rate an ungewollten Extubationen auf Intensivstationen zu senken.
Die Analyse aus Sicht des Juristen
Die Fallvorstellung betrifft beispielhaft eine CIRS-Situation, indem eine Behandlungskomplikation (wohl) ohne Schadensfolge festgestellt wurde, woraus – zur Analyse – die Frage resultiert, ob und wie das neuerliche Auftreten dieser Komplikation vermieden werden kann. Dabei ist zu hoffen, dass der Vorgang auch im Rahmen eines klinikintern etablierten CIRS gemeldet wurde, um möglicherweise bereits ad hoc Folgerungen abzuleiten.
Die Folgerungen müssen – unter juristischen Aspekten – aus folgenden Überlegungen resultieren:
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Das Problem akzidentieller Extubation betrifft offenbar diverse Fallkonstellationen, nämlich z.B. die laufende intensivmedizinische Behandlung von Patienten, die Anwendung diagnostischer und therapeutischer Maßnahmen bei liegendem Tubus sowie auch Lagerungs- und (interne/externe) Verlegungsaktivitäten.
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In allen sachverhaltlichen Zusammenhängen stellt sich die Frage nach dem einzuhaltenden medizinischen Standard, was juristisch der Frage nach einzuhaltender Sorgfalt entspricht. Dies betrifft im Ausgangspunkt den Aspekt der Durchführung einer Tubusfixierung lege artis samt insofern anzuwendender Kontrollmaßnahmen, das Erfordernis fortlaufender Fixierungs- bzw. auch Lagekontrolle im Verlauf und den Umgang mit dem Tubus bzw. dessen Kontrolle anlässlich besonderer pflegerischer und/oder ärztlicher Maßnahmen.
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Realisiert sich trotz standardgemäßer Einhaltung aller Anforderungen eine akzidentielle Extubation, vermag sich diese als „objektiv unvermeidbar“ darzustellen, wobei es dann wiederum gilt, die Komplikation zeitgerecht zu erkennen, was seinerseits Standardanforderungen unterliegt (z.B. gehörige Engmaschigkeit von Überwachungsmaßnahmen, Durchführung konkreter Kontrollanforderungen, Feststellung von Befundauffälligkeiten, Reaktion auf Alarme etc.).
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Mag man – unter Einhaltung aller „Standard“-Anforderungen bzw. aller insoweit gebotenen Sorgfalt – mit einem dergestalt objektiv unvermeidbaren Ereignis konfrontiert sein, stellt sich gleichwohl die Frage, wie etwa gegebenes Vermeidbarkeitspotential weitergehend ausgeschöpft werden kann. Dies gilt umso mehr, wenn – gerade „in letzter Zeit“ – ein „Phänomen häufiger“ auftritt, wie es in der Falldarstellung heißt. So könnte vorliegend doch überprüft werden, warum das Problem in vorgängiger Zeit nicht bzw. seltener aufgetreten ist (persönliche Qualifikation der Behandlungsakteure, individuelles Fehlverhalten, allgemeines Einschleichen fehlerhafter Handhabungen, Veränderung bei der Kontrolldichte, gewechseltes bzw. neues [Pflaster-] Material etc.).
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Ob insofern vorliegend dem Hinweis laut Falldarstellung, zwar sei der kindliche Nasenrücken, aber nicht der Tubus mit Pflasterlöser gereinigt worden („da dieser vermeintlich sauber war“), Bedeutung zukommt, ist Fachfrage.
Die Überprüfung kann ergeben, dass die akzidentielle Extubation nicht objektiv unvermeidbar war, sondern aus einem festzustellenden Defizit resultierte. Dieses Defizit stellte ein verstecktes Risiko dar, welches identifiziert wurde, womit es auch in erforderlicher Weise abgestellt werden kann, damit es sich zukünftig nicht neuerlich realisiert.
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Ungeplante Extubationen von Intensivpatienten lassen sich nicht vollständig verhindern, aber eine Standardisierung und eine systematische Aufarbeitung der Ereignisse und die Ableitung entsprechender Maßnahmen kann ihre Inzidenz verringern.
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Intubationen auf Intensivstationen sind nicht mit Intubationen im OP-Saal vergleichbar. Es handelt sich oft um Notfallsituationen bei kritisch-kranken Patienten mit einer reduzierten Apnoetoleranz. Zusätzlich sind die Intubationsbedingungen oft nicht ideal und das Team weniger eingespielt. Deshalb ist ein regelmäßiges Intubationstraining empfehlenswert.
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Generell gilt, dass in allen Behandlungs- bzw. Sachverhaltszusammenhängen Handhabungen erfolgen müssen, welche gemäß einzuhaltendem medizinischen Standard geboten sind.
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Unerwünschten Ereignissen ist – konkret auch im Rahmen eines etablierten CIRS – nachzugehen, um eventuell zugrundeliegende versteckte Risiken identifizieren und abstellen zu können.
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Weiterführende Literatur:
Autoren:
Prof. Dr. med. M. Hübler, Klinik für Anästhesiologie und Intensivtherapie, Technische Universität Dresden
Rechtsanwalt R.-W. Bock, Kanzlei Ulsenheimer-Friederich, Berlin
Prof. Dr. med. A. Schleppers, Berufsverband Deutscher Anästhesisten, Nürnberg
Dipl.-Sozialw. T. Rhaiem, Berufsverband Deutscher Anästhesisten, Nürnberg
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