Fall des Monats Quartal 3/2021 |
29.09.2021 |
CIRSmedical Anästhesiologie - Berichten und LernenEK werden vom Blutlabor versehentlich freigegebenDownload Fall des Monats Quartal 3-2021 als PDF Dokument Der Fall:(Aus Gründen der Anonymität wird im Folgenden bei Personen stets die männliche Bezeichnung verwendet.)
EK werden vom Blutlabor versehentlich freigegeben
Wo ist das Ereignis eingetreten:KrankenhausTag des berichteten Ereignisses:WochentagVersorgungsart:RoutinebetriebASA-Klassifizierung:ASA IVPatientenzustand:Planbare OP eines IntensivpatientenWichtige Begleitumstände:Die Blutbank und das Labor der meldenden Klinik A ist eine Außenstelle der Partnerklinik B, welche sich ca. 1 km entfernt befindet.Fallbeschreibung:
Es wird eine potentiell verschiebbare OP bei einem kreislaufinstabilen Intensivpatienten durchgeführt. Bei dem Eingriff wird ein Blutverlust von ca. 100-200 ml erwartet. Es besteht jedoch ein potentielles Risiko eines deutlich größeren Blutverlustes (bis zu 1000 ml möglich). Bei bekannten (multiplen) irregulären Antikörpern werden daher präop. bei einem Hb von ca. 9 g/dl EKs angefordert.
Vor Abruf des Patienten in den OP versichert sich der narkoseführende Anästhesist telefonisch bei der Blutbank in Klinik A, dass ausreichend EK bereitstehen. Die Blutbank gibt an, dass die Abklärung in Klinik B noch läuft (bei komplexen Fragestellung keine Abklärung in Klinik A möglich). Es folgen mehrere Telefonate mit Blutbank/Labor Klinik A und B. Diese laufen ruhig und stressfrei ab (es ist üblich, dass bei komplexen AK-Konstellationen eine Rücksprache Labor mit OA/FA Anäs. erfolgt). Die Blutbank in Klinik B bestätigt telefonisch und im EDV-System die Verfügbarkeit einer ausreichenden Anzahl Konserven, es erfolgt die Freigabe und die Blutbank in Klinik A gibt die freigegebenen Konserven mit Begleitschein aus. Diese werden im OP-Trakt zwischengelagert. Die OP wird begonnen, nachdem sich der zuständige anästhesiologische OA von dem physischen Vorhandensein der Konserven versichert hat (Begleitdokumente und Konserven erscheinen opB). Intraoperativ erfolgt der Anruf durch die Blutbank der Klinik, dass es zu einem internen Fehler gekommen sei. Die ausgegebenen Konserven seien inkompatibel. Dies könne anhand des Begleitscheins jedoch nicht erkannt werden (u.a. Duffy-AK), sodass eine sofortige Rückgabe erforderlich sei, neue EK würden umgehend eingekreuzt und stünden in ca. 90 min zur Verfügung. Was war besonders gut?Sehr erfahrenes Team. Mehrfaches Checken sicherheitsrelevanter Faktoren (Labor, Verfügbarkeit EK) durch Intensivarzt, OA im OP und FA im Saal.Der Patient blieb allzeit auf dem präop. Niveau stabil und benötigte keine EKs, da der Blutverlust < 100 ml blieb. Bei Erkennen des Fehlers erfolgte durch Klinik B die sofortige telefonische Information im direkten Arzt-Arzt-Gespräch. Die EKs wurden umgehend retourniert und neue eingekreuzt. Was war besonders ungünstig?Die Ausgabe der inkompatiblen EK war für die vor Ort handelnden Personen nicht erkennbar. Aufgrund der fehlerhaften Bescheinigung der Verträglichkeit in Klinik B konnte der Fehler in Klinik A nicht mehr detektiert werden. Der Fehler wurde in Klinik B allerdings erst bemerkt, als die Operation bereits begonnen worden und ein Abbruch technisch nicht mehr möglich war.Eigener Ratschlag (take-home-message):Aufgrund der fehlenden Kenntnis der Abläufe im Partnerlabor nicht möglich. Bewusstsein, dass das Outsourcen von Prozessen/Dienstleistungen neue, schwer zu kalkulierende Fehlerquellen bedeuten kann.Wie häufig tritt dieses Ereignis ungefähr auf?nur dieses malWer berichtet?Ärztin / ArztBerufserfahrung:über 5 JahreDie Analyse aus Sicht der Interdisziplinären Arbeitsgemeinschaft für klinische Hämotherapie (IAKH)ProblemanalyseDas Problem bei Transfusion von Antigen-haltigen EKs bei Vorliegen eines irregulären Antikörpers ist die Provokation von Transfusionsreaktionen, die im Extremfall vital bedrohlich sind [1, 2]. Bei vorheriger Bekanntheit, wie in dem geschilderten Fall, ist die Konstellation im Antikörpersuchtest (AKS) und damit die Gefährdung des Patienten vermeidbar. In diesem Fall blieb die chirurgische Einschätzung des Blutverlusts zwar korrekt und damit war eine Transfusion gar nicht notwendig, davon kann aber nicht als Regelfall ausgegangen werden. Die kompatiblen Blutprodukte müssen möglichst ohne großen Zeitverzug verfügbar sein. Analyse des zeitlichen und ursächlichen Verlaufs fehlt: a) Zeitpunkte - der präoperativen Blutentnahme - des Eintreffens der Probe im Labor - der Durchführung von Antikörpersuchtest, Kreuzprobe, Antikörperdifferenzierung - der technischen Validierung durch MTLA - der ärztlichen Validierung b) Beurteilung - Anteil struktureller Fehler:Grundsätzliche Abfolge der Untersuchungen und Freigaben zwischen Klinik und Labor Folge: Antikörper konnte zum Zeitpunkt der Konservenfreigabe nicht erkannt werden - Anteil individueller Fehler bei der AK-Differenzierung Folge: Antikörper wurden individuell zum Zeitpunkt der Konservenfreigabe nicht erkannt Die in dieser Meldung beschriebene Logistik ist nicht so selten und wird aufgrund der zunehmenden Ökonomisierung aller deutschen Einrichtungen häufiger. Die Abklärung von vorhandenen selteneren Antikörpern ist in kleineren immunhämatologischen Laboren und wegen des Personalmangels selten möglich. Das Problem des ausgelagerten externen Labors ist derzeit für ca. ein Drittel der deutschen Krankenhäuser relevant. Die Notwendigkeit eines spezialisierten Labors mit der Kapazität zur Elution (die Austestung des Patientenplasmas mit „normierten“ Testzellen, die die Antigene D, c, Fy (a), Fy (b), Jk (a), Jk (b), S, s tragen) und zur Bestimmung noch seltenerer Antikörper ist für ca. 60-80% aller Häuser in Deutschland relevant [3]. Eine Blutbank im eigenen Hause dürften schätzungsweise nur 30-40% aller Krankenhäuser mit mehr als 100 Betten haben. Die Kommunikation von nicht am Standort befindlichen Funktionseinheiten zum beauftragenden Standort ist meist etwas mehr mit Fehlern behaftet, obwohl das direkte Kontaktgespräch auch keinen größeren Anteil an der hausinternen Regelkommunikation hat. Derzeit gibt es nur Empfehlungen für die Regelkommunikation für Patienten im perioperativen Umfeld [4]. Elektronische Lösungen bieten sich aber durch die meist etablierten Kommunikationsformen der Laborbefundübermittlung von Labor in das Krankenhausinformationssystem KIS an. Das Informationsdefizit des Auftraggebers (der klinisch transfundierende Arzt) zum Verbleib der angeforderten Produkte wäre mit einem Trackingverfahren ähnlich das der Paketlieferdienste teilweise aufzulösen. Das bedeutet, dass nicht nur die Logistik der Versorgung selbst, sondern auch die der Diagnostik wie in dem geschilderten Fall zusätzlich erschwert ist. Selbst bei nur einem Kilometer Distanz ist durch diese zusätzliche Schnittstelle nicht nur eine Verzögerung des Versorgungsprozesses, sondern auch ein Sicherheitsrisiko assoziiert. Das demonstriert dieser Fall eindrücklich. Unabhängig von diesen Gegebenheiten ist der eigentliche Fehler, dass es im bearbeitenden externen Labor zu einer fälschlichen Freigabe und auch Auslieferung der getesteten Blutkonserven kam, was auch ohne die räumliche Trennung jederzeit vorkommen kann. Wie es zur ersten Freigabe kommen konnte, die dann später revidiert wurde, kann nur vermutet werden. (1) Wahrscheinlich wurden Kreuzproben negative Konserven ausgegeben, die auf bestimmte Antigene nicht ausgetestet waren, gegen die in der zeitlich nachgelagerten Antikörperdifferenzierung dann Antikörper vorlagen oder erst bei ärztlicher Validierung erkannt wurden. (2) Bei zu später Zusendung der präoperativen Kreuzprobe war die Abklärung bei OP-Beginn noch nicht beendet: Die typische Konstellation wäre – Antikörpersuchtest positiv bei multiplen Antikörpern (AK), Kreuzprobe negativ (entweder bekannter AK z.B. Anti-Fy(a) unter der Nachweisgrenze oder ein sehr schwacher AK, der nicht mit heterozygoten Fy(a+b+)-Ery, sondern nur mit homozygoten Fy(a+b-)-Ery reagiert). Die Konserven werden also vor der AK-Differenzierung freigegeben. (3) Normalerweise wird die Antikörperdifferenzierung von Hand durchgeführt und abgelesen. Die Ablesung von minimalen und schwachen Koagulationen kann leicht übersehen werden. Die erfahrene MTA kann jedoch in den meisten Fällen mit Sicherheit die Diagnose stellen, ein Arzt bestätigt die Ablesung und erst dann kann der Befund das Labor verlassen. Diese Doppelkontrolle der Befunde (im Sinne eines 4-Augenprinzips [4] und der ärztlichen Diagnosestellung) ist wichtig und könnte in diesem Fall den Widerruf der zuerst, aber vor der Endkontrolle der Befunde zu der Freigabe der ersten Konserven bedingt haben. (4) Patienten mit multiplen Antikörpern brauchen grundsätzlich einen längeren zeitlichen Vorlauf. Dieser zusätzliche Zeitbedarf wird von den Einsendern oftmals nicht toleriert, weswegen es oftmals zu derartigen Konstruktionen kommt, dass die endgültige ärztliche Validierung erst nach formaler Freigabe der Konserven geschieht. Diesbezüglich sollte das Standardvorgehen (SOP/VA) im Labor aufgearbeitet und besprochen werden. Für Fehler bei der Befundung und Abweichung von der festgelegten Verfahrensweise auch bei besonderer Dringlichkeit ist normalerweise der Laborarzt verantwortlich. Man kann auch diskutieren, ob der Patient korrekt vorbereitet war, da er sich anämisch einem potenziell blutverlustreichen Eingriff unterziehen und dafür einem erhöhten Risiko aussetzen lassen musste. Die postoperative bedingte präoperative Anämie bei zweizeitigen Eingriffen bei Langliegern und Intensivpatienten ist vermutlich viel häufiger als wir annehmen. Denn die leitliniengerechte Anämietoleranz der postoperativen Anämie gemäß der Empfehlungen zum Patient Blood Management (PBM) kollidieren bei der Entscheidung zum Rezidiv-Eingriff mit der Empfehlung, präoperative Anämie zu vermeiden. Der Phasenübergang von der postoperativen zur präoperativen Phase ist in diesem Setting fließend und deshalb nicht scharf! Wohl ist bei den wenigsten Eingriffen ein zweizeitiges oder multiples chirurgisches Vorgehen von langer Hand geplant und oft kommt ein Revisionseingriff relativ kurzfristig und mit relativer Dringlichkeit. In diesem Fall handelt es sich um eine Anämie auf der Intensivstation, ob mit oder ohne vorangegangenem Eingriff. Für diese Situation ist ein Vorgehen beschrieben, das die Anämie ohne Fremdblutexposition nicht nur im Sinne einer Anämietoleranz passiv toleriert, sondern auch nebenwirkungsarm mit Erythropoese-unterstützenden Maßnahmen und neuen Therapeutika therapiert [5]. Damit hätte eventuell das Risiko für eine Transfusionsnotwendigkeit weiter reduziert werden können. Für die künftige Vermeidung wären die folgenden Maßnahmen empfohlen: Prozessqualität:
Strukturqualität:
(1) ungekreuzt --> jederzeit (2) Kreuzproben negativ, z.B. 2h nach Probeneintreffen bei bekannter Blutgruppe (3) Untersuchung vollständig technisch validiert; Zeitpunkt Auslieferung morgens an OP (4) Untersuchung vollständig ärztlich validiert, z.B. 09:00 Uhr, jeder Werktag, für alle Untersuchungen des Vortrages Die Analyse aus Sicht des JuristenDer Patient, aber auch die handelnden Akteure haben „Glück gehabt“ – und dies in einem Bereich, in dem die Rechtsprechung nicht nur hohe, sondern höchste Anforderungen stellt. Der Bundesgerichtshof (BGH), der sich in Arzthaftungsfällen nicht stets auf den optimalen, sondern in der Regel auf den „durchschnittlichen“ Standard bezieht, weicht im Transfusionswesen davon ab und forderte dort einen „optimalen Sorgfaltsstandard“, er verlangt „höchstmögliche Sorgfalt“ (siehe BGH, Urteil vom 30. 4. 1991, Az. VI ZR 178/90 dazu Fall des Monats Juli 2010).Soweit für den Juristen nachvollziehbar war der Fehler für den Anästhesisten in Klinik B nicht erkennbar, es ist nicht ersichtlich, dass er bei der Transfusion geltende Regeln, etwa Anforderungen Hämotherapie Richtlinie, unbeachtet gelassen hätte. Die vom Bundesgerichtshof geforderte „höchstmögliche Sorgfalt“ verlangt eine solche aber nicht nur bei der Vorbereitung und Durchführung der Transfusion, sondern auch bei der Organisation des Spendewesens und der Optimierung der Abläufe zwischen verschiedenen Einrichtungen, insbesondere dann, wenn Leistungen outgesourct werden. Das Outsourcing von Leistungen ist nicht verboten, doch müssen sich die Akteure bewusst sein, dass damit unter Umständen „längere Wege“ auch bei der Weitergabe und der Entgegennahme von Informationen/Warnungen/Rückrufe verbunden sind. Dies muss bei der Organisation des Spendewesens und bei der Terminierung von Eingriffen beachtet werden. Welche fachlichen Folgerungen im Hinblick auf die Patientenversorgung daraus konkret zu ziehen sind, ob die Nachverfolgung verbessert und Informationswege verkürzt werden müssen oder ob bei der Transfusion zusätzliche Sicherungsmaßnahmen (biologische Vorprobe nach Oehlecker, siehe dazu Fall des Monats Juli 2010) zu treffen sind, muss den beteiligten Fachgebieten überlassen werden. Der Fall zeigt aber, dass die Organisation der Abläufe wenn nicht optimiert, so zumindest überprüft werden muss. Weiterführende Literatur:
Autoren:
Prof. Dr. med. T. Frietsch, 1. Vorsitzender der IAKH, Klinik für Anästhesie und Intensivtherapie, Universitätsmedizin Mannheim
K. Ludwig, Wissenschaftliche Assistentin der IAKH, Auswertekommission des IAKH Fehlerregisters Dr. med. G. Wittmann, Labor Becker & Kollegen MVZ GbR, München Dr. iur. E. Biermann, Berufsverband Deutscher Anästhesisten, Nürnberg Rechtsanwalt R.-W. Bock, Kanzlei Ulsenheimer-Friederich, Berlin Prof. Dr. med. A. Schleppers, Berufsverband Deutscher Anästhesisten, Nürnberg
Dipl.-Sozialw. T. Rhaiem, Berufsverband Deutscher Anästhesisten, Nürnberg
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