Fall des Monats Quartal 2/2022 |
19.08.2022 |
CIRSmedical Anästhesiologie - Berichten und LernenProbleme mit der Überwachung von Patienten in der Holding-AreaDownload Fall des Monats Quartal 2-2022 als PDF Dokument Der Fall:(Aus Gründen der Anonymität wird im Folgenden bei Personen stets die männliche Bezeichnung verwendet.)
Probleme mit der Überwachung von Patienten in der Holding-Area
Zuständiges Fachgebiet:AnästhesiologieWo ist das Ereignis eingetreten:Krankenhaus - anderer Bereich: Holding - OPTag des berichteten Ereignisses:WochentagVersorgungsart:RoutinebetriebPatientenzustand:Es befinden sich 6 Patienten und mehr in der Holding ohne Personalzuweisung eines Mitarbeiters. Gelegentlich erfolgt die Überwachung durch einen Funktionsträger. Die Patienten sind in eigener und fremder Beobachtung und z.T. erhebliche Zeiten alleine. Allerdings besteht auch keine technische Möglichkeit einer Überwachung, falls diese verkabelt wären, da die Alarme nicht zu anderen Bereichen umlenkbar sind. Außerdem existiert kein Klingelsystem für die Patienten. Daher fühlen diese sich schlecht versorgt und schlecht informiert, auch da keine Angaben über Wartezeiten gemacht werden.Wichtige Begleitumstände:PersonalmangelFallbeschreibung:
Holding wird belegt, trotz fehlendem Personal.
Was war besonders ungünstig?Die Patienten fühlen sich alleine gelassen und können sich auch im Notfall nicht bemerkbar machen.Wo sehen Sie die Gründe für dieses Ereignis und wie hätte es vermieden werden können?Entweder müssen die technischen Voraussetzungen für ein Klingelsystem mit Alarm geschaffen oder anderweitig Personal für die Holding akquiriert werden.Wer berichtet?Pflege-, PraxispersonalDie Analyse aus Sicht des AnästhesistenIn vielen Krankenhäusern ist es üblich, dass präoperative Patienten frühzeitig von den Stationen abgerufen werden, um Wartezeiten in den OP-Sälen zu vermeiden. Bis zum Transport in den OP-Saal oder in die Anästhesieeinleitung verbleiben die Patienten in einer Holding-Area. Die Wartezeit kann genutzt werden, um die Identität, Nüchternheit, etc. nochmals zu überprüfen, so dass später reibungslos mit der Operation begonnen werden kann. In manchen Krankenhäusern erfolgt hier auch bereits die Anlage von venösen Zugängen oder von supplementierenden Regionalanästhesieverfahren. In der Meldung wird ein wahrscheinlich häufig anzutreffendes Problem thematisiert: Wer kümmert sich um die Patienten, bis sie letztendlich in den OP bzw. in den Einleitungsraum gebracht werden?Eine Holding Area befindet sich typischerweise im OP-Bereich, d.h. die Patienten sind bereits eingeschleust und das begleitende Stationspersonal ist nicht mehr zugegen. In der Meldung wird nun beklagt, dass die Zuständigkeiten der Betreuung der Patienten in der Holding-Area nicht eindeutig geklärt sind und dass die apparative Ausstattung einen Hilferuf durch die Patienten oder eine technische Überwachung der Patienten unmöglich macht. Gleichzeitig werden die Patienten zum Teil unbeobachtet alleine gelassen. Der Melder hat Recht, diesen Umstand zu kritisieren, denn üblicherweise erhalten präoperative Patienten eine medikamentöse Prämedikation, die gelegentlich die Vitalparameter beeinträchtigen kann, aber häufiger noch einen Bewusstseinszustand hervorruft, in dem die Patienten nicht mehr unbedingt vernünftig agieren. Kurz: Sie werden überwachungspflichtig. Die Einführung der Holding-Areas war ein schleichender Prozess und die genauen Verantwortlichkeiten wurden bisher nicht allgemeingültig festgelegt. Vielmehr ging die Zuständigkeit meist auf die anästhesiologische Abteilung über und hier wiederum wird diese Aufgabe in der Regel durch eine Pflegekraft übernommen. Oft genug ist die Pflegekraft aber nicht ausschließlich für die Patienten in der Holding-Area verantwortlich, sondern muss diese Arbeit zusätzlich erledigen. Die Folge sind Situationen, wie sie in der Meldung beschrieben wurden. Wie kann Abhilfe geschaffen werden? An erster Stelle ist hier der OP-Koordinator bzw. das OP-Statut gefragt. Die Aufgabe der Holding-Area sollte definiert und mit einer entsprechenden Personalkalkulation hinterlegt werden. Natürlich können apparative Lösungen (zentrale Überwachung, Klingel, etc.) sinnvoll und wichtig sein. Technische Lösungen können aber in den seltensten Fällen im Pflegebereich einen Menschen ersetzen. Nicht vergessen werden darf, dass präoperative Patienten besonderem Stress ausgesetzt sind und das eine beruhigende Pflegekraft hier extrem wichtig und wertvoll ist [1]. Auch ohne evtl. eine eindeutige Regelung getroffen zu haben, wird die Betreuung von Patienten in der Holding-Area meist von der anästhesiologischen Abteilung übernommen. Grundsätzlich handelt es sich hierbei um eine delegierbare Tätigkeit, die Verantwortlichkeit bleibt aber im ärztlichen Bereich. Entsprechend ist es ein Thema, dass auch für die Leitungsebene relevant ist. Wünschenswert wäre es weiterhin, wenn sich die anästhesiologischen Fachgesellschaften des Themas annehmen und organisatorische Unklarheiten beseitigen. So wird in der entsprechenden Vereinbarung über die Zusammenarbeit bei der operativen Patientenversorgung eine Holding-Area auch in der aktualisierten Version nicht erwähnt [2]. In der Personalbedarfskalkulation Anästhesie hingegen wird ein Arzt, der evtl. in der Holding-Area Aufgaben zu erfüllen hat, berücksichtigt [3]. Eine entsprechende Kalkulation für den Pflegebereich ist uns nicht bekannt. Die Analyse aus Sicht des JuristenNach § 630a Abs. 2 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) hat die Behandlung des Patienten nach den zum Zeitpunkt der Behandlung bestehenden, allgemein anerkannten fachlichen Standards zu erfolgen. Entsprechend der Begründung dieser Vorschrift obliegt es den ärztlichen Fachgebieten, den in ihrem Fachgebiet geltenden Standard insbesondere etwa durch Leitlinien – nichts anderes gilt für sonstige Empfehlungen und Vereinbarungen – zu definieren. Fachliche Verlautbarungen, die den im Fachgebiet geltenden Standard definieren, sind im Sinne der gesetzlichen Regelung verbindlich.Der Patient hat innerhalb und außerhalb der Regeldienstzeiten sowie in jeder prä-, intra- und postoperativen Phase Anspruch auf eine Versorgung, die qualitativ dem zu entsprechen hat, was ein berufserfahrener Facharzt des jeweiligen Gebietes im konkreten Fall zu leisten imstande ist (sog. Facharztstandard). Die Gewährleistung dieses Facharztstandards setzt qualitative, aber auch quantitative Ressourcen voraus, verlangt also nicht nur Ärzte mit entsprechenden Kenntnissen und Fertigkeiten, sondern auch eine Personalausstattung, die zu jedem Zeitpunkt eine Versorgung nach diesem Standard durch eine hinreichende Zahl von qualifizierten Ärzten garantiert. Gleichermaßen gilt dies für die qualitative und quantitative Ausstattung der pflegerischen Assistenz, die der Anästhesist beanspruchen kann und an die er einzelne Maßnahmen in definierten Phasen der anästhesiologischen Versorgung delegieren darf [4]. Dies vorausgeschickt ist es zunächst zutreffend, dass der Begriff der „Holding-Area“ als „Wartebereich“ bzw. Raum zur Vorbereitung von Patienten auf eine Operation in der „Vereinbarung über die Zusammenarbeit bei der operativen Patientenversorgung“ von BDA und BDC [2] nicht ausdrücklich genannt wird. Und so wie die Empfehlung von DGAI und BDA zur postoperativen „Überwachung nach Anästhesieverfahren“ [5] unter Ziff. 2.3. eine „lückenlose Überwachung der Patienten in der Aufwacheinheit“ fordert, für die „gesonderte Planstellen für fachspezifische Pflegekräfte („Fachpflegestandard“) ausgewiesen“ werden müssen, so ist es nachvollziehbar wünschenswert, Gleichartiges für die Holding-Area als Pendant für die präoperative Überwachung festzuschreiben. Jedoch ist der Anästhesist bereits nach den Leitsätzen zur operativen Patientenversorgung „für die Planung und Durchführung des Anästhesieverfahrens sowie für die Überwachung und Aufrechterhaltung der vitalen Funktionen“ zuständig und verantwortlich. Befindet sich der Patient nach Einschleusung räumlich im OP-Bereich, gilt zur Verantwortung in dieser Phase (vgl. Ziffer 3 der Vereinbarung über die Zusammenarbeit bei der operativen Patientenversorgung [2]) ergänzend die separate Vereinbarung von BDA und BDC für die prä-, intra- und postoperative Lagerung des Patienten [6]. Bereits 1987 wurde dort in Ziffer 1 bestimmt: „Für die Lagerung des Patienten zur Einleitung der Narkose und für die Überwachung bis zur operationsbedingten Lagerung ist der Anästhesist verantwortlich.“ Man mag es unter dem Stichwort der Lagerung nicht vermuten – insofern wäre eine ergänzende Klarstellung in den genannten Verlautbarungen durchaus hilfreich -, doch ist der Zeitraum bis zur operationsbedingten Lagerung der Verantwortung des Anästhesisten zugewiesen. Dabei spielt es aus juristischer Sicht keine Rolle, in welcher räumlichen Umgebung der Patient nach Abrufung durch die Station auf die OP vorbereitet wird bzw. auf die operationsbedingte Lagerung wartet. Solange keine abweichenden Absprachen getroffen werden, hat der Anästhesist seiner Überwachungspflicht nach Übergabe durch die Station in dem der OP unmittelbar vorhergehenden Zeitraum nachzukommen. Ein OP-Statut, das diese oder auch abweichende Absprachen zwischen den Fachdisziplinen dokumentiert, kann hier Abhilfe schaffen, worauf die Analyse des Anästhesisten zurecht hinweist. Die knappe Sachverhaltsschilderung erlaubt keine Beurteilung, warum und inwieweit der Personalbedarf „notleidend“ war, ob es zeitgleich zu versorgende Notfälle oder einen aktuell hohen Krankenstand gab. Die Tatsache, dass der gemeldete Fall an einem Wochentag im Routinebetrieb stattfand, lässt jedoch auf ein grundlegendes strukturelles Problem schließen. Daher sollen noch folgende allgemeine Hinweise gegeben werden: Der Krankenhausträger schuldet dem Patienten sowohl aus dem Krankenhausvertrag als auch von Gesetzes wegen eine angemessene Obhut. Die Patienten in der Holding-Area sind laut Fallbericht über erhebliche Zeiträume alleine und ohne ausreichende Information, etwaige Überwachungssysteme funktionieren in diesem Bereich nicht und sie können sich nicht durch technische Hilfsmittel bemerkbar machen. Nur beispielhaft genannt sei die Gefahr eines Sturzereignisses, die der Patient infolge medikamentöser Prämedikation durch unüberlegtes – weil nicht mehr in vollständigem Bewusstseinszustand erfolgendes – Handeln auslöst. Allein aus dem Umstand, dass ein Sturz in der Sphäre des Krankenhauses geschieht, sieht die Rechtsprechung zwar keine Haftung des Krankenhauses. Entscheidend ist jedoch, ob nach Einbeziehung aller Umstände des Einzelfalls die Annahme gerechtfertigt ist, der Sturz sei auf eine Verletzung von Obhutspflichten zurückzuführen. Es kommt also darauf an, ob Anhaltspunkte die Annahme rechtfertigen, der Patient sei einem besonderen Sturzrisiko ausgesetzt gewesen und habe Anspruch auf eine konkret geschuldete Hilfeleistung gehabt [7]. Prozessual kann dies zu einer Beweislastumkehr gemäß § 630h Abs. 1 BGB wegen eines für den Krankenhausträger voll beherrschbaren Risikos führen. Voll beherrschbar sind letztlich all jene Bereiche im Umfeld ärztlichen Tuns, die von der Person des konkreten Patienten unabhängig und von den individuellen Eigenheiten seines Organismus nicht beeinflusst sind. Der Krankenhausträger sieht sich dann dem Vorwurf des Organisationsverschuldens in zivil- aber auch strafrechtlicher Hinsicht ausgesetzt. Er ist daher aufgerufen, für eine adäquate räumlich-apparative, aber insbesondere auch personelle Ausstattung in allen Bereichen der Patientenversorgung – auch in einer Holding-Area - zu sorgen. Weiterführende Literatur:
Autoren:
Prof. Dr. med. M. Hübler, Krankenhaus St.-Joseph-Stift, Dresden
Rechtsanwältin A. Pfundstein, Berufsverband Deutscher Anästhesisten, Nürnberg Prof. Dr. med. A. Schleppers, Berufsverband Deutscher Anästhesisten, Nürnberg
Dipl.-Sozialw. T. Rhaiem, Berufsverband Deutscher Anästhesisten, Nürnberg
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